Urlaub

Endlich Ferien

Müßiggang ist aller Laster Anfang, heißt es. Dürfen wir uns dem sommerlichen Nichtstun hingeben?

von Rabbiner Avrohom Yitzchok Radbil  14.06.2010 17:06 Uhr

Strand, Sonne und mehr: Es ist wichtig, sich eine Auszeit zu gönnen. Nur sollte der Urlaub nicht zum Selbstzweck werden. Foto: imago

Müßiggang ist aller Laster Anfang, heißt es. Dürfen wir uns dem sommerlichen Nichtstun hingeben?

von Rabbiner Avrohom Yitzchok Radbil  14.06.2010 17:06 Uhr

Der Sommer ist wieder da! Und das heißt, dass es bald in den Urlaub geht. Endlich. Wer kennt nicht das Gefühl, die Arbeit hinter sich zu lassen und sich auf den Weg in die langersehnten Ferien zu machen. Viele warten nur auf diese Zeit im Sommer, wo sie Strand, Meer, Berge und Sonne richtig genießen können – und endlich den grauen Alltag vergessen wollen. Viele sparen das ganze Jahr über, um nur diese zwei oder drei Wochen richtig genießen zu können – ohne dabei ständig auf den Geldbeutel schauen zu müssen. Doch was sagt unsere Religion dazu? Ist Urlaub eine gesunde Sache für den Geist – und wie viel soll man in einen Urlaub investieren?

Auszeiten Selbstverständlich heißt es das Judentum gut, wenn jemand Urlaub macht. Auszeiten sind wichtig. Wir sind ja wohl auch diejenigen, die das Prinzip eines freien Tages pro Woche (Schabbat) in die moderne Gesellschaft eingeführt haben. Denn jeder Mensch muss hin und wieder seinen täglichen Trott verlassen, um Kraft zu sammeln und sein Leben oder seine Lebensweise aus einer gewissen Distanz betrachten zu können und sich damit einen besseren Überblick darüber zu verschaffen.

Im Talmud, Traktat Taanit, heißt es, dass jemand, der sehr schnell läuft, einen Teil seiner Sehstärke verliert. Und dann fragt der Talmud, warum dem so ist, und wie man seine Fähigkeiten wieder zurückerwerben kann. Die Antwort lautet: Man soll in die Schabbatkerzen schauen, in dem Moment wenn sie angezündet werden. An einer anderen Stelle heißt es, dass man sein Sehvermögen wiedergewinnen kann, indem man den Wein anschaut, während der Kiddusch darüber gesprochen wird.

Eine sehr interessante Aussage des Talmuds, doch ist sie wörtlich zu verstehen? Verlieren wir wirklich unsere Fähigkeit des Sehens, wenn wir schnell laufen? Und wenn ja, wie können die Schabbatkerzen das korrigieren? Auch stellt sich die Frage, warum es an einer Stelle heißt, dass die Schabbatkerzen das Heilmittel dagegen sind, an anderer Stelle hingegen ist der Kidduschwein erwähnt. Was ist der Unterschied dieser Meinungen?

Sichtweise Vielleicht könnte man die Aussage des Talmuds so erklären, dass mit der Sehkraft nicht unser Augenlicht gemeint ist, sondern unsere Fähigkeit, die Welt um uns herum zu sehen. Es geht darum, die Abläufe und Geschehnisse, die um uns herum passieren, zu bemerken und sie richtig einzustufen und zu analysieren. Wenn wir zu schnell durch unser Leben eilen, wird vieles von uns übersehen und nicht richtig verstanden. Doch wie können die Schabbatkerzen oder der Kidduschwein dieses berichtigen?

Sowohl Schabbatkerzen als auch der Kidduschwein symbolisieren dieselbe Idee, nämlich den Beginn des Schabbats. Und Schabbat ist gerade die Zeit, in der wir uns die Auszeit von unserem Alltag nehmen, um alles, was wir in der Woche erlebt haben, zu verarbeiten. Wenn wir die Geschehnisse der vergangenen Tage reflektieren, ohne durch andere Dinge abgelehnt zu sein, gewinnen wir unserer Sehkraft wieder. Wir können dem Aufmerksamkeit schenken, was uns während der Woche entgangen ist.

Wir sehen also, wie wichtig ein Urlaub für uns ist. Denn ohne eine Auszeit – dies würden wohl auch alle Psychologen bestätigen – würden wir irgendwann durchdrehen. Kein Mensch ist in der Lage, nur ständig Informationen aufnehmen, ohne Zeit zu haben, sie richtig zu verarbeiten. Also ist es unumstritten, dass der Urlaub ein wichtiges Mittel zum Zweck ist. Das Problem beginnt dann, wenn Mittel und Zweck vertauscht werden. Wenn also der Urlaub zum Zweck wird, und unsere Arbeit zum Mittel dafür, uns den Urlaub leisten zu können.

spirituell Dazu ein Beispiel aus der Tora: Wir alle wissen, was für ein schweres Leben unser Vorvater Jaakow gehabt hat. Er war jahreland in ständiger Angst und auf der Flucht vor seinem Bruder Esaw. Er musste erst sieben Jahre für seine geliebte Rachel arbeiten, dann feststellen, dass er die Falsche geheiratet hatte, um dann noch einmal weitere sieben Jahre für sie zu schuften. Dann kam die Flucht vor seinem Schwiegervater Lavan, der Kampf gegen einen Engel und vieles mehr.

Doch seine schwierigste Prüfung war die Nachricht des vermeintlichen Todes seines Lieblingssohnes Josef. Unsere Weisen sagen, dass er diese Prüfung selbst verschuldet hatte. Es sollte eine Bestrafung sein. Doch warum sollte ausgerechnet Jaakow bestraft werden, der sein gesamtes Leben als Gerechter verbracht und eine spirituell höhere Stufe erreicht hat als Avraham und Yitzchak? Jaakow hatte es sogar im Hause des Bösewichts Lavan geschafft, sich an alle Gebote G’ttes zu halten.

Lebensstil Er wurde bestraft, weil er sein Leben als zu schwer empfunden und G’tt darum gebeten hat, es ihm leichter zu machen. Er hatte zwar alle ihm auferlegten Prüfungen mit Bravour bestanden, doch war er nun müde. Und als Strafe dafür erhielt er seine schwierigste Prüfung. Er sollte in der traurigen Annahme leben, dass sein Lieblingssohn gestorben sei. Wobei dies noch viel schwerer wiegt, wenn man es im Zusammenhang mit einer Aussage des Talmuds betrachtet. Danach ist es sehr wahrscheinlich, dass derjenige, dessen Kinder zu seinen Lebzeiten gestorben sind, keinen Anteil an der kommenden Welt haben wird. So musste also Jaakow die ganze Zeit denken, dass er nicht nur seinen Lieblingssohn verloren hat, sondern auch sein ganzes Leben voller Mizwot vergeudet sei. Doch, so fragt man sich, ist diese Bestrafung für so ein vergleichsweise unbedeutendes Vergehen angebracht?

Die Antwort unserer Weisen lautet, dass er nach dem Prinzip »Mida keneged Mida«, also Maß für Maß, betraft wurde. Denn in dem Moment, als er seine Prüfungen als zu schwer empfand, zeigte ihm G’tt, was eine richtig schwierige Prüfung bedeutet, indem er ihm anscheinend seinen Lieblingssohn nahm. Und so, wie er dachte, dass er sich durch seinen gerechten Lebensstil einen sicheren Platz in der kommenden Welt erarbeitet hatte, nahm ihm G’tt diese Gewissheit.

Arbeit Unsere Weisen sagen, dass wir in dieser Welt sind, um zu arbeiten – und um unsere Prüfungen zu bestehen. Indem jemand sich entscheidet, es nicht zu tun, stellt er sein gesamtes Existenzrecht infrage. So ein Fehler durfte unserem Vorvater Jaakow nicht unterlaufen. Daher die harte Strafe. Eines unserer Ziele auf dieser Welt ist es, unsere Aufgaben zu erledigen. In den Sprüchen der Väter, Pirkei Awoth, heißt es: Einer der Säulen, von denen unsere Welt gestützt wird, ist die Arbeit. Ohne die Tätigkeit der Menschen kann unsere Welt nicht bestehen. Und in diesem Sinne sind alle Berufe sehr wichtig, denn wir hängen alle voneinander ab.

Schließlich ist es auch sehr wichtig, dass sich jeder von uns einen Urlaub gönnt, aber nur, um danach in der Lage zu sein, die tägliche Arbeit wieder besser verrichten zu können. Ferien sind nur ein Mittel und dürfen auf keinen Fall zu einem Zweck werden.

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