Sanktionen

Aufruf zur Revolution

Die Weltgemeinschaft beginnt, das Potenzial der iranischen Zivilgesellschaft zu erkennen

von Saba Farzan  07.06.2010 16:30 Uhr

Stimme der Freiheit: Ahmadinedschad-Gegner in Teheran Foto: Reuters

Die Weltgemeinschaft beginnt, das Potenzial der iranischen Zivilgesellschaft zu erkennen

von Saba Farzan  07.06.2010 16:30 Uhr

Aus einem Skandal wurde doch noch eine Protestaktion. Der iranische Außenminister Manuscher Mottaki fand zwar Anfang dieses Monats Einlass ins Parlament der Europäischen Union – aber er erhielt dort den Empfang, den ein Vertreter eines Folterregimes verdient hat: Zahlreiche Parlamentarier begrüßten ihn mit den Fotos der Studentin Neda Agha Soltan und riefen ihm »Mörder!« zu. Neda, die am 20. Juni vergangenen Jahres während der Demonstrationen gegen das Teheraner Regime von einem Mitglied der Basidschi-Miliz kaltblütig erschossen wurde, ist durch ihren schrecklichen Tod zum Symbol der iranischen Freiheitsbewegung geworden. Zufällig ist »Neda« auch das persische Wort für Stimme. Millionen Iraner haben sich vor einem Jahr erhoben, um der Welt ihre Stimme vernehmbar zu machen. Sie sind immer noch entschlossen, ihr Land in die Freiheit zu führen. Nichts wäre falscher, als zu glauben, dass die »Grüne Bewegung« ihre Sprungkraft verloren hat. Seit dem Beginn des akademischen Studienjahres im Herbst ist an den iranischen Universitäten kaum ein Tag Ruhe eingekehrt, da couragierte Studenten dort friedlich gegen das diktatorische Regime demonstrieren. Ein aktuelles Ereignis lässt sich aus einer Stadt nahe des Persischen Golfes berichten. Dort sollte Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad vor handverlesenen Anhängern eine Rede halten – und wurde mit dem Protestruf »Arbeitslosigkeit, Arbeitslosigkeit!« empfangen.

brüche Vor dem historischen Sommer 2009 lag die Zustimmung zum herrschenden Regime in der Bevölkerung bei etwa 20 Prozent. Im Verlaufe der seitherigen Ereignisse wird sie sicherlich nicht größer geworden sein. Aus den vielfältigsten Gründen haben sich unzählige Iraner der Pro- testbewegung angeschlossen – sie alle vereint der Wille, ihr Land zurückzuerobern. Zwischen der iranischen Bevölkerung und ihrer autoritären Führung ist ein Bruch entstanden, der nicht mehr zu kitten ist. Zudem geht ein tiefer Riss durch die herrschende Elite der Islamischen Republik Iran. Daher lautet die Frage nicht mehr ob, sondern vielmehr wann und wie das Regime kollabieren wird. Worauf beruht dieser Optimismus, mag sich nun so mancher Politiker, Politikberater und Zeitungsleser fragen. Nun, weil eine Diktatur sich zukünftig nicht mehr allein durch Pistazienhandel finanzieren kann.

umdenken Zunehmend erkannt wird das auch von der internationalen Staatengemeinschaft. Russland wünscht in seiner unmittelbaren Nachbarschaft keinen atomar bewaffneten Iran und hat nun nach indirekter Unterstützung auch direkt begonnen, auf den westlichen Kurs einzuschwenken. China merkt nun, dass Regime Change in Teheran nicht Regime Change in Peking bedeuten muss. Nachdem die Chinesen Bilder der iranischen Massendemonstrationen in ihren Medien zensierten, aus Angst, das eigene Volk könnte auch auf freiheitliche Gedanken kommen, wirkt mittlerweile der Druck der anderen führenden Nationen, in der Iranfrage eine möglichst geschlossene Haltung zu beziehen und diese in Form einer starken Sanktionsrunde auszudrücken, auf die sich der UN-Sicherheitsrat im Mai geeinigt hat. Der Resolutionsentwurf sieht unter anderem vor, dem Iran zu verbieten, in ausländische Uranminen zu investieren, die Einfuhr von Rüstungsgütern zu beschränken, iranische Frachtschiffe zu kontrollieren und Auslandsreisen iranischer Wissenschaftler und Regierungsmitglieder einzuschränken.

Atomprogramm Viele Beobachter hielten eine neue UN-Resolution gar nicht für möglich und unterbreiteten schon vorsorglich den Vorschlag, man könne den Atomkonflikt doch einfach ungelöst lassen und die aktive Kooperation mit einer Diktatur suchen, deren Präsident den Holocaust leugnet. Diese Stimmen wurden jedoch eines Besseren belehrt, da sich zeigte, dass die Weltgemeinschaft niemals die atomare Bewaffnung eines Regimes akzeptieren wird, das ein anderes Land auslöschen will und für den weltweiten Export des Terrorismus verantwortlich ist. Der neue Sanktionsentwurf zielt sehr konkret darauf ab, die atomare Bewaffnung zu verhindern. Ein faktisches Embargo an Waffen, die die Islamische Republik nicht mehr erwerben darf – darunter Raketen, die zusammen mit Atomsprengköpfen sehr gefährlich wären –, geht in die richtige Richtung. Es zeigt, dass die Völkergemeinschaft das Spiel des Irans durchschaut hat. Beteuerungen seitens der Teheraner Führung, man wolle nur friedliche Kernenergie erzeugen, sind keinen Pfifferling wert, wenn man gleichzeitig ein Raketenprogramm hat, das nur atomar bestückt überhaupt einen Nutzen hätte.

Revolutionsgarde Die kommende Sanktionsrunde hat einen weiteren bedeutenden Schwerpunkt: die Pasdaran, die iranische Revolutionsgarde. Da es diese paramilitärische Einheit ist, die nicht nur die iranische Wirtschaft kontrolliert, sondern auch das Atomprogramm führt, ist es nur folgerichtig, sie ins Visier neuer Sanktionen zu nehmen. Die Revolutionsgarde logistisch und personell einzuschränken, ist der zukunftsweisende Ansatz. Wenn Konten eingefroren und Reiseverbote auferlegt werden, wie wollen dann die Pasdaran weiter an der Atombombe schrauben? Auch die Kontrolle von iranischen Schiffen zu jeder Zeit ermöglicht es, Material für das Atomprogramm zu konfiszieren. Hinzu kommt noch der nicht ganz nebensächliche Effekt, dass auch Vertreter der Pasdaran – so wie alle Diktatoren – gerne in Paris, Rom und London shoppen wollen.

Zivilgesellschaft Es ist ein Mythos, dass Sanktionen das iranische Volk wieder an das herrschende Regime annähern würden. Zum einen ist es in der Politikwissenschaft gut belegt, dass intelligente Sanktionen niemals einen solchen »Rallye around the flag«-Effekt haben. Und zum anderen, weil der Iran nicht mit dem Irak, Kuba und Nordkorea vergleichbar ist. Die iranische Zivilgesellschaft ist lebendig und couragiert und hat sich endgültig von der diktatorischen Islamischen Republik distanziert. Persien war einmal eine große Zivilisation – die Perser haben unter anderem das Schachspiel erfunden. Iraner sind weltweit Pioniere im Unternehmertum. Kaum ein Iraner möchte mit dem Bau einer Atombombe in Verbindung gebracht werden. Es hat lange gedauert, bis der Westen verstanden hat, dass das iranische Atomprogramm nichts mit Nationalstolz zu tun hat. Da ist es nur folgerichtig, dass die neue UN-Resolution in diesem Sommer die iranische Freiheitsbewegung stärken wird. Sie wird ihr Kraft geben, sich weiter zu formieren, ihren friedlichen Widerstand fortzusetzen und ihre Ziele von Freiheit, Unabhängigkeit und einer demokratischen iranischen Republik zu verwirklichen. Den solidarischen Worten aus dem Westen folgen nun langsam, aber kontinuierlich Taten. Die sind auch nötig, da zur Verhinderung einer iranischen Atombombe nicht mehr viel Zeit bleibt.

Werte Die Stimme der Freiheit erklingt seit dem vergangenen historischen Sommer aus dem Iran. Es sind diese mutigen Iraner, die der Weltöffentlichkeit das Bild des wahren Iran gezeigt haben. Sie haben intellektuell mit dem Antiamerikanismus, Antisemitismus und Radikalismus des Regimes gebrochen. Und für die Weltgemeinschaft ist das Undenkbare denkbar geworden: Es gibt eine Alternative zu den derzeitigen Machthabern. Sie liegt im Iran selbst. Dafür müssen die westlichen Demokratien keine Freiheitsagenda verfassen – das Freiheitsmanifest kommt in diesen Tagen aus dem Teheraner Evin-Gefängnis: Madschid Tavakoli, ein mutiger Student, der seit vergangenem November unrechtmäßig in Haft sitzt, hat einen Brief verfasst. Es ist ein Aufruf zur Revolution. Aus den Kerkern des Foltergefängnisses Evin wird der politische Aufruf eines klugen jungen Mannes an die iranische Freiheitsbewegung herausgeschmuggelt. Wann hat es das jemals in der Geschichte der Islamischen Republik gegeben?

Insbesondere Europa kann hier aber etwas noch stärker tun: sich an die eigenen Werte erinnern. Es ist couragiert, dass der iranische Außenminister im EU-Parlament mit den Bildern der sterbenden Neda konfrontiert wurde. Noch couragierter wäre es gewesen, den Außenminister überhaupt nicht zu empfangen und den Platz vor dem Sitz des weltweit größten Demokratieverbundes nach Neda Agha Soltan zu benennen.

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