Südafrika

Mit Vuvuzela und Schofar

Was die jüdischen Gemeinden zur WM zu bieten haben

von Sven Sakowitz  07.06.2010 16:23 Uhr

Hut und Hoffnung: Südafrikas Fans sind für ihre Kopfbedeckungen berühmt. Foto: imago

Was die jüdischen Gemeinden zur WM zu bieten haben

von Sven Sakowitz  07.06.2010 16:23 Uhr

Knallgelbe Helme aus Plastik sorgen bei Rabbi David Masinter aus Johannesburg in diesen Tagen für Begeisterung und leuchtende Augen. »Sind sie nicht einfach fantastisch? Wir haben Hunderte davon produzieren lassen«, sagt er. »Für die jüdische Gemeinde sind sie ein wichtiges Symbol, auf das wir unglaublich stolz sind.« Plastikhelme als Symbol? In Südafrika ist das nicht ungewöhnlich: Dort gehören originell verzierte Kopfbedeckungen, Makarabas genannt, seit den 70er-Jahren zur Grundausstattung jedes Fußballfans – und mit einem speziell zur Fußball-WM 2010 gestalteten Makaraba zeigen Südafrikas Juden ihre Begeisterung für das sportliche Großereignis in ihrem Land. Zum Helmschmuck gehören unter anderem die südafrikanische Flagge, ein Davidstern und ein Fußballspieler, der eine Kippa trägt. Verkauft wird das in Handarbeit erstellte Kunstwerk seit Wochen vor Ort sowie über die Internetseite www.jewish2010.com.

koscher »Diese Website ist ein zentraler Baustein unserer WM-Aktivitäten«, sagt Wendy Kahn, Vorsitzende des South African Jewish Board of Deputies, dem Dachverband der südafrikanischen jüdischen Gemeinden. »Wir haben weltweit für sie geworben und geradezu euphorische Reaktionen erhalten.« Das ist nachvollziehbar, denn auf der Seite sind wirklich alle wichtigen Informationen mühelos zu finden: die Adressen von Synagogen und koscheren Restaurants zum Beispiel, aber auch die Schabbat-Zeiten an den Spielorten und Angebote von Anbietern koscherer Safaris. Wer trotzdem noch spontan Hilfe braucht, kann eine 24-Stunden-Hotline anrufen.

Grillen Rund 300.000 Touristen reisen zur ersten Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent. Wie viele jüdische Besucher vom ersten Anpfiff am 11. Juni bis zum Finale am 11. Juli in den neun WM-Städten unterwegs sein werden, ist schwer zu sagen. Wenn die Klick-Statistik der Seite jewish2010.com aussagekräftig ist, kommen die meisten von ihnen aus den USA, Israel, Großbritannien und Australien. Deutschland liegt in dieser Rangliste abgeschlagen auf Platz neun. Vor allem in Johannesburg, Kapstadt und Durban haben die jüdischen Gemeinden ein umfangreiches Rahmenprogramm für ihre Gäste zusammengestellt. Das Angebot reicht von Township-Touren mit dem ehemaligen CNN-Reporter Grame Joffe über umfangreiche Führungen durch Synagogen bis zu Partys mit typisch südafrikanischem Braai – eine besondere Form des Grillens – zu ausgewählten Spielen. »Die WM ist das größte Ereignis seit den ersten demokratischen Wahlen im Jahre 1994«, sagt Wendy Kahn. »Die Vorfreude innerhalb unserer Gemeinde ist riesig.« Das war in den vergangenen Wochen vor allem an den sogenannten Fußball-Freitagen nicht zu übersehen. Die Südafrikaner stimmten sich an jedem Freitag ganz besonders auf die WM ein – und auch die jüdische Gemeinde war dabei.

Ob an den Arbeitsplätzen, in den Geschäften während der Einkäufe für den Schabbat oder auf den Schulhöfen der Tagesschulen – überall trugen die Menschen stolz ihre grün-gelben Trikots. Kinder versuchten, ihren Vuvuzela-Tröten Töne zu entlocken, Autobesitzer schmückten ihre Wagen mit Fahnen und der neuesten südafrikanischen Erfindung – den »Mirror-Socks«, kleinen Südafrika-Fahnen, die man über die Seitenspiegel ziehen kann. Diagnose: Fußballfieber! »Es ist sehr aufregend für uns, Juden aus aller Welt während der WM in unserem Land zusammenzubringen«, sagt Rabbi David Masinter, der die Aktivitäten koordiniert. »Mit unseren Angeboten verfolgen wir ein einfaches Ziel. Wir möchten unseren Gästen ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich machen – und ihnen zeigen, was für eine starke und engagierte jüdische Gemeinde es in Südafrika gibt.«

litauer Die Geschichte der Juden in Südafrika beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts. 1803 gewährt die niederländische Kolonialmacht Religionsfreiheit, die auch unter der neuen britischen Herrschaft ab 1806 Bestand hat. Vor allem aus Deutschland und Großbritannien emigrieren Juden in das Land. Aber erst 1841 gründen Kapstädter Juden die erste südafrikanische Gemeinde, weitere acht Jahre vergehen bis zur Eröffnung der ersten Synagoge. Umfangreiche Diamanten- und Goldfunde in den 60er- und 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts machen das Land zum Ziel für Menschen aus aller Welt. Mit der Hoffnung auf lukrative Geschäfte oder einfach nur ein besseres Leben kommen sie an die Südspitze Afrikas. Wesentlich für die weitere Entwicklung der jüdischen Gemeinde ist die Einwanderung der mehr als 40.000 litauischen Juden, die zwischen 1880 und 1910 vor Pogromen in ihrer Heimat fliehen. Heute zählen 80 Prozent der Juden Südafrikas zu ihren Nachfahren. Insgesamt leben etwa 70.000 Juden in Südafrika, davon 50.000 in Johannesburg und 15.000 in Kapstadt. Die meisten von ihnen sind engagierte Zionisten und orthodox.
Angst vor antisemitisch motivierter Gewalt müssen WM-Gäste nach Einschätzung von Wendy Kahn nicht haben. »Antisemitismus ist ein Randphänomen«, sagt sie. »Die wenigen Fälle, die wir zu verzeichnen haben, sind ausschließlich verbaler Art. Die Regierung, die Justiz und die Exekutive verfolgen eine konsequente Nulltoleranzpolitik gegenüber allen Formen von Vorurteilen und sind verlässliche Partner für uns. Auch das sorgt dafür, dass der Antisemitismus im Vergleich zu anderen Ländern hier so schwach ausgeprägt ist.«

Die Warnungen vor der Kriminalität hält Kahn zumindest für teilweise berechtigt. »Natürlich ist das ein Problem. Aber wie immer gilt auch in diesem Fall, dass sich vieles bei genauerem Hinsehen relativiert. Außerdem wurde die Polizei für die Dauer der WM personell verstärkt. Sie wird helfen, dass es keine Störungen gibt.« Ein friedliches Fußballfest wünscht sich auch Darryn Lazarus aus Kapstadt. Der 30-Jährige ist Vorsitzender des jüdischen Sportvereins Western Province Maccabi und kennt die Fußballbegeisterung von Südafrikas Juden. »Es ist der populärste Sport bei Jungen und Alten, Männern und Frauen«, sagt er. »In letzter Zeit gründen immer mehr Gemeindemitglieder kleine Teams, und in den Tagesschulen ist Fußball ohnehin die Nummer eins.« Klar, dass auch der internationale Profifußball aufmerksam verfolgt wird: »Vor allem die europäischen Ligen sind beliebt«, sagt Lazarus. »Im Fernsehen verfolgen die meisten Fußballfans hier via Pay-TV die Spiele der englischen Premier League.«

Maccabi Von der Begeisterung für den Fußball soll jetzt auch Western Province Maccabi profitieren. Lazarus und seine Mitstreiter wollen die Fußballabteilung aufbauen und professionalisieren. Gerade haben sie in Kapstadt eine U-9-Mannschaft gegründet. Es ist die bislang einzige Fußballmannschaft des Vereins. Sie trainiert jeden Sonntag und tritt regelmäßig zu Freundschaftsspielen an. Da die Liga am Schabbat spielt, ist eine Teilnahme daran nicht möglich. »Die Maccabi-Bewegung ist bei uns zurzeit nicht besonders stark«, sagt Lazarus. Außer in Kapstadt gibt es Maccabi noch in Johannesburg. Dort nehmen zwei Wasserballteams an der Liga teil, zwei Rugbyteams sind für die Universitätsliga gemeldet. In Kapstadt spielen ebenfalls zwei Wasserballmannschaften in der Liga mit. Das war’s. »Wir werden in Zukunft wohl ein bisschen mehr für unsere Abteilungen werben und die Maccabi-Idee wieder populär machen müss«, stellt Lazarus fest.

Neben seinem Einsatz für Western Province Maccabi trainiert Lazarus das U-13-Team des Grass Boots Football Clubs. Bei diesem Verein handelt es sich um ein gemeinsames Projekt der Amy-Biehl-Stiftung und MyLife, einer lokalen Initiative für Straßenkinder. Es wurde vor sieben Monaten ins Leben gerufen und hat zum Ziel, dass arme Kinder aus benachteiligten Quartieren Kapstadts Fußball spielen können. Sie werden mit Trikots, Fußballschuhen und allem weiteren Notwendigen ausgestattet und bekommen nach jedem Training etwas zu essen. Spenden und ehrenamtliches Engagement tragen zum Erfolg des Projekts bei, einige Teams des Grass Boots Football Clubs konnten bereits für die Liga angemeldet werden.

Chancen Mit seinen Spielern und anderen Trainern spricht Darryn Lazarus viel über die WM. »Die meisten, die etwas von Fußball verstehen, glauben nicht, dass die südafrikanische Mannschaft gut abschneidet«, sagt er. »Ein Sieg in einem Vorrundenspiel wäre schon eine Sensation.« Zu wünschen wäre es dem Land. Der jüdischen Gemeinde ohnehin. Denn es macht doch mehr Spaß, die knallgelben Makarabas auf einer Siegesfeier zu tragen als nach einem frühen Aus der südafrikanischen Mannschaft.

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