Redezeit

»Die Ungewissheit zieht uns an«

Adam Alter Foto: John Fitzgerald

Herr Alter, ich twittere, poste regelmäßig Fotos auf Instagram und freue mich, wenn meine Kontakte sie mögen. WhatsApp ist aus meiner täglichen Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Bin ich schon süchtig oder nur ein Kind meiner Zeit?
Das hängt davon ab: Laut Definition ist Sucht schlecht für das langfristige Wohlergehen. Einige Menschen sagen, dass Atmen eine Sucht ist. Allerdings können wir ohne zu atmen nicht leben. Atmen also als Sucht zu bezeichnen, ist unsinnig. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Instagram oder andere soziale Medien schlecht für Ihr Wohlbefinden sind, sogar Ihrer Beziehung schaden, wenn sich Ihre Gedanken nur noch darum drehen, sodass Sie nicht mehr arbeiten können, wenn Sie verstimmt oder unruhig sind, dann spricht man von einer verhaltensabhängigen (nicht stoffgebundenen) Sucht.

Wo ist die Grenze zwischen Sucht und alltäglichem Nutzen von Smartphones, sozialen Medien oder Film-Streaming?
Auch das hängt davon ab, wie sehr das Verhalten nachhaltig schaden kann. Wenn dies der Fall ist und Menschen Schwierigkeiten haben, dem Einhalt zu gebieten, dann sind Kriterien für eine Sucht im Verhalten erfüllt.

In Ihrem Buch »Unwiderstehlich«, das soeben erschienen ist, gehen Sie der Frage nach, warum wir nicht aufhören können, die neuesten Posts zu checken, zu scrollen, zu klicken und Serien zu schauen. Warum gelingt uns das nicht?
Das ist eine zentrale Frage, mit der sich ein Großteil des Buches befasst und die nicht so einfach zusammenzufassen ist. Ich zeige viele Mittel auf, mit denen uns Unternehmen zu umgarnen versuchen. Zum Beispiel basieren viele Apps sozialer Medien auf veränderlichen Resonanz-Plänen. Ähnlich wie bei Slot-Maschinen in Kasinos, die Spielern unvorhersehbare Belohnungen geben, weiß man nie, wie Menschen auf Posts reagieren werden. Werden sie sie mögen oder sie ignorieren? Welche Posts ziehen eine positive Aufmerksamkeit auf sich? Diese Ungewissheit zieht uns an und drängt uns, diese Plattformen weiterhin zu nutzen. Es ist schwerer, einer veränderlichen Belohnung zu widerstehen als einer erwartbaren, wie zum Beispiel einer regelmäßigen Gehaltszahlung.

Facebook, schreiben Sie in Ihrem Buch, habe vor ein paar Jahren Spaß gemacht, wohingegen es heute abhängig macht. Was ist passiert, und wie nutzen soziale Medien unsere Angst, etwas verpassen zu können?
Die Einführung des Gefällt-Mir-Buttons im Jahr 2006 war ein großer Wendepunkt für das soziale Netzwerk. Anstelle statischer Inhalte bot die Plattform nun dynamisches Feedback, mit dem eine veränderliche Belohnung einherging. Alles, um mehr Likes zu bekommen. Diese Dinge allein ließen Menschen immer wieder zur Seite von Facebook zurückkehren. Der Newsfeed, der einige Jahre später eingeführt wurde, hat das soziale Netzwerk bodenlos werden lassen: Man kann endlos scrollen und erreicht nie das Ende des Feeds. Es gibt kein Signal mehr, ich nenne das »stopping cue«, das dir sagt, es wird Zeit, mit etwas anderem weiterzumachen. Diese fehlenden »stopping cues« regen Menschen dazu an, immer weiter und weiter zu machen.

Was könnte denn beim sogenannten Digital Detox helfen. Der Schabbat?
Ja. Es gibt »Reboot«, eine Initiative von Juden in den USA, die kürzlich den Nationalen Tag des Steckerziehens (www.nationaldayofunplugging.com) begangen hat. Und dieses Konzept beruht auf den Grundgedanken des Schabbats.

Die Fragen an den Sozialpsychologen der NYU Stern School of Business stellte Katrin Richter.

Adam Alter: »Unwiderstehlich. Der Aufstieg suchterzeugender Technologien und das Geschäft mit unserer Abhängigkeit«. Piper, München 2018, 368 S., 22 Euro

Streaming

»Bros«: Zwei Trottel, eine Bar

Die erste rein hebräischsprachige und israelische Original-Produktion für Netflix startet heute weltweit

von Ayala Goldmann  18.04.2024

Interview

»Deutschland ist eine neurotische Nation«

Bassam Tibi über verfehlte Migrationspolitik, Kritik an den Moscheeverbänden und Ansätze für islamische Aufklärung

von Christoph Schmidt  18.04.2024

Verschwörungstheorien

Nach viel kritisiertem Israel-Hass-Video: Jetzt spricht Dieter Hallervorden

Der Schauspieler weist die Kritik an seiner Veröffentlichung zurück

 18.04.2024

Venedig

Israelhasser demonstrieren bei Kunstbiennale

Die Demonstranten forderten einen Boykott israelischer Künstler

 18.04.2024

Klassik

Eine Liebeserklärung an die Mandoline

Der israelische Musiker Avi Avital verleiht Komponisten wie Bach oder Vivaldi einen unverwechselbaren neuen Touch

von Christine Schmitt  18.04.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 18.04.2024

Restitution

Bundesregierung will Herausgabe von NS-Raubkunst erleichtern

Gesetzentwurf sieht unter anderem einen Auskunftsanspruch gegenüber Personen vor, die NS-Raubkunst in Verkehr bringen

 17.04.2024

Berlin

Wenn aus Projektionen Projektile werden

Experten diskutierten bei einer Tagung der Bildungsabteilung im Zentralrat, wie anti-israelische Obsessionen wirken

von Mascha Malburg  17.04.2024

Philosophie

Mit Sartre gegen die Enge

Vincent von Wroblewskys Autobiografie »Vermutlich Deutscher« ist ein kleines Meisterwerk

von Marko Martin  17.04.2024