Mode

Manheimer, Levy & Co.

Buchautor Uwe Westphal (M.) hat das Thema angestoßen, die Ethnologinnen Kristin Hahn (l.) und Sigrid Jacobeit (r.) von der Humboldt-Universität forschen mit ihm weiter. Foto: Stephan Pramme

Schnittmuster, Stoffe, Karteikarten – alles holten die Nazis in der Pogromnacht aus den Modehäusern, stapelten es vor den Kleiderfabriken am Hausvogteiplatz und zündeten es an. »Wie die Wildschweine haben sie gewütet«, berichtet Uwe Westphal, Journalist und Buchautor (Berliner Konfektion und Mode: Die Zerstörung einer Tradition, 1836–1939, Edition Hentrich 1992). Das hätten ihm Zeitzeugen erzählt. Bis dahin hatten 2700 Konfektionshäuser, Zwischenmeister und Ateliers, die in jüdischem Besitz waren, am Hausvogteiplatz und in den benachbarten Straßen ihre Adresse gehabt. 1940 waren es nur noch 300.

Valentin Manheimer etwa (1815–1889) war einer der führenden Vertreter der Berliner Konfektionsindustrie. Nach seinem Tod übernahmen seine Söhne und schließlich ein Enkel die Firma. Er nutzte die Tradition und die Erfahrungen des alten Berliner Schneiderhandwerks zum Aufbau eines großbetrieblichen Unternehmens und gründete in der Oberwallstraße, wenige Meter vom Hausvogteiplatz entfernt, das »Konfektionshaus Manheimer«.

Sein Hauptprodukt waren preisgünstige, aus dicker Wolle gefertigte Damenmäntel, die er europaweit vertrieb.
Der wachsende geschäftliche Erfolg wurde in der Ausstattung des Hauses sichtbar: außen Putz aus Muschelkalk, innen echter Marmor und schmiedeeiserne Treppengeländer. Manheimers Unternehmen hatte den zweitstärksten Umsatz der Branche in Berlin und mehr als 8000 Mitarbeiter. Dennoch weist heute am Haus nichts auf die Geschichte des Betriebes hin.

kleiderfabrik Das möchten Kristin Hahn, Sigrid Jacobeit und Uwe Westphal ändern. Die beiden Ethnologinnen und der Buchautor gehen die gusseiserne Treppe in Manheimers früherer Kleiderfabrik hinauf. Sie haben sich viel vorgenommen, um die Geschichte der jüdischen Konfektionsfirmen und der Industrialisierung der Mode rund um den Hausvogteiplatz ins Licht zu rücken.

»Dass viele Juden die Modewelt geprägt, sie durch die Indus­trialisierung für das Volk zugänglich und somit demokratisiert haben – über diese Leistung wurde bis jetzt wenig geforscht«, sagt Jacobeit, die 13 Jahre lang die Gedenkstätte Ravensbrück leitete und an der Humboldt-Universität Europäische Ethnologie lehrt. Jacobeit, Hahn und Westphal möchten, dass eine Gedenkta­fel oder Plakette an der Oberwallstraße angebracht wird. Unterstützung bekommen sie auch von den Mietern des Start-up-Unternehmens Rent24, das seit vergangenem September die Immobilie nutzt.

»Das soll möglichst der Startschuss werden, sodass auch andere Häuser nachziehen«, hoffen die drei. Das nachhaltig angelegte Projekt hat mehrere Stufen; am Ende sollen eine Ausstellung und ein Begleitband entstehen.

kollektion Zudem möchte das Team einen Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart schlagen: Studenten des Fachbereichs Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Weißensee und der Europäischen Ethnologie sollen, wenn alles nach Plan läuft und auch die Finanzierung in Gang kommt, gemeinsam mit Studenten der Jerusalemer Beza­lel-Akademie einen Sommerworkshop gestalten und eine gemeinsame Kollektion nachschneidern.

Es sei »ein interdisziplinärer trinationaler Austausch«, erläutert Kristin Hahn. Denn neben den Berliner Studenten, die Informationen zu den jüdischen Wurzeln in der Mode einbringen, und den israelischen Designstudenten ist auch die Clark University Atlanta als Partner mit im Boot. Die israelischen Studenten lassen das historische Wissen dann in die Kollektion einfließen.

Zwei Dozentinnen aus Jerusalem waren im Februar bereits zu Besuch in Berlin – der Austausch hat begonnen, auch wenn die Finanzierung zum Teil noch hinterherhinkt. Am Ende werde es eine gemeinsame Kollektion geben. Betreut werden die deutschen und israelischen Designstudenten von dem Berliner Modedesigner Michael Sontag.

erinnerungskultur Mit der Machtübernahme der Nazis seien »bedeutende Wurzeln der Berliner Konfektionsgeschichte ausgelöscht« worden und in Vergessenheit geraten, sagt Kristin Hahn.

Bei der Aufarbeitung dieser konkreten Geschichte geht es der 30-Jährigen auch darum, Erinnerungskultur zu leben. Geleitet werde sie dabei vor allem von der Frage der Nachhaltigkeit. »Wie können vergangene Welten heute für eine breite Masse zugänglich gemacht werden?« Dazu werde das entsprechende Studienprojekt an der Humboldt-Universität angeboten.

Am U-Bahnhof Hausvogteiplatz erinnert ein Denkmal an die Modemacher, am Haus Markgrafenstraße 36 eine Gedenktafel. Ferner sind Namen der jüdischen Betriebe in den Treppenstufen des U-Bahnhofes aufgelistet. Zahlreiche Konfektionäre waren Juden, alle wurden von den Nazis enteignet, viele ermordet.

justizministerium Die fertigen Produkte sollen dann im Oktober im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz ausgestellt werden, denn das Gebäude hat ebenfalls eine Konfektionsgeschichte. »Da unser Haus vor zwei Jahren die Historie und Schicksale der jüdischen Handwerksbetriebe am heutigen Sitz Mohrenstraße 37/38 weiter erforscht hatte, sind wir hier sehr aufgeschlossen und haben ein großes Interesse an dem Thema«, sagt Thorsten Bischoff, Leiter des Referats Öffentlichkeitsarbeit und Digitale Kommunikation des Ministeriums.

Der Gebäudekomplex zwischen Mohrenstraße, Jerusalemer Straße und Kronenstraße liegt mitten im damaligen Konfektionsviertel. »59 Unternehmen der Textilherstellung und des Schneiderhandwerks waren hier bis Ende der 30er-Jahre ansässig«, heißt es in der Broschüre »Konfektion und Repression« des Justizministeriums.

Im Treppenhaus erinnern Aufschriften an frühere Textilwerkstätten, und auch in die Fassade an der Mohrenstraße sind Handelsnationen eingemeißelt, in die Geschäftsleute vom Hausvogteiplatz aus ih­re Waren verkauften. Welche Schicksale die seinerzeit im heutigen Ministeriumsgebäude ansässigen Unternehmen und ihre Familien erlitten, hat zudem ein Historikerteam der Humboldt-Universität untersucht.

Heute ringe Berlin erneut um die internationale Anerkennung auf dem Modeparkett der Welt, meint Kristin Hahn. Mit der Fashion Week Berlin steige die Bedeutsamkeit der Stadt als Modezentrum. Kulturell unbeachtet bleibe dabei die Geschichte. So gebe es keinen einzigen Wettbewerb in der 180 Jahre alten Berliner Modebranche, der nach einem Juden benannt worden sei, kritisiert die Ethnologin – trotz des Anteils jüdischer Unternehmer an der Berliner Modegeschichte. Aber das werde sich hoffentlich bald ändern.

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