Jerusalem

Schüsse, Steine und Raketen

»Tage des Zorns« in Israel und den Palästinensergebieten Foto: Flash 90

Die eine Seite zeigt sich zufrieden, die andere voller Zorn. Während die Entscheidung aus Washington kam, sind die Folgen Tausende von Kilometern entfernt zu spüren – auf israelischem und palästinensischem Boden. In seiner Ansprache vom vergangenen Mittwoch schlug Trump die Warnungen der Welt in den Wind und erklärte, die USA werden Jerusalem als Hauptstadt von Israel anerkennen. Er erläuterte, dass dies lediglich eine Bestätigung der Realität sei, schließlich liegt hier der Regierungssitz. Seitdem ist es mit der relativen Ruhe im Heiligen Land vorbei.

Die gewalttätigen Proteste in Jerusalem, dem Westjordanland, an der Grenze des Gazastreifens und in arabischen Orten in Israel hatten unmittelbar nach der Anerkennung am Mittwoch begonnen. Bei den sogenannten »Tagen des Zorns« werden seitdem fast ohne Unterlass Molotowcocktails und Steine geworfen sowie Barrikaden angezündet. Drei Israelis wurden bislang durch Steinwürfe verletzt. Auf eine israelische Militärposition und einen Bus wurden Schüsse abgefeuert. Ein Sicherheitsmann ist am Sonntagabend in Jerusalem von einem palästinensischen Terroristen mit einem Messer schwer verletzt worden. Der 46-Jährige ist mittlerweile außer Lebensgefahr, der Angreifer in Polizeigewahrsam.

Anerkennung Die Grenzen für Israels Hoheit in der Stadt definierte Trump in seiner Rede nicht, betonte aber, dass der Status der Heiligen Stätten beibehalten werden solle. Die israelische Regierung und große Teile des politischen Spektrums im Land begrüßten die Entscheidung durchweg. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu meinte bei seinem Besuch bei der Europäischen Union am Wochenbeginn in Brüssel, dieser Schritt sei dem Frieden nicht hinderlich, sondern mache ihn erst möglich. »Denn Frieden hängt davon ab, die Realität anzuerkennen. Präsident Trump hat die Karten auf den Tisch gelegt.« Er erwarte, dass die meisten EU-Staaten dem amerikanischen Vorbild folgen. Bislang sind dazu jedoch nach eigenen Aussagen lediglich die Tschechische Republik sowie die afrikanischen Nationen Tansania und Ghana bereit.

Währenddessen arbeiten Armee und Sicherheitskräfte dauerhaft daran, die gewaltbereiten Mengen von oft Tausenden von Männern zu zerstreuen. Auf palästinensischer Seite sind nach Angaben der arabischen Hilfsorganisation Roter Halbmond zwei Demonstranten getötet und nahezu 300 verletzt worden. Aus dem Gazastreifen wurden mehrere Raketen auf israelisches Territorium abgefeuert, eine auf die Großstadt Aschkelon. Das Geschoss wurde jedoch vom Abwehrsystem Eiserne Kuppel abgefangen; eine Granate landeteauf offenem Feld, Verletzte gab es nicht. Eine weitere traf einen Kindergarten. Glücklicherweise war dieser zu der Zeit geschlossen und menschenleer. Die israelische Armee flog im Anschluss Gegenangriffe auf Hamas-Stellungen im nördlichen Gazastreifen, so ein Militärsprecher. Obwohl sich noch niemand zu den Angriffen bekannte, erklärte die Armee, sie mache die Hamas »für sämtliche Aggression aus dem Gazastreifen verantwortlich«.

Anführer der Terrororganisation riefen die Bevölkerung in Gaza derweil zu einer dritten Intifada auf. Tausende aufgebrachte Palästinenser protestierten daraufhin am Grenzzaun zu Israel an mehreren Tagen hintereinander. Die Armee musste anrücken, um die Massen auseinanderzutreiben. Nach Angaben des Roten Halbmonds wurden dabei zwei Menschen getötet und Hunderte verletzt. Bei den Vergeltungsangriffen der israelischen Luftwaffe (IAF) starben zwei Hamas-Mitglieder, 25 sind verwundet worden, erklärten palästinensische Quellen. Die Organisation kündigte bereits Rache an. Die extremistische Izz-ad-Din-al-Kassam-Brigade, auch sie ist im Gazastreifen ansässig, warnte an Israel gerichtet: »Der Feind wird den Preis dafür be- zahlen, dass er die Regeln gebrochen hat.«

Ausschreitungen Doch auch innerhalb der heterogenen israelischen Gesellschaft schwelt es. In Wadi Ara, einer Gegend im Norden des Landes, in der es die größten Ansiedlungen von israelischen Arabern gibt, kam es nach Trumps Erklärung ebenfalls zu Ausschreitungen. Hunderte von Männern warfen Steine gegen Polizeistreifen und Busse und blockierten in verschiedenen Orten die Straßen. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman forderte daraufhin einen Boykott: »Ich rufe dazu auf, Wadi Ara zu boykottieren. Fahrt dort nicht hin und kauft dort nicht ein! Diese Leute gehören nicht zu Israel.« Die Araber in dieser Gegend aber besitzen alle die israelische Staatsangehörigkeit. Viele Israelis kündigten daraufhin in den sozialen Netzwerken an, sie würden sehr wohl Wadi Ara besuchen. Zugleich bezeichneten sie Lieberman als »Rassist und Aufwiegler«.

Auch Parlamentarier erteilten Liebermans Aufruf eine Absage: Amir Peretz von der Zionistischen Union meinte, ein Minister müsse dafür sorgen, die Situation zu entschärfen und sie nicht noch anheizen. »Man darf nicht allen Arabern die Schuld an den Ausschreitungen geben. Die meisten von ihnen sind verantwortungsbewusste Bürger, die als Minderheit in einem jüdischen demokratischen Staat leben.«

In Europa erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron derweil während des Besuchs von Netanjahu in Paris, die amerikanische Anerkennung Jerusalems sei »eine Gefahr für den Frieden«. Auch die EU-Außenministerin Federica Mogherini liegt nicht auf einer Linie mit dem Weißen Haus, äußerte ihre Bedenken und warnte vor den Folgen. »Das Schlimmste, was geschehen kann, ist eine Eskalation der Spannungen, der Gewalt – in den Heiligen Stätten, doch auch darüber hinaus und in der ganzen Region.« Netanjahu jedoch sprach positiv über die US-Initiative für ein Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern und meinte, man solle dem Frieden eine Chance geben. Mogherini äußerte den Wunsch der EU, stärker in diesen Prozess involviert zu sein, und machte deutlich, dass ihrer Meinung nach eine Zweistaatenlösung das einzig mögliche Rahmenwerk dazu sei.

Abbas Schärfer noch als die europäischen Nationen kritisiert die arabische Welt Trumps Entscheidung. Unruhen brachen nicht nur in Israel, sondern auch kurzzeitig in den Nachbarstaaten Ägypten und Jordanien aus. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas traf sich mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi in Kairo. Die anschließende Erklärung von Abbas lautete: »Wir werden fortfahren, uns mit unseren arabischen Brüdern, vor allem Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien, zu beraten, um den vorauszusehenden Gefahren zu begegnen, die aus diesem inakzeptablen Schritt der USA erwachsen.«

Russlands Präsident Wladimir Putin ist ähnlicher Meinung: »Dies hilft dem Nahen Osten nicht, sondern destabilisiert die ohnehin schwierige Lage dort noch. Es könnte sogar die Aussicht auf einen israelisch-palästinensischen Frieden beenden.« Seiner Meinung nach müsse es sofortige Gespräche zwischen beiden Parteien geben, um Lösungen für die umstrittenen Belange, auch Jerusalem, zu finden.

Besonders harsche Worte kamen aus der Türkei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Er beschuldigte Jerusalem, »Öl ins Feuer zu gießen und Trumps Entscheidung nur dafür zu nutzen, die Repressalien gegen die Palästinenser zu verstärken«. Ne-tanjahu und Trump seien Partner beim Blutvergießen. Der israelische Regierungschef konterte in Richtung Ankara, er nehme »keine moralischen Weisungen von jemandem an, der kurdische Dörfer bombardiert, Journalisten inhaftiert, dem Iran hilft, internationale Sanktionen zu umgehen, und unschuldige Menschen tötet«.

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