Wuligers Woche

Offene Rechnungen

Fordern Reparationszahlungen von der Bundesrepublik: Ministerpräsidentin Beata Szydlo und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski Foto: dpa

Politiker der polnischen Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) wollen von Deutschland Reparationen für den Zweiten Weltkrieg. »Wir reden über gewaltige Summen«, so Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der Nationalkonservativen. Von bis zu 840 Milliarden Euro ist die Rede.

Ob die Forderung Erfolg haben wird, ist fraglich. Falls aber wider Erwarten Deutschland tatsächlich zahlt, sollte Warschau einige der Milliarden vorsorglich beiseitelegen. Denn offene Rechnungen hätte auch Polen zu begleichen – an seine jüdischen Bürger.

Pogrome Zum Beispiel für Jedwabne. Die Juden der ostpolnischen Stadt wurden im Juli 1941 zusammengetrieben, in eine Scheune gepfercht und dort bei lebendigem Leib verbrannt. Ihr Besitz wurde geplündert. Nicht von den Deutschen, sondern von Polen. Jedwabne war nicht das einzige Pogrom während der deutschen Besatzung. Die Nazis konnten sich bei ihren judenfeindlichen Mordmaßnahmen auf Sympathie und tätige Mithilfe der Bevölkerung stützen. Der gewalttätige Antisemitismus in Polen begann nicht mit dem Einmarsch der Deutschen. Und er endete nicht mit deren Niederlage.

1946, ein Jahr nach Kriegsende, wurden in Kielce 40 Juden von einem Mob totgeschlagen, nachdem sich in dem Ort das Gerücht verbreitet hatte, Juden hätten zwecks Ritualmord ein Kind entführt. Tatsächlich ging es um materielle Interessen. Die rund 200 Überlebenden und Zurückgekehrten von einst 25.000 Juden in Kielce beanspruchten ihren Besitz zurück, den die polnischen Nachbarn sich nach den Deportationen angeeignet hatten.

Die Schuld an dem Pogrom von Kielce, in dessen Folge Zehntausende Schoa-Überlebende aus Polen flohen, gaben die herrschenden Kommunisten ihren Gegnern von der Rechten. Dass sie denen, was Antisemitismus anging, selbst kaum nachstanden, bewiesen sie 1968. Nach obrigkeitskritischen Studentenprotesten initiierte die kommunistische Regierung eine antisemitische Kampagne. Partei, Militär, Verwaltung und Hochschulen wurden systematisch von »Zionisten« gesäubert. 25.000 der rund 40.000 Juden wurden in die Emigration gezwungen. Von der jahrhundertealten jüdischen Geschichte Polens ist seitdem wenig geblieben, allen Bemühungen nach 1989 zum Trotz.

Selbstverständnis Das unendliche Leid, das Polen von Deutschland angetan wurde, steht außer Frage. Das Leid, das Polen ihren jüdischen Mitbürgern bereiteten, vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg, wird erst seit einigen Jahren aufgearbeitet – gegen erhebliche Widerstände, vor allem aus den Reihen der PiS-Partei.

Die Regierungspartei pflegt im Einvernehmen mit einem Gutteil der Bevölkerung das Selbstverständnis der Nation als Opfer. Dass Polen auch antisemitische Täter waren, wird dabei gerne ausgeblendet. Die Forderung nach deutschen Reparationen sei »eine Frage der elementaren Gerechtigkeit«, hat Ministerpräsidentin Beata Szydlo erklärt. Da mag sie recht haben. Doch ihrem Land und seinen Bürgern stellt sich eine solche Frage auch.

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  28.03.2024

Sachbuch

Persönliches Manifest

Michel Friedman richtet sich mit seinem neuen Buch »Judenhass« bewusst an die allgemeine Öffentlichkeit, er appelliert aber auch an den innerjüdischen Zusammenhalt

von Eugen El  28.03.2024

USA

Daniel Kahneman ist tot

Der Wissenschaftler Daniel Kahneman kombinierte Erkenntnisse aus Psychologie und Ökonomie

 28.03.2024

Bildung

Kinderbuch gegen Antisemitismus für Bremer und Berliner Schulen

»Das Mädchen aus Harrys Straße« ist erstmals 1978 im Kinderbuchverlag Berlin (DDR) erschienen

 27.03.2024

Bundesregierung

Charlotte Knobloch fordert Rauswurf von Kulturstaatsministerin Roth

IKG-Chefin und Schoa-Überlebende: »Was passiert ist, war einfach zu viel«

 26.03.2024

Kultur

Über die Strahlkraft von Europa

Doku-Essay über die Theater-Tour von Autor Bernard-Henri Levy

von Arne Koltermann  26.03.2024

Projekt

Kafka auf Friesisch

Schüler der »Eilun Feer Skuul« in Wyk auf Föhr haben ihre friesische Version des Romans »Der Verschollene« vorgestellt

 25.03.2024

Berlin

Hetty Berg als Direktorin des Jüdischen Museums bestätigt

Ihr sei es gelungen, die Institution »als Leuchtturm für jüdisches Leben« weiterzuentwickeln, heißt es

 25.03.2024

Judenhass

Wie der Historikerstreit 2.0 die Schoa relativiert

Stephan Grigat: Der Angriff auf die »Singularität von Auschwitz« kommt nun von links

 25.03.2024