Heinz-Galinski-Schule

Schulleiterinnen gekündigt

Fünf Wochen vor den Sommerferien fordern Eltern Aufklärung

Ein Stück Identität: die jüdische Grundschule in Berlin-Charlottenburg Foto: imago

Fünf Wochen vor den Sommerferien fordern Eltern Aufklärung

Gabriela Hermer ist verunsichert. Ihr Sohn soll im September in der Heinz-Galinski-Schule (HGS) eingeschult werden, seine ältere Schwester besucht die jüdische Grundschule in Berlin-Charlottenburg bereits seit einigen Jahren. Bislang fühlte sich die Familie dort ausgesprochen wohl. Doch dieses Gefühl hat sich seit Anfang Juni abrupt verändert. »Wir machen uns Sorgen, wie es weitergehen wird«, sagt Gabriela Hermer nun. Grund dafür ist die fristlose Kündigung der beiden Schulleiterinnen Soraya Koziner und Martina Godesa durch die Jüdische Gemeinde zu Berlin, den Träger der Schule.

Bereits nach Schawuot, als ihr Sohn zu den Kennenlerntagen kam, habe sich laut Hermer ein Stimmungswechsel in der Elternschaft abgezeichnet. »Sonst war immer die Direktorin Soraya Koziner mit dabei. Diesmal fehlte sie«, sagt die Mutter. Vielen Eltern geht es wie ihr. Die Stimmung sei gedrückt. Seit rund 25 Jahren unterrichten Koziner und Godesa an der HGS, seit knapp elf Jahren gehörten sie dem Leitungsteam an. Seit dem Weggang der früheren Schulleiterin Noga Hartmann an die Frankfurter Lichtigfeld-Schule 2014 sorgten beide Pädagoginnen als Team für Kontinuität und leiteten die Schule kommissarisch.

»Wie man jetzt sieht, war das wohl ein Schleudersitz«, meint Ruth Kinet, Elternvertreterin in einer fünften Klasse. Es schmerze sie sehr zu erleben, dass »zwei Menschen, die so viel gegeben haben für diese Schule, jetzt so verletzt worden sind«. Beide seien »immer ansprechbar« gewesen für Fragen, Sorgen und Probleme.

Kinet beklagt vor allem die fehlende Transparenz seitens der Gemeindeführung. »Jede Art von Änderung – mag sie auch noch so begründet oder gut durchdacht sein – muss Rücksicht nehmen auf die Kinder«, findet sie. Denn Kinder seien »keine Objekte«. Man müsse ihnen gegenüber eine Sprache finden, in der man das Vorgehen erfasst, und ihnen die Möglichkeit geben, »Danke zu sagen oder sich zu verabschieden«. Immerhin repräsentiere die Schulleitung »ja auch ein Stück Identität«, meint Kinet.

differenzen Wie alle anderen Eltern hatte auch sie vor Schawuot ein Brief der beiden Direktorinnen erreicht. Darin setzten diese die Eltern davon in Kenntnis, dass sie der Gemeindeleitung in einem Schreiben mitgeteilt hätten, »die Funktion der Schulleitung – aufgrund unüberbrückbarer Differenzen mit Herrn Dr. Joffe – zum Ende des Schuljahres« aufzugeben. Es sei eine »äußerst schmerzhafte Entscheidung«, heißt es weiter. Die Lehrtätigkeit hingegen stand nicht zur Debatte – beide Lehrerinnen beabsichtigten, ihre Klassen bis zum Ende des Schuljahres weiter zu unterrichten. Martina Godesa wollte ihre 3. Klasse zudem auch im nächsten Schuljahr behalten.

»Das war schon keine schöne Situation für die Schule«, sagt Sarah Serebrinski, die gemeinsam mit Linda Szreider als Gesamtelternvertreterin agiert. Viele Eltern hätten darauf sehr bestürzt reagiert. Gerade diese beiden Lehrerinnen seien »die Seele und das Herz der Schule«, sagt etwa Liat Marweld, Mutter einer Fünftklässlerin und eines ehemaligen HGS-Schülers. Schon zu diesem Zeitpunkt sei unklar gewesen, wie es weitergehen solle, berichtet Sarah Serebrinski.

Noch vor den Pfingstferien setzten sich daher einige Eltern zusammen und schrieben am 24. Mai einen Offenen Brief an den Gemeindevorsitzenden Gideon Joffe, der der Jüdischen Allgemeinen vorliegt. Darin fordern sie ihn auf, die Rücktritte der beiden Direktorinnen, »die das Vertrauen der ganzen Elternschaft genießen«, zu erklären. Ferner erwarte man »einen respektvollen, transparenten und wertschätzenden Umgang mit den Lehrern, Erziehern und der Schulleitung«. Schließlich, so die dritte Forderung, sollten die Gehälter an die des Öffentlichen Dienstes angepasst werden. In der aktuellen Ausgabe der Gemeindezeitung »Jüdisches Berlin« schrieb Joffe indessen, dass es »unüberbrückbare« Differenzen gegeben habe. Er wolle »mit einer neuen Schulleitung neue Ufer erreichen«, heißt es in dem Text.

vertrauen Als Schüler und Eltern am ersten Schultag nach den Ferien die Klassenzimmer betraten, war der Rücktritt der beiden Schulleiterinnen längst von der fristlosen Kündigung seitens der Gemeinde zum 12. Juni überholt worden, berichtet Gabriela Hermer. Sie wisse gar nicht so richtig, wer die Kinder nun in den verbleibenden fünf Wochen bis zu den Zeugnissen unterrichte.

Mit den fristlosen Kündigungen sei »völlig unvermittelt eine neue Eskalationsstufe« erreicht, findet Ruth Kinet. Aus der Art und Weise, »wie die Gemeinde die beiden Schulleiterinnen, für die die HGS ja viel mehr als ein Arbeitsplatz war – ein Stück Zuhause –, mit einem solch groben Fußtritt herauskatapultiert« habe, ergebe sich »eine Spannung zu dem, was wir unseren Kindern versuchen zu vermitteln: wie Menschen miteinander umgehen sollten«. Schließlich sei die Schule »ein lebender Organismus«, betont die Elternvertreterin. Hinter jedem Kind stehe auch eine Familie. »Diese Schule lebt von dem Vertrauen, das die Eltern in die Schule setzen, in die Leitung, in die Lehrer. Dieses Vertrauen spiegelt sich in dem Vertrauen, das die Kinder in die Schule setzen.«

»Unsere Kinder stehen im Mittelpunkt und sollen ordentlichen Unterricht bekommen, sie hängen sehr an den Lehrerinnen«, sagt auch Sarah Serebrinski.

Für die Klassen der Schulleiterinnen gibt es eine neue Lehrerin, die die Stunden übernimmt. In einem früheren Brief vom 19. Mai, der der Jüdischen Allgemeinen ebenfalls vorliegt, hatten die Gesamtelternvertreter die Eltern über den Weggang von vier weiteren Lehrerinnen informiert. Die Gründe seien verschiedene, hätten aber mit den Verhältnissen innerhalb der Schule nichts zu tun, die als »weithin sehr gut zu bezeichnen« seien. Weiter stellen die Elternvertreter darin jedoch auch fest: »Es würde weniger vakante Stellen geben, wenn das Verhältnis zwischen Schulpersonal und Vorstand entspannter wäre und die Vergütung der Lehrer angepasst werden würde.« Die Höhe der Gehälter war in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert worden.

profil »Seit mehr als 30 Jahren macht die Heinz-Galinski-Schule eine ausgezeichnete Arbeit, dank der Lehrerinnen und Erzieherinnen, die dort nicht nur arbeiten, sondern, wie Sie (gemeint ist Gideon Joffe) selbst einmal gesagt haben, den Kindern ihre ganze Liebe geben«, schreiben die Eltern in dem Offenen Brief vom 24. Mai. Jetzt würden die Eltern das Werk dieser »einzigartigen Schule« gefährdet sehen, es drohe ein Exodus – nicht nur an Personal, auch an Familien.

Zuletzt war die HGS immer beliebter geworden, auch dank des Zuzugs israelischer Familien und des mehrsprachigen Unterrichtskonzepts auf Deutsch, Englisch und Hebräisch (vgl. JA vom 10. Juli 2016). 2016, zum 30-jährigen Jubiläum, verbuchte die Schule offiziell 330 Schüler – mehr als je zuvor. Doch das könnte sich nun ändern. Einige Eltern hätten ihre Kinder bereits abgemeldet, berichtet Liat Marweld.

Andere Familien überlegen ebenfalls, die Schule zu verlassen – zumal der Gemeindechef im »Jüdischen Berlin« ankündigte, das Schulgeld zu erhöhen. »Wir werden jetzt schon für zwei Kinder 750 Euro im Monat zahlen, da frage ich mich nun: Wofür eigentlich?«, überlegt Gabriela Hermer. Dabei war das Klima bisher gut, die Pädagogen würden hervorragende Arbeit leisten. Besonders schätzt sie an der Schule den Hebräischunterricht und das jüdische Profil »als Herzstück der Schule«. Hermers Tochter, die seit ihrem zweiten Lebensjahr Gemeindeeinrichtungen besucht, erst die Kita, dann die Grundschule, sind die Freundschaften wichtig. Dennoch ist die Mutter unsicher, ob sie die Kinder an der Schule lässt.

gespräch Auch Ruth Kinet sieht die Entwicklung der vergangenen Wochen skeptisch. »Die Schule ist ja kein rechtsfreier Raum. 93 Prozent der Mittel kommen von der Senatsverwaltung, da kann man nicht herrschen und regieren, wie man es möchte, sondern steht in der Verantwortung gegenüber den Familien und den Kindern«, so die Elternvertreterin. Ein Treffen der Eltern mit der Schulaufsicht ist laut Anja Teichert, Schulrätin für Schulen in privater Trägerschaft bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, in zwei Wochen geplant.

»Wir wollen zuversichtlich in die Zukunft schauen und gehen davon aus, dass wir vom Träger zeitnah darüber Informationen erhalten werden, ob es eine Nachfolge gibt und wie die freien Stellen besetzt werden«, heißt es im Brief der Gesamtelternvertreter an die Eltern vom 19. Mai. Bis dahin hat die Gemeinde Aaron Eckstaedt, Direktor des Moses Mendelssohn Gymnasiums, übergangsweise mit der HGS-Leitung betraut.

Die Schulleiterstelle werde neu ausgeschrieben, die vakanten Stellen nachbesetzt, sagte Gideon Joffe laut Elternvertretern am Dienstagabend bei einem Treffen mit den Eltern in der HGS. Joffe stellte sich deren Fragen und reagierte damit auf den Offenen Brief. Zu den Gründen der Kündigung von Martina Godesa und Soraya Koziner äußerte sich der Gemeindevorsitzende jedoch nicht.

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