Talmudisches

Rabbi Akivas Tochter und die Giftschlange

Wie Zedaka das Horoskop veränderte

von Konstantin Schuchardt  19.06.2017 18:06 Uhr

Mit einer Haarnadel tötete Rabbi Akivas Tochter eine Giftschlange, die sich in der Wandverkleidung versteckt hatte. Foto: Thinkstock

Wie Zedaka das Horoskop veränderte

von Konstantin Schuchardt  19.06.2017 18:06 Uhr

Ungefähr 90 Prozent der Menschen in Deutschland lesen regelmäßig ihr Horoskop. Wie das unter den Juden in talmudischer Zeit war, lässt sich nicht genau sagen. Doch ist anzunehmen, dass sich viele für ihr Horoskop interessierten. Unter ihnen war auch Rabbi Akiva, dem ein Sterndeuter voraussagte, wann genau seine Tochter sterben würde.

Die Astrologie ist seit biblischer Zeit Teil jüdischer Tradition. Da sie auch Teil der polytheistischen Kulte der Nachbarvölker Israels war, galt sie stets als verdächtige Praxis, der ein Beigeschmack von Götzenkult anhaftete. So heißt es in der Tora: »Hebe auch nicht deine Augen auf gen Himmel, dass du die Sonne sehest und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest ihnen« (5. Buch Mose 4,19).

An dieser Stelle wird ein Szenario entworfen, bei dem das Anschauen der Himmelskörper zum Abfall vom Glauben an den einen Gott führt und an seine Stelle die Verehrung der Sterne und Planeten tritt. Diese Idee von Gestirnen als selbstständig handelnden Akteuren, die man durch Gebete milde stimmen könne, passt nicht zur jüdischen Idee des einen, eifersüchtigen Gottes. Sie hat aber auch nicht viel mit unserem heutigen Verständnis von Astrologie zu tun.

Horoskop Astrologie, abgeleitet von den griechischen Wörtern »astron« (Stern) und »logos« (Lehre), also die Deutung von astronomischen Ereignissen in Bezug auf irdische Geschehnisse, wird im Babylonischen Talmud breit diskutiert und nicht per se abgelehnt. Im Traktat Schabbat erklärt Rabbi Chanania, ein Sternbild mache den einen weise und den anderen reich. Die Sternbilder beeinflussten auch das jüdische Volk.

Rabbi Jochanan erwidert, die Konstellation der Sterne wirke nicht auf das Leben der Juden ein. Er belegt dies mit dem Vers: »Ihr sollt nicht nach der Heiden Weise lernen und sollt euch nicht fürchten vor den Zeichen des Himmels, wie die Heiden sich fürchten« (Jirmejahu 10,2). Die eingangs erwähnte Erzählung aus demselben Traktat mit der namenlosen Tochter Rabbi Akivas, ihrem Vater und einer Giftschlange als Protagonisten soll belegen, dass die Sternkonstellation keinen Einfluss auf Israel hat. Sterndeuter hatten Rabbi Akiva nach der Geburt seiner Tochter prophezeit, sie werde am Tag ihrer Hochzeit, wenn sie unter den Traubaldachin träte, von einer Giftschlange gebissen und würde daran sterben.

An besagtem Tag steckte die junge Frau ihre verzierte Haarnadel in ein kleines Loch in der Holzwand ihres Zimmers. Die Haarnadel durchstieß das Auge ihrer Schicksalsschlange und tötete sie.

Am nächsten Morgen, als die Frau die Haarnadel wieder herauszog, kam die tote Schlange zum Vorschein. »Das ist wirklich ein Wunder!«, rief Rabbi Akiva aus und fragte seine Tochter: »Sag mir, was hast du gestern getan?«

Hochzeit Seine Tochter berichtete: »Am Abend kam ein armer Mann und klopfte an die Tür. Die ganze Gesellschaft war derart mit dem Hochzeitsfest beschäftigt, dass niemand Notiz von ihm nahm. Da stand ich auf und gab ihm die Portion, die du mir gegeben hattest.« Akiva sagte zu seiner Tochter: »Du hast eine große Mizwa getan und wurdest um ihretwillen vor dem Tod gerettet.«

Von da an lehrte Rabbi Akiva: »Gerechtigkeit (Zedaka) errettet vor dem Tod« – ein Vers aus Mischlei, dem biblischen Buch der Sprüche, das König Salomo zugeschrieben wird. Die Geschichte von Rabbi Akivas Tochter ist eine von vier Erzählungen im Traktat Schabbat, die illustrieren sollen, warum Israel »keinen Stern hat« (Traktat Nedarim).

Sie zeigen aber keinesfalls, dass der Lauf der Gestirne für Juden unerheblich ist, sondern dass die Prophezeiungen der Astrologen nicht unabwendbar sind.

Die Erzählung von der Tochter Rabbi Akivas lehrt, dass man sich nicht dem Fatalismus hingeben soll. Vielmehr kann man sein Schicksal aktiv gestalten, unabhängig davon, unter welchem schlechten Stern es steht oder was das Horoskop (das man rein zufällig beim Zahnarzt im Wartezimmer in die Finger bekommen hat) einem prophezeit.

Israel

Historische Entscheidung: Gericht stoppt Gelder für Jeschiwa-Studenten

Der Staat darf kein Geld mehr an religiöse Hochschulen zahlen, die ihre Studenten nicht zum Militärdienst schicken

von Sabine Brandes  29.03.2024

Cannabis

Halachisch high?

Das grüne Rauschmittel wird in Deutschland erlaubt. Doch wie steht das jüdische Gesetz dazu?

von Vyacheslav Dobrovych  29.03.2024

Anim smirot

Zu heilig für jeden Tag

Die Verse, die nur am Schabbat oder an Feiertagen gesungen werden, gelten als besonders erhaben

von Rabbiner Avraham Radbil  29.03.2024

Zaw

Gewaltprävention

Die Vorschriften für die Opferungen haben ihren tiefen Sinn bis heute nicht verloren

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  29.03.2024

Talmud

Dem Tod so nah

Was die Weisen der Antike über den Zustand zwischen Diesseits und Jenseits lehren

von Vyacheslav Dobrovych  29.03.2024

Basel

Basler Rabbiner übersetzt Talmud-Traktat über Purim 

Zu seinem Abschied hat Moshe Baumel das kürzeste Talmud-Traktat ins Deutsche übersetzt

von Peter Bollag  25.03.2024

Wajikra

Sozial gestaffelt

Die Tora lehrt, dass arme Menschen für ihre Vergehen Tauben statt Schafe oder Ziegen opfern müssen

von Rabbiner Avraham Radbil  22.03.2024

Purim

Der große Plot-Twist

Von der Megillat Esther lernen wir, das Schicksal zu wenden und unsere Zukunft besser zu gestalten

von Rabbiner Akiva Adlerstein  22.03.2024

Berlin

Purim für Geflüchtete

Rabbiner Teichtal: »Jetzt ist es wichtiger denn je, den Geflüchteten die Freude am Feiertag zu bringen«

 21.03.2024