Hamburg

Ein Jahrzehnt im Grindelviertel

Der Kinderchor der Jüdischen Gemeinde Hamburg hatte zum Tag der offenen Tür Lieder einstudiert. Foto: Moritz Piehler

Schon von Weitem hallt israelische Popmusik über das Gelände der Hamburger Universität. Auf dem Platz der ehemaligen Synagoge im Grindelviertel herrscht aufgeregtes Gewusel. Nirgendwo sonst in der Hansestadt liegt altes und neues jüdisches Leben so dicht beieinander wie hier. Ein buntes Zelt ist aufgebaut, rund um den Platz Stände und Spielflächen. Die Hamburger Gemeinde feiert hier das zehnjährige Jubiläum der Rückkehr ins Grindelviertel.

Bei Open-Air-Veranstaltungen in Hamburg macht man sich grundsätzlich Sorgen um das Wetter. Umso froher sind alle Beteiligten, dass an diesem Juni-Sonntag wunderschönes Sommerwetter herrscht. Auch Landesrabbiner Shlomo Bistritzky freut sich: »Wir haben in der vergangenen Woche natürlich immer geguckt, wie es wohl wird, jetzt ist es sogar ein bisschen wärmer, als wir gehofft hatten.«

Offenheit Der Rabbiner ist hochzufrieden mit dem Fest. Schon lange sei solch eine offene Veranstaltung geplant gewesen, der Erfolg zeige nun, dass es vielleicht zu einem jährlichen Ritual werden könnte, hofft Bistritzky. »Viele fragen sich doch: Was ist hinter dem Zaun? Die Sicherheit ist dann eine große Hemmschwelle für Besucher«, meint der Rabbiner. Dann wird das Gespräch unterbrochen, weil ein älterer Herr sich dazu gesellt. »Entschuldigen Sie, sind Sie der Rabbi?«, fragt der Besucher Bistritzky. Um dann sein Interesse als gläubiger Christ am Judentum und der Gemeinde zu bekunden. Er hatte bei einem Gottesdienst am Morgen von dem Jubiläumsfest erfahren und sich sofort aufgemacht, um die Jüdische Gemeinde selbst kennenzulernen.

Über allem liegt die Geräuschdecke von spielenden und lachenden Kindern, die den ganzen Platz in Besitz genommen haben. Sie können sich schminken lassen oder riesige Seifenblasen in den blauen Sommerhimmel pusten. Inzwischen hat sich ein Kinderchor vor dem Kreativzelt aufgebaut und gibt Lieder zum Besten. Die Jüngsten beäugen das Ganze eher vorsichtig von der Seite, im Zelt dahinter wird im Schatten gebastelt und gemalt.

Mitten unter ihnen sind auch die Kinder von Philipp Stricharz, dem zweiten Vorsitzenden der Hamburger Gemeinde. Auch er ist sehr zufrieden mit dem Sommerfest: »Es ist schließlich das erste fröhliche Event, das seit der Schoa an dieser Stelle stattfindet.« Es gehe auch darum, ganz bewusst zu zeigen, dass die Jüdische Gemeinde da ist und auch ihren Platz in der Stadt hat. Gerade der Schritt der Öffnung sei wichtig, um Grenzen abzubauen. »Wir haben zwar einen Tag der Offenen Tür an der Schule, aber faktisch ist die Tür durch die Sicherheitsmaßnahmen leider gar nicht wirklich offen«, sagt Stricharz. Er deutet über den Platz, auf dem gerade Kinder den Tricks eines Zauberkünstlers folgen, während im Hintergrund die Jugendband spielt. »Das hier – Musik, Essen, Lebendigkeit – ist das jüdische Leben, das wir zeigen wollen«, sagt Stricharz stolz. Und besonders wichtig sei es eben als Statement, an die Stelle zurückzukehren, die einmal Zentrum des jüdischen Lebens in Hamburg gewesen ist.

Kita
Die angrenzende Kita und die Schule seien essenziell für den Bestand der Gemeinde. »Gerade die jetzigen Zehntklässler engagieren sich sehr. Sie sind Keimzelle eines lebendigen Gemeindelebens«, befindet Stricharz. Denn wie viele Gemeinden in Deutschland leidet natürlich auch Hamburg unter sinkenden Mitgliederzahlen. 2500 sind es momentan offiziell. Man kann es nicht schönreden, sagt Stricharz. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass die jüngere Generation teilnimmt, die eben auch für eine Verwurzelung in der nichtjüdischen Umgebung der Gemeinde sorgt. Viele der Nachbarn sind zum Fest gekommen, natürlich auch viele Gemeindemitglieder, zwei, drei Lokalpolitiker und ein Kamerateam vom Norddeutschen Rundfunk, was ebenfalls die Sichtbarkeit erhöht. Stricharz’ jüngster Sohn zupft am Ärmel, es gilt, Lose am WIZO-Stand zu kaufen.

Gerd Gerhard, der die Joseph-Carlebach-Schule seit sieben Jahren leitet, hat gerade eine spannende Zeit hinter sich. Der zehnte Jahrgang hat den Mittleren Abschluss absolviert, das erste Mal seit der Schoa an einer jüdischen Schule in Hamburg. Damit bildet der kleine Jahrgang aus nur zwölf Schülern im kommenden Schuljahr die erste Oberstufe auf dem Weg zum Abitur 2020, dem nächsten großen Ziel Gerhards.

2007 besuchten lediglich diese zwölf Schüler die wiedereröffnete Stadtteilschule, zum nächsten Schuljahr werden es 170 sein. »Bisher bleibt der Zuwachs recht stabil bei sieben bis 15 Prozent«, erklärt der Schulleiter. Seit Jahren baut er ein Kollegium auf, das auch den Herausforderungen der Oberstufe gewachsen ist. 23 Lehrkräfte hat die Schule mittlerweile, hinzu kommen noch einige Honorarkräfte.

räume Besonders stolz ist Schulleiter Gerhard darauf, dass sein Haus von der Kindertagesstätte bis zum Abitur Kinder jeder Altersstufe betreuen wird. Dazu braucht es natürlich auch mehr Räume. Nach längeren Verhandlungen mit der Stadt wird ab 2018 wohl ein Teil der Unigebäude, die an das Schulgelände grenzen, von der Joseph-Carlebach-Schule mitgenutzt werden.

In der Nachbarschaft fühlt sich Gerhard gut eingebunden. Bisher habe er nur positive Rückmeldungen bekommen. Allerdings lässt die öffentliche Wahrnehmung der Schule noch zu wünschen übrig: »Manch einer in der Hamburger Bürgerschaft ist überrascht, dass es überhaupt eine jüdische Schule in der Stadt gibt«, sagt Gerhard. Aber jetzt stehen erst einmal die Zeugniskonferenzen an, und dann beginnen die heiß ersehnten Sommerferien auch für die herumtollenden Kinder auf dem Jubiläumsfest.

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