Sechstagekrieg

Heiliges Land

Vor 50 Jahren, im Juni 1967, eroberte Israel im Sechstagekrieg unter anderem das Westjordanland – Gebiete, die den Israeliten in der Tora versprochen wurden. Wir haben sechs Rabbiner und eine Rabbinerin in Deutschland gefragt: Gehört dieses Land, das in der Tora als Judäa und Samaria bezeichnet wird, wirklich uns? Hat Gott es uns gegeben, damit Juden es verwalten sollen? Oder sollte man dieses Versprechen Gottes nicht wörtlich nehmen – und vor allem eine friedliche Regelung mit den Nachbarn anstreben? Und darf man auf Land, das Gott dem Volk Israel versprochen hat, denn überhaupt verzichten?

Avichai Apel, orthodoxer Rabbiner in Frankfurt am Main
Gott hat unserem Urvater Awraham versprochen: »Deinem Samen habe ich dieses Land gegeben.« Unser Recht auf Eretz Israel ist ein historisches Recht, aber vor allem ist es ein Geschenk so wie die Tora. Mit Eretz Israel ist das ganze Israel gemeint. Wir sind 1967 nicht ausgezogen, um Gebiete zu erobern, sondern wir haben uns gegen einen grausamen Feind verteidigt. Um unser Recht auf Eretz Israel zu wahren, müssen wir uns aber an moralische Regeln halten. Gott hat uns das Land gegeben, um es zu bewahren und zu entwickeln. Wir müssen in Frieden mit unseren Nachbarn leben, genauso, wie sie mit uns in Frieden leben müssen. Wenn sie aber kommen und Teile des Landes fordern, müssen wir uns daran erinnern, dass es nicht nur ein Recht auf Eretz Israel gibt, sondern auch eine Pflicht: Wir müssen unser Heiliges Land bewahren und darauf für immer und ewig jüdisches Leben errichten. Es ist eine Mizwa, gegen jeden Feind zu kämpfen, der unsere Existenz und unser Land gefährden möchte.

Nils Ederberg, Masorti-Rabbiner in Berlin
Religion und Politik haben nichts miteinander zu tun? Das Judentum ist da anderer Meinung! Der Dreiklang von Gott, Volk und Land ist und bleibt ein Grundmotiv der Tora. Mit brutaler Deutlichkeit lesen wir aber auch in der Tora, was passiert, wenn wir nicht nach Gottes Willen handeln. Die erste Vertreibung aus dem Land führt die Tora nicht zuletzt auf die Ausbeutung der Armen und Schwachen zurück. Den Grund der zweiten Vertreibung sieht die rabbinische Literatur in »sin’at chinam« – in grundlosem Hass. 2000 Jahre hat das Judentum sich bemüht, Fundamentalisten keinen Raum zu geben. Ihr Hass ist selbstzerstörerisch und vermag andere nur als Feinde zu sehen. Wenn wir heute keine Gerechtigkeit für alle Bewohner des Landes schaffen, so wird Gott uns wieder ins Exil schicken. So einfach und so bitter ist es.

Zsolt Balla, orthodoxer Rabbiner in Leipzig
Wir religiöse Juden sind sicher, dass Gott als Handelnder hinter allen Ereignissen steht, verstehen seine Wege aber nicht immer. Das jüdische Volk hat das Heilige Land in den vergangenen 2000 Jahren niemals aufgegeben. Aus religiöser Perspektive ist klar, dass Jerusalem und das Westjordanland Teil des Heiligen Landes sind. Dies zu leugnen, käme einer Verleugnung unseres religiösen Erbes gleich. Es bedeutet aber dennoch nicht, dass wir prinzipiell das Recht haben, einen Krieg zu beginnen, um diese Gebiete zu bewahren. Das jüdische Volk wäre mit den Grenzen von 1948 zufrieden gewesen. Kriegstreiberei und Krieg waren niemals Sache der Juden. Aber durch die Kriege von 1948/49 und 1967 und ihre Folgen waren und sind wir verpflichtet – auch nach der Halacha –, uns zu verteidigen und alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Schaden von unserem Volk abzuwenden. Wir sollen aber immer friedliche Mittel und Wege suchen, um Probleme zu lösen. So war es in der Vergangenheit, und auch in der Zukunft sollte dies immer der erste Schritt sein.

Elischa Portnoy, orthodoxer Rabbiner in Dessau
Der Lubawitscher Rebbe, Menachem Mendel Schneerson, hat betont, dass die Tora ihre Gültigkeit für immer und ewig hat. Wir sollen das Versprechen G’ttes, uns das Heilige Land zu geben, also absolut wortwörtlich nehmen. Keine Regierung darf aus Sicherheitsgründen auch nur einen Zentimeter des Landes abgeben, weil es ein Erbe des Volkes ist. Bemerkenswert ist, dass der berühmte Gelehrte Raschi (Schlomo ben Jizchak, 1040–1105) gleich seinen ersten Torakommentar dieser Frage gewidmet hat. Dort erklärt Raschi, dass die Tora nur deshalb mit der Geschichte von der Erschaffung der Welt beginnt, um zu zeigen, dass die ganze Erde G’tt gehört – und Er entscheidet, welchem Volk er das Land zur Verfügung stellt. Weiter in der Tora finden wir die genaue Beschreibung der Grenzen des Landes Israel. Das Westjordanland gehört ganz offensichtlich zum Land Israel, wie es im 4. Buch Mose 34, 10–12 beschrieben wird: »Und ihr sollt die Grenze nach Osten ziehen (...) längs der Höhen östlich vom See Kinneret und komme herab an den Jordan, dass ihr Ende sei das Salzmeer. Das sei euer Land mit seiner Grenze ringsherum.«

Raphael Evers, orthodoxer Rabbiner in Düsseldorf
Ich nehme das Versprechen Gottes, dem Volk Israel das Land zu geben, wörtlich. Trotzdem sind für mich persönlich die Argumente bezüglich Lebensgefahr und Sicherheit kritisch. Die Trennung von Völkern ist vermutlich ein guter Schritt in Richtung Frieden. Wie auch immer, letztendlich wird der Frieden kommen, und das jüdische Volk wird sich seiner Hauptaufgabe widmen können: der Entfaltung des spirituellen Potenzials der Menschheit. Dann wird es sich auch bewahrheiten, dass »von Zion die Tora ausgehen wird«. Israel muss ein geistiges Weltzentrum werden, letztendlich für alle Religionen. Es geht schließlich nicht um territoriale Ansprüche, sondern um einen erhabenen religiösen Auftrag.

Ulrike Offenberg, liberale Rabbinerin in Hameln
Eretz Israel ist unverzichtbar – seit dem Entstehen einer Diaspora nach der Zerstörung des Ersten Tempels hat das Judentum wohl außerhalb des Landes, aber niemals ohne Bezug auf das Land existiert. Das Land kann nicht aufgegeben werden, denn es ist Teil des Bundes zwischen Gott und Israel. Gott sagt aber: »Mein ist das Land, ihr seid nur dessen Bewohner« (2. Buch Mose 25,23). Es gibt keine menschliche Besitzerschaft, nur den Auftrag Israels, es so zu verwalten und sich selbst so zu führen, wie es unseren Bundesverpflichtungen entspricht. Religiös wäre es denkbar, die Verwaltung über das Westjordanland aufzugeben, sofern das Frieden und Sicherheit für den Rest des Landes bringt und der Zugang zu Heiligen Stätten jederzeit und uneingeschränkt gewährleistet ist. Wenn wir theologische Argumente in der politischen Auseinandersetzung benutzen, müssen wir uns auch selbstkritisch fragen, ob wir diesen religiösen Ansprüchen in unserem eigenen Verhalten, in der Art der Verwaltung dieses Landes gerecht werden.

Salomon Almekias-Siegl, liberaler Rabbiner in Hamburg

Das Buch Josua bietet eine detaillierte Beschreibung der Grenzen Israels. Das Land erstreckt sich von der Wüste bis zum Libanon, und der Euphrat markiert die Ostgrenze des von Gott verheißenen Landes. Diese idealen Grenzen schließen auch das Westjordanland, Syrien und den Libanon mit ein. Theologisch gesehen, darf man bei den historischen und biblischen Grenzen keine Abstriche machen. Sie entsprechen einer Geburtsurkunde, die nicht gefälscht werden darf. Um aber wahren Frieden zu erlangen, ist es geboten, einen Kompromiss zu finden, der auch damit einhergehen kann, dass Israel Abstriche bei seinen Landesgrenzen zulässt. Leider gestalten sich aber die Verhandlungen schon seit der Entstehung des Staates Israel als äußerst schwierig, da die palästinensische beziehungsweise arabische Seite zerstritten ist und sich bis heute kein Ansprechpartner findet, der für alle beteiligten Parteien sprechen könnte. Israel aber braucht einen Frieden mit Sicherheit, der seinem Feind Nummer eins, dem arabischen Terror, ein Ende bereitet.

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