Lag BaOmer

»Gelebte Einheitsgemeinde«

Kommt er, oder kommt er nicht? Gemeint war der Regen, der für den vergangenen Sonntag angekündigt war. Doch bis auf ein paar Tropfen am späten Nachmittag ließ er sich nicht blicken.

Dafür strömten umso mehr Besucher in den Garten des Seniorenzentrums der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in die Dernburgstraße, um Lag BaOmer zu feiern. »Aber nicht nur das«, wie Rabbiner Boris Ronis betont. »Zugleich ist es auch eine Art Premiere.«

strömungen Denn erstmals luden sieben Berliner Synagogen gemeinsam zu einem Event ein. »Das hat es in dieser Form noch nie gegeben – bis jetzt.« Angefangen von der Synagoge Rykestraße, deren Gemeinderabbiner Ronis seit Dezember ist, waren die Synagogen Fraenkelufer, Pestalozzistraße, Sukkat Schalom und Oranienburger Straße, die Zentrale Orthodoxe Synagoge Joachimsthaler Straße sowie der Minjan LeDor Wador des Jeanette-Wolff-Heims an der Planung und Organisation beteiligt – sie alle zogen an einem Strang. Zur Seite standen ihnen zahlreiche Helfer des Jugendzentrums Olam und vom American Jewish Joint Distribution Committee (JDC).

Damit war den Organisatoren das auf den ersten Blick fast Unmögliche gelungen: so gut wie alle Strömungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft der Hauptstadt irgendwie unter einen Hut zu bringen. Und dafür schien ein Tag wie Lag BaOmer geradezu prädestiniert zu sein.

»Schließlich wird dabei ordentlich gefeiert und ein Freudenfeuer angezündet«, bringt es Rabbiner Ronis auf den Punkt. »Im Vordergrund steht das Zusammensein von uns als Juden. Besonders in der Diaspora ist es von immenser Wichtigkeit, auf das uns Verbindende zu verweisen.« Von den Anhängern der Reformbewegung bis hin zur Orthodoxie reichte die Palette. So ziemlich jede Richtung war vertreten.

Parallel zu dem Gemeindefest hatte Chabad Lubawitsch seine bunte Parade für Frieden und Toleranz mit mehreren Hundert Teilnehmern sowie anschließendem Grillfest veranstaltet – auch dies ein Indiz dafür, wie vielfältig jüdisches Leben in Berlin mittlerweile sein kann.

familien In der Dernburgstraße standen ebenfalls die Familien im Mittelpunkt. »Wir haben das Lag-BaOmer-Fest von Anfang an als eine Art Mehrgenerationenprojekt geplant«, skizzierte Nina Peretz, Vorsitzende des Vereins Freunde des Fraenkelufers, das Konzept. »Jung und Alt sollten zusammengebracht werden.«

Genau deshalb fiel die Wahl auf den Garten des Seniorenzentrums. »Wir wollten, dass die älteren Gemeindemitglieder, die hier ihren Lebensabend verbringen, gemeinsam mit Kindern und deren Eltern sowie Jugendlichen einen tollen Tag erleben können. Und das nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Akteure.«

Ganz offensichtlich ging dieser Plan auf. Für die Kleinen ist das Anzünden der Medura, des Freudenfeuers, eine aufregende Angelegenheit. Zudem bot das Gelände viel Platz, um sich auszutoben und mit anderen Kindern zu spielen. Und die Erwachsenen konnten entspannt bei einem Getränk miteinander ins Gespräch kommen.

Überall sah man kleine Gruppen, die sich angeregt auf Deutsch, Russisch, Hebräisch oder Englisch unterhielten – ein weiterer Beweis dafür, dass man wirklich alle erfolgreich mit dem Lag-BaOmer-Fest anzusprechen vermochte. Alte Freunde begrüßten einander herzlich, neue Bekanntschaften wurden geschlossen. Es herrschte ein reges Kommen und Gehen.

jiddischkeit Währenddessen leisteten die vielen Freiwilligen vom Jugendzentrum Olam am Grill Schwerstarbeit, und einige Senioren packten mit an – so wie Manfred Friedländer am Getränkestand, immerhin Jahrgang 1934. Er stemmte sogar Saftkisten und sorgte dafür, dass der Bier- und Weinnachschub reibungslos klappte.

Der langjährige Gabbai der Pestalozzistraße ist zugleich auch die treibende Kraft hinter dem Minjan im Seniorenzentrum. »Heute geschieht genau das, wofür eigentlich jeder Vorsitzende in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gekämpft hat oder hätte kämpfen sollen«, sagt er sichtlich bewegt. »Aus der ganzen Stadt kommen Juden zusammen und feiern. Und niemanden interessiert wirklich, welcher religiösen Richtung der andere angehört.«

Für ihn und seinen Gebetsraum gibt es sogar noch eine kleine Überraschung, als Heinz Rothholz, Gabbai in der Pestalozzistraße und ein alter Freund Friedländers, ihm vor allen Gästen feierlich einen handwerklich wunderschön gestalteten Jad überreicht, einen Zeigestab für die Toralesung, den er einst selbst einmal geschenkt bekommen hatte.

»Die Idee der Organisatoren, gemeinsam mit dem Jeanette-Wolff-Heim das Fest zu Lag BaOmer auszurichten, fand ich wirklich großartig«, sagt Rothholz. Auch hat er eine Erklärung dafür, warum ausgerechnet das Seniorenzentrum die perfekte Party-Location ist. »Hier wohnen Mitglieder aus allen unseren Synagogengemeinden unter einem Dach zusammen, hier gibt es noch gelebte Jiddischkeit.« Zudem handele es sich um genau die Generation, die den Grundstein für das jüdische Leben im Nachkriegs-Berlin gelegt hat. »Wenn es wirklich einen Ort gibt, auf den sich die verschiedenen Strömungen unserer Gemeinschaft einigen können, dann muss es ja wohl dieser sein.«

potenzial Auf einen weiteren Aspekt machte Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, aufmerksam: »Heute ist der 14. Mai – der Tag, an dem vor 69 Jahren der Staat Israel gegründet wurde, – ein Grund mehr, kräftig zu feiern.« Die Tatsache, dass sich erstmals sieben Synagogengemeinden zusammenfanden, um gemeinsam ein Fest zu organisieren, könnte seiner Einschätzung zufolge auch als eine Reaktion auf das sich verändernde gesellschaftliche Klima in Deutschland gedeutet werden.

»Der Druck auf uns als jüdische Gemeinschaft ist größer als früher. Vielleicht lässt uns das ja alle ein wenig enger zusammenrücken.« In diesem Kontext hält Joffe es nicht für unmöglich, dass von dem Event in der Dernburgstraße sogar eine Signalwirkung ausgehen kann.

»Das Lag-BaOmer-Fest heute hat gewiss das Potenzial, der Anfang einer wunderbaren Tradition zu werden.« Die Zahlen sprechen jedenfalls dafür: Mehr als 700 Besucher wurden im Verlauf des Nachmittags und frühen Abends gezählt.

resonanz »Für mich ist diese überwältigende Resonanz ein Anzeichen dafür, dass Pluralität bei uns ganz oben auf der Agenda steht«, erklärt wohl stellvertretend für viele Boris Moshkovits, regelmäßiger Beter in der Rykestraße. »Wenn sieben Synagogen erfolgreich zusammenarbeiten können, erfüllt das den Gedanken der Einheitsgemeinde mit neuem Leben.«

JDC-Repräsentantin Anja Olejnik begrüßte vor allem den generationenübergreifenden Ansatz. »Genau das wollen wir mit unseren Angeboten weiter vorantreiben.« Der gleichfalls anwesende Rabbiner Yitshak Ehrenberg von der Zentralen Orthodoxen Synagoge konnte dem Gesagten nur zustimmen. »Wenn alle Strömungen zusammenkommen, wie heute zu Lag BaOmer, dann hat das schon einen hohen Symbolwert. Und den Bewohnern des Elternheims wird auch noch Freude bereitet. Was kann man sich mehr von einem solchen Feiertag wünschen?«

instagram Gefeiert wurde noch bis in den Abend hinein. Ein Highlight war zweifelsohne der New Yorker Comedian und Instagram-Star Garik Suharik mit seinen Parodien auf russisch-jüdische Großmütter. Seine Teilnahme ging auf die Initiative von Emanuel Adiniaev zurück, Gemeinderepräsentant mit dem Schwerpunkt Jugendarbeit. »Bei den Vorbereitungen ist so manches neue Gesicht zu uns gestoßen«, erzählt er.

Die Gemeinderabbiner Boris Ronis und Jonah Sievers zeigten, dass Veranstalter nicht nur gemeinsam organisieren können: Zu späterer Stunde sangen sie zusammen mit Nina Peretz und Emanuel Adiniaev auf der Bühne den alten Hit »YMCA« der Village People – und lieferten dazu auch noch eine Tanz-Performance.

 

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