Barbra Streisand

Das Märchen vom hässlichen Entlein

Wie die lange Zeit unterschätzte Sängerin zu einer der erfolgreichsten Künstlerinnen der Welt wurde

von Julia Spinola  19.04.2017 13:05 Uhr

Feiert am 24. April ihren 75. Geburtstag: Barbra Streisand Foto: dpa

Wie die lange Zeit unterschätzte Sängerin zu einer der erfolgreichsten Künstlerinnen der Welt wurde

von Julia Spinola  19.04.2017 13:05 Uhr

In unserer Zeit der geklonten Hochglanzgesichter und des operierten Einheitslooks ist eine solche Karriere kaum mehr vorstellbar: Eine Diva wie Barbra Streisand, die sich allem Drängen zum Trotz weigert, ihre prononcierte Nase und ihren leichten Silberblick kosmetisch korrigieren zu lassen, käme damit heute nicht einmal mehr bei Heidi Klums Supermodelshow in die nächste Runde. Dabei waren es gerade auch ihre kleinen ästhetischen Makel, die Barbra Streisand schließlich zur erfolgreichsten Entertainerin der USA aufsteigen ließen.

Sich selbst hat sie einmal als einen »lebenden Ikonoklasmus« bezeichnet, als eine »feministische, jüdische, meinungsstarke, freie Frau«. Die Männer hat Barbra Streisand scharenweise verhext mit ihrem sphinxhaften Blick, ihrem Sex-Appeal und ihrem Witz. Und das Publikum liegt ihr bis heute zu Füßen bei ihren inzwischen raren Auftritten. Mit unbeirrbarem Willen hat sich Barbra Streisand ihren Einstieg ins Showgeschäft erarbeitet und dabei schon früh den Ruf einer genialischen Nervensäge erworben. Ihre Geschichte klingt wie das real gewordene Märchen vom hässlichen Entlein, das durch harte Arbeit zum schönen Schwan mutiert.

Tipp­se Geboren als Barbara Joan Streisand am 24. April 1942, wuchs sie in einer ärmlichen jüdischen Familie in Brooklyn auf. Ihr Vater starb, als sie 15 Monate alt war. Früh wusste sie, dass sie Schauspielerin werden wollte. Von der Mutter hörte sie, dass sie dafür zu hässlich sei und lieber Sekretärin werden solle, wie sie selbst. Die Streisand aber ließ sich daraufhin die Fingernägel so lang wachsen, dass sie mit Sicherheit niemals eine Schreibmaschine hätte bedienen können, strich sich ein »a« aus ihrem Vornamen, um ihn unverwechselbarer zu machen, und hielt sich mit Putzjobs über Wasser.

Ihre außergewöhnliche Stimme verhalf ihr nach den ersten Auftritten in New Yorker Nacht- und Schwulenclubs zu einem kometenhaften Aufstieg. Nuancenreich und charakteristisch ist diese Stimme und kann sich mühelos von einer schier infiltrierenden Süße zu dramatischer Intensität oder zu einem aufsässig rauen Timbre wandeln.

Am Broadway gelang ihr 1962 als überarbeitete jüdische Sekretärin »Miss Marmelstein« der Durchbruch – und das, nachdem ihr der Regisseur prophezeit hatte, dass sie es niemals nach oben schaffen würde. Was auch immer Barbra Streisand anpackte: Sie schuf ihr eigenes Genre. Um die 70 Alben hat sie seither aufgenommen, etwa 20 Filme gedreht und alles an Preisen abgeräumt, was die Branche hergibt.

Hadassah Seit jeher war sie außerdem von einem leidenschaftlichen Willen angetrieben, die Welt zum Besseren zu verändern. Umweltschutz, Frauenrechte, Gleichberechtigung für Homosexuelle, der Kampf gegen Massenvernichtungswaffen, Projekte für Arbeitslose – die Liste ihrer Initiativen ist lang.

Für ihren Einsatz in der zionistischen Frauenorganisation Hadassah wurde ihr 1995 eine Ehrendoktorwürde verliehen. Ebenso wie zu ihrem Feminismus und zu ihrem politischen Engagement stand Barbra Streisand auch von Anbeginn ihrer Karriere zu ihrem Judentum, das immer wieder eine zentrale Rolle in ihren Filmen spielt.

Ihre spezifische Mischung aus Unsicherheit und produktiver Selbstüberschätzung, ihr Eigensinn, ihr Charme, ihre Exzentrik und ihre entwaffnende Fähigkeit zur Selbstironie haben Barbra Streisand zu einer der letzten echten Diven werden lassen. Konsequent weigert sie sich, sich auf den üblichen Hochglanz-Mainstream zurechtstutzen zu lassen. Und gerade dies trägt zu jenem Charisma bei, das sie bis heute so unwiderstehlich macht.

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024