Gebot

Du sollst nicht fremdgehen

Ein Dritter betritt die Bühne und kann alles zerstören. Es beginnt ganz harmlos, mit einem netten Blick, einem kurzen Gespräch – und irgendwann kommt es zu einer unerwarteten Intimität. Foto: Thinkstock

Streit, Scheidung, kaputte Familien, traurige und verletzte Kinder – das sind nur einige der Folgen des Ehebrechens. Vor allem im Zehnwort vom Sinai, den sogenannten Zehn Geboten, teilt G’tt uns seine Meinung und seinen Befehl mit, wie man mit Intimität und romantischer Beziehung umgehen sollte.

Der Glaube an G’tt, die Ablehnung von Götzen, das Halten des Schabbats – all diese Gebote beschreiben das religiöse Leben. Doch nicht weniger wichtig sind die zwischenmenschlichen Beziehungen. Auch in diesem Bereich werden wir in den Zehn Geboten aufgefordert, bestimmte Normen zu halten, zum Beispiel: »Lo tinaf« – »Du sollst nicht ehebrechen« (2. Buch Mose 20,15).

Knopfdruck Der Talmud befasst sich wenig mit dem Thema Ehebruch. Aber wir leben in einer Zeit, in der wir uns damit beschäftigen müssen. Vieles ist heute für jeden Menschen schnell und einfach zu haben. Man sitzt zu Hause, und die ganze Welt ist mit einem Knopfdruck oder Touch erreichbar.

Der Babylonische Talmud sagt, es gebe keine Garantie im Umgang mit dem Sexualtrieb. Viele haben gedacht und sind sich sicher gewesen, sie seien vor Verführungen geschützt. Die Ehe funktioniert wunderbar, man erfreut sich aneinander, alles läuft gut. Doch dann betritt eine dritte Person die Bühne und kann alles zerstören.

Da bemüht man sich jahrelang, füreinander da zu sein, verzeiht, versteht, ergänzt einander und tut alles für den anderen – und plötzlich ist alles vorbei. Die dritte Person, sei es ein Mann oder eine Frau, schafft eine völlig neue Situation. Es beginnt ganz harmlos, mit einem netten Blick, einem kurzen Gespräch, und irgendwann kommt es zu einer unerwarteten Intimität.

Ein gesunder Mensch vertraut seinem Partner. Das Vertrauen basiert auf Liebe und auf vielen Prüfungen und Diskussionen, an deren Ende beide dieselbe Meinung vertreten oder respektieren, dass der Partner anders darüber denkt. Dass man ab und zu verschiedener Meinung ist, schadet der Partnerschaft nicht. Der Schaden beginnt, wenn sich das Gefühl bemerkbar macht, nicht mehr dieselbe Sprache zu sprechen wie der Partner und man eher nebeneinander statt miteinander lebt. Wenn man sich einsam fühlt, vom Partner keine Anteilnahme mehr spürt, sollten die Alarmglocken läuten, und man sollte aufpassen, dass sich da nicht etwas Schlimmes anbahnt.

Partner »Ich brauche dich, du bist mir wichtig, ich freue mich mit dir, mir geht es gut mit dir« – das sind Sätze, die sagen: Ich liebe dich. Wenn das fehlt, wenn man einander nicht mehr braucht, besteht die Gefahr, dass man das Fehlende woanders sucht. Wenn der Partner mich nicht mehr braucht, bin ich bereit zu hören, dass jemand anderes mich braucht.

Die Tora weiß, wie wichtig die Beziehung zwischen Mann und Frau ist. Wenn der eine oder die andere nicht ihre Zufriedenheit erreichen, suchen sie leider woanders. Genau das will die Tora nicht. Sie ruft uns auf, uns in allen Lebensbereichen – sowohl im Geistigen als auch im Physischen – einander anzupassen, um zusammen glücklich zu sein.

Zum Ehebruch kommt es häufig dann, wenn man in seiner Beziehung unzufrieden ist. Hätte der Partner das auch nur eine Minute früher geahnt, wäre er bestimmt bereit gewesen, vieles dafür zu tun, damit man nicht fremdgeht.

Sich auszumalen, wie schön es wäre mit einer anderen Frau oder mit einem anderen Mann, führt zu nichts Gutem. Jeder sollte mit seiner Lebenswirklichkeit zufrieden sein. Möchtest du etwas ändern, versuch es innerhalb der Ehe! Von außen glänzt alles, aber eben nur von außen.

Nachbar Die Tora setzt uns zu Recht klare Grenzen und verbietet uns sogar, an die Grenze der Gefahr zu kommen. Begegnungen von Männern oder Frauen sollen nach dem richtigen Maß geschehen. Wenn man spürt, dass jemand uns in eine falsche Richtung zieht, sollte man sich von ihm fernhalten, auch wenn es nur ein Nachbar ist, eine Kollegin oder die Mutter der Freunde der Kinder.

Zum Fremdgehen neigt, wer sich zu Hause in seiner Beziehung nicht wohlfühlt und weiß, dass es draußen jemanden gibt, der auf ihn wartet. Beides können wir vermeiden. Einer Gesellschaft, in der Verheirateten klar ist, dass sie alles tun, um miteinander gut zusammenzuleben, und darauf achten, dass es draußen keine Alternative gibt, bleibt das Fremdgehen fremd. (Wenn es zu Hause gar nicht mehr geht, erfolgt die Scheidung, und dann werden ernsthafte Alternativen gesucht.)

In vielen Fällen kann eine Eheberatung hilfreich sein. Wichtig ist dabei jedoch, zu prüfen, nach welchen Werten der Berater selbst lebt. Wenn er die eigene Zufriedenheit über den Erhalt der Familie stellt, braucht man gar nicht hinzugehen. Es ist wichtig, eine vertraute Person zu finden, mit der man alles offen besprechen kann, um einen guten Rat zu bekommen. Ein Rabbiner oder eine Rebbetzin können hier helfen.

Es ist falsch zu denken, dass die Ehe nach vielen Jahren selbstverständlich ist. Die Beziehung muss immer gepflegt werden, man muss einander ständig Aufmerksamkeit und Respekt schenken. Und man sollte wissen, dass auch die körperliche Intimität für die Tora sehr wichtig ist.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland.

Paraschat Jitro
Die Tora stellt Jitro, Mosches Schwiegervater, als religiösen, gastfreundlichen und weisen Menschen dar. Er rät Mosche, Richter zu ernennen, um das Volk besser zu führen. Die Kinder Israels lagern am Sinai und müssen sich drei Tage lang vorbereiten. Dann senkt sich G’ttes Gegenwart über die Spitze des Berges, und Mosche steigt hinauf, um die Tora zu empfangen.
2. Buch Mose 18,1 – 20,23

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024

Halacha

Die Aguna der Titanic

Am 14. April 1912 versanken mit dem berühmten Schiff auch jüdische Passagiere im eisigen Meer. Das Schicksal einer hinterbliebenen Frau bewegte einen Rabbiner zu einem außergewöhnlichen Psak

von Rabbiner Dovid Gernetz  11.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Schemini

Äußerst gespalten

Was die vier unkoscheren Tiere Kamel, Kaninchen, Hase und Schwein mit dem Exil des jüdischen Volkes zu tun haben

von Gabriel Rubinshteyn  05.04.2024

Talmudisches

Die Kraft der Natur

Was unsere Weisen über Heilkräuter lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  05.04.2024