Porträt der Woche

»Carlebach hat mich entdeckt«

»Auf Jiddisch kann man Gefühle mit einem Wort ausdrücken«: Tania Alon (51) lebt in Berlin. Foto: PR

Heimat ist für mich dort, wo meine Familie lebt. Heimat ist auch da, wo ich jüdisch sein darf. Ich habe in Israel eine Heimat gefunden, aber ich lebe dort ja nicht. Dennoch ist Israel die einzige Heimat, mit der ich seelisch verwurzelt bin. Dort lebt der größte Teil meiner Mischpoche. Mein Vater und sein Bruder waren nach der Schoa dorthin ausgewandert. 1948 war das. Mein Vater hat dort zehn Jahre gelebt und mein Onkel einige Zeit länger, ehe sie nach Berlin zurückkamen, wo ich geboren wurde. Mein Onkel ist später dann endgültig nach Israel gezogen. Und da er sechs Söhne hatte, von denen fünf wiederum auch Kinder haben, gibt es eben viel Verwandtschaft in Israel.

Ich bin die Tochter zweier jüdischer Eltern, deren jeweilige Mütter jüdisch waren und die Väter nicht. Während der Nazi-Zeit nannte man das »privilegierte Mischehe«, was zufällig eben bei beiden Großeltern der Fall war – wobei meine Großmutter mütterlicherseits im letzten Kriegsjahr dennoch deportiert wurde und mein nichtjüdischer Großvater sich, weil er seine Frau nicht allein lassen wollte, mit deportieren ließ. Glücklicherweise haben beide die Schoa überlebt. Meine Mutter war damals zweieinhalb Jahre alt und bei der nichtjüdischen Schwester meines Großvaters in Dortmund an Kindes statt untergekommen. Mein Vater war wesentlich älter als meine Mutter und bei Kriegsende bereits ein junger Mann.

Meine Kindheit in Berlin war sehr eng mit der Jüdischen Gemeinde verknüpft, schon deshalb, weil mein Vater dort arbeitete. Er leitete das Jugendzentrum und war auch Betreuer im jüdischen Ferienlager in Wembach, wo er meine Mutter kennenlernte. Der Freundeskreis meiner Familie und auch meiner waren also ausschließlich in einem jüdischen Umfeld angesiedelt.

kindheit Zur Musik bin ich durch mein Elternhaus gekommen, vor allem durch meinen Vater, der musikpädagogisch gearbeitet hat. Er war auch Gitarrenlehrer, und so habe ich bei ihm die ersten Akkorde gelernt. Außerdem wurde bei uns zu Hause ständig gesungen, und so war Musik ein wichtiger Bestandteil meiner Kindheit. In der Gemeinde war ich damals auch Mitglied der Tanzgruppe Bath Or, mit der ich meine ersten Auftritte hatte.

Nach der Schule wollte ich Kindergärtnerin werden und habe das erste Praktikum auch wieder im jüdischen Kindergarten gemacht. Also das Wort »Ghetto« wäre sicher unangebracht, aber ein bisschen hatte ich für meine Kindheit und Jugend ein solches Gefühl. Und als ich der Liebe wegen mit 18 Jahren Berlin verließ, nach Hannover zog und dort auch in ein größeres nichtjüdisches Umfeld geriet, wurde mir erst klar, wie meine Kindheit verlaufen war.

Aber natürlich habe ich in Hannover einen jüdischen Mann geheiratet – und zwei Söhne bekommen. Mein damaliger Mann war Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde in Hannover, und ich hatte die Aufgabe übernommen, mich um den musikalischen Bereich zu kümmern. Da gab es aber auch Anfragen etwa der Christlich-Jüdischen Gesellschaft, oder man suchte für die Vernissage einer Chagall-Ausstellung jemanden, der für den musikalischen Rahmen sorgte.

Das war für mich dann der Einstieg, das jüdische und jiddische Liedgut, womit ich in der Gemeinde schon zu Simchat Tora und anderen Anlässen aufgetreten war, auch außerhalb aufzuführen.

konzerte So richtig los ging es mit den Konzerten aber erst, als eines Tages Shlomo Carlebach nach Hannover kam, der singende und komponierende Rabbiner. Sein Gitarrist war plötzlich ausgefallen, und so haben mein Mann und ich ihn begleitet.

Während der Proben hat Shlomo festgestellt, dass ich auch gerne singe, und als das Konzert dann lief, hat er mich überraschend zum Singen aufgefordert. Natürlich war ich aufgeregt, aber mein Gesang kam sehr gut beim Publikum an. So war die Idee geboren, mehr daraus zu machen. Wenn ich den Bogen spanne zu heute, so ist Ofer Golany, mit dem ich in diesem Jahr das Album Neshumele eingespielt habe, ein weiteres künstlerisches Highlight in meinem Leben. Und zwar deshalb, weil er neben Shlomo Carlebach nach Jahren wieder der erste jüdische Mitmusiker ist.

In den ganzen Jahren dazwischen war ich in den Klezmer-Ensembles, in denen ich gespielt habe, meist das einzige jüdische Mitglied. Es war ja die Zeit, als die Klezmer-Szene boomte – angeregt von Gruppen, die aus den USA kamen, und natürlich von Giora Feidman.

Giora hatte ich übrigens auf einem Workshop in Berlin kennengelernt, zu dem mich ein Ehepaar, beide Klezmer-Musiker, eingeladen hatte. Dieses Ehepaar hatte mich nach einem Konzert in einem Künstlerlokal in Hannover angesprochen. Später habe ich solche Workshops auch in Hannover organisiert. An ihnen nahmen sowohl Giora Feidman als auch nichtjüdische Klezmer-Musiker teil, etwa der Klarinettist Helmut Eisel.

projekte In den 90er-Jahren habe ich dann mit einigen Kollegen ein Klezmer-Orchester gegründet, das auch so hieß. Darin spielten Musiker nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus der Schweiz und aus Frankreich. Außer mir gab es einen weiteren jüdischen Musiker aus Frankreich, der Rest waren talentierte Nichtjuden. Aber es war das erste Klezmer-Orchester nach dem Krieg in Deutschland, und zumindest am Mikrofon stand eine jüdische Sängerin, nämlich ich.

Wir tourten einige Jahre durchs Land und auch über Deutschlands Grenzen hinaus. Meine heutigen Konzerte mache ich überwiegend in kleiner Besetzung. Die Anlässe für die Konzerte sind vielfältig. Sie reichen von Batmizwa-Feiern (zu den Jungs wurde ich bisher noch nicht eingeladen) bis zu Konzerten mit dem Repertoire meines neuen Albums. Ich hatte ihn auf einem seiner Konzerte kennengelernt, und wir haben noch am selben Abend eine Probe zusammen gemacht. Mit ihm zu musizieren, war wie ein Ankommen in der Heimat. Wir fühlen einfach gleich in der Musik, keiner muss etwas erklären.

Die Arbeit an diesem Album war ein Traum. Eines meiner Lieblingslieder heißt »Shchina«, und es wurde von Ofer speziell für das Album geschrieben und vertont. Der Text lehnt sich an die Gedanken von Spinoza über die weibliche Seite Gottes an, die sich überall in der Natur zeigt. Am Ende beschreibt er in diesem Liedtext, dass diese weibliche Seite Gottes mit uns Verstecken spielt.

Mein Anspruch ist es, die traditionellen jüdischen und jiddischen Lieder weiterzugeben. Dafür werde ich nicht nur zu jüdischen Feiern gebucht, sondern ich gehe auch in Schulklassen. Zudem habe ich über lange Zeit gemeinsam mit der Frau eines Pfarrers ein religionsübergreifendes Projekt gestaltet: Wir sind zusammen auf die Bühne gegangen und haben in einer ganz abenteuerlichen Liedermischung versucht, den Begriff des Messias darzustellen. Für mich war es schon sehr ungewohnt, Lieder über Jesus und Maria mitzusingen. Aber ich wollte jenes Gefühl transportieren, das sich ergibt, wenn eine Christin und eine Jüdin zusammen musizieren.

trialog Gefühle zu vermitteln, ist mir immer wichtiger als etwa zu beweisen, dass ich schön singen kann – es geht mir um die Gefühle, die der Text ausdrückt oder die die Zeit reflektieren, aus der das Lied kommt.

Auf Jiddisch kann man Gefühle, für die man im Deutschen einen ganzen Satz bräuchte, durch einzelne Worte ausdrücken. Natürlich erkläre ich den Schülern auch immer, worum es in den Liedern geht. Meine Zuhörer sind oft überrascht, wenn sie erfahren, dass ich mich mit meiner Musik weder religiös noch kulturell festlegen will. Der musikalische Schatz der jüdischen Musik ist ja sehr breit und bunt: Man hat mindestens vier verschiedene Sprachen, sehr unterschiedliche Musikstile, die Texte reichen von vertonten Gebeten bis hin zu Liebesliedern.

Aktuell arbeite ich in einem Trialog-Projekt mit muslimisch-türkischen Musikern und einer Pastorin als Rezitatorin zusammen. Es gibt eine Sängerin, die Mariengesänge aufführt, ich singe sefardische Lieder, und verschiedene türkische Sänger tragen alte Sufi-Gesänge bei.

Es sind durchweg Lieder aus der Zeit vor der Inquisition, als zwischen den drei Weltreligionen die Verbundenheit überwog – genau das wollen wir mit dem Publikum teilen.

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