Wiesbaden

Ein Gefühl von Heimat

Mit der Synagoge Wiesbaden verbindet Mark Dainow ganz besondere Gefühle. Vor fast 40 Jahren hatte er hier geheiratet. Und so bekomme er in dem Bau mit den Glasfenstern des Künstlers Egon Altdorf immer wieder »wohlige Gänsehaut«, bekannte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in seiner Festrede.

Eine Selbstverständlichkeit also, dass Dainow den Zentralrat bei der Jubiläumsfeier der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden am vergangenen Sonntag vertrat: Auf den Tag genau vor 50 Jahren war die Synagoge in der Friedrichstraße eingeweiht worden. Am 22. Dezember wird es genau 70 Jahre her sein, dass sich die Gemeinde nach der Schoa wiedergegründet hat. Die Feier begleiteten der Schülerchor und das Orchester der Frankfurter I. E. Lichtigfeld-Schule unter der Leitung von Martina Georgi.

überlebende Es war am Lichterfest, als im Jahr 1946 die Feierlichkeiten zur Neugründung der Gemeinde in der alten Synagoge in der Friedrichstraße stattfanden. Unter dem Schutz der Amerikaner fühlte man sich nach Jahren der Verfolgung sicher, erinnerte sich Dainow. »Wir denken in tiefer Dankbarkeit an die US Army, die die damaligen wenigen Überlebenden ermutigte und es ihnen ermöglichte, die Gemeinde neu zu gründen.«

Dankbar und voller Respekt behalte man auch die Gründungsmitglieder im Gedächtnis. »Sie hatten die Verfolgung und die Lager überlebt. Die meisten hatten ihre Familienangehörigen in der Schoa verloren.« Nicht verloren hätten sie jedoch ihren Mut und ihre Zuversicht. »Sie ahnten damals nicht, dass sie das Fundament für ein neues blühendes jüdisches Leben in Deutschland legten. Doch 70 Jahre später können wir sagen: Genau das haben sie getan!«

Dainow fuhr fort: »Eine jüdische Gemeinde, die den Mut fasst, eine neue Synagoge zu bauen, sagt damit: Wir vertrauen dem Land, in dem wir leben. Wir vertrauen darauf, dass wir hier eine Zukunft haben. Wir möchten in diesem Land bleiben.« Ein größeres Kompliment könne man nicht machen.

Integration Wiesbadens Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) würdigte die ungeheure Integrationsleistung der Jüdischen Gemeinde, die sich »zu Recht offen, selbstbewusst und sympathisch« in der Stadt präsentiere. »Hier fand schon Integration statt, da kannten wir das Wort noch gar nicht.« »Und«, bekannte der Oberbürgermeister, »die Gemeinde kann stolz darauf sein, was sie in den vergangenen 70 Jahren aufgebaut hat.« Die Migranten aus der früheren Sowjetunion habe sie »nicht nur mit offenen Armen, sondern auch mit offenen Herzen« empfangen und ihr »in dieser wunderbaren Synagoge das Gefühl von Heimat gegeben«.

Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) überbrachte die Glückwünsche der Landesregierung und zeigte sich, auch als Wiesbadener, erfreut über die Lebendigkeit der jüdischen Gemeinde. Das erklärte Ziel der Nationalsozialisten, die Juden zu vernichten, sei erfreulicherweise nicht erreicht worden.

Wiesbadens US-Standortkommandant Colonel Todd J. Fish würdigte die seit Kriegsende bestehende Freundschaft zwischen den Amerikanern und der Jüdischen Gemeinde. Er sei dankbar dafür, dass ihre Türen für die jüdischen Soldaten der US Army offen stehen.

Der Sprecher der Gemeinde, Jacob Gutmark, konnte in der voll besetzten Synagoge zahlreiche Ehrengäste begrüßen. Gutmark erinnerte an die große Tradition des jüdischen Volkes seit der Befreiung durch Moses von der ägyptischen Sklaverei und an das gemeinsame Kulturerbe der deutsch-jüdischen Geschichte. Das Datum 11. September gebe immer wieder Anlass, der fast 3000 Opfer der Anschläge auf die Zwillingstürme des World Trade Center in New York 2001 zu gedenken.

Aufbruch 1946 entzündete der Militärrabbiner William Dalin die Kerzen des Chanukkaleuchters. Colonel James A. Newman sprach für die Militärregierung; für die Stadt nahm Oberbürgermeister Hans Redlhammer (CDU) teil. Mit Chaim Hecht hatte die Gemeinde wieder einen Rabbiner.

Treibende Kraft der Neugründung war Claire Guthmann, die Witwe des Rechtsanwalts Berthold Guthmann, der in Auschwitz ermordet worden war. Claire Guthmann hatte zusammen mit ihrer Tochter Charlotte als einzige der Familie das KZ Theresienstadt überlebt und war die erste Sprecherin der Gemeinde. Nur vier Jahre hatte es zurückgelegen, dass sich im Hof der Synagoge Friedrichstraße die Wiesbadener Juden 1942 zur Deportation hatten sammeln müssen. Man zwang sie, zu Fuß zum Schlachthof zu ziehen, wo man sie an der Viehverladestation zusammenpferchte und in die Waggons der Reichsbahn trieb. Die Züge brachten sie zu den Todesfabriken in Osteuropa. Bislang sind die Namen von 1507 ermordeten Wiesbadener Juden bekannt. Für sie steht seit 2011 ein Mahnmal an der Stelle der im November 1938 zerstörten Synagoge am Michelsberg.

In den 20er-Jahren lebten mehr als 3000 Juden in Wiesbaden, seit 1876 waren sie gespalten in eine liberale, reformierte Gemeinde am Michelsberg und eine orthodoxe, Alt-Israelitische Kultusgemeinde, die sich in der Friedrichstraße eine eigene, 1897 eingeweihte Synagoge baute. 1946 bildete man eine Einheitsgemeinde.

Lichtigfeld Beim Festakt zur Einweihung der Synagoge 1966 sprach der Landesrabbiner Isaak Emil Lichtigfeld, für das Land Hessen Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD). Für die Stadt gratulierte damals Oberbürgermeister Georg Buch. Der Sozialdemokrat Buch war wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat in den Konzentrationslagern Hinzert und Sachsenhausen interniert und brachte seine Solidarität mit der jüdischen Gemeinde beim Wiederaufbau zum Ausdruck.

Die neue Synagoge der Architekten Helmut Joos und Ignaz Jakoby ist geprägt von den Fenstern des Bildhauers und Glasgestalters Egon Altdorf. Blau-, Rubinrot- und Goldgelbtöne dominieren. Nur der brennende Dornbusch leuchtet in Grün.

Heute zählt die Jüdische Gemeinde Wiesbaden rund 850 Mitglieder, überwiegend Migranten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Etwa 100 Mitglieder sind Überlebende der Schoa, manche haben auch die deutsche Belagerung von Leningrad überlebt. Hinzu kommen noch zahlreiche nichtjüdische Familienangehörige, die ebenfalls die Einrichtungen der Gemeinde nutzen und an Festen teilhaben dürfen, Theater spielen oder im Chor singen. Eine Sozialarbeiterin entlastet das städtische Sozialamt bei der Betreuung der Migranten. 100 Ehrenamtliche helfen bei den Veranstaltungen. Seit zehn Jahren managt Geschäftsführer Steve Landau das operative Geschäft, außerdem leitet er das Jüdische Lehrhaus.

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