70. Geburtstag

Lieber Henryk, ...

Henryk M. Broders Anwalt erinnert sich zum 70. Geburtstag des Publizisten an ihre »schönsten« Prozesse

von Nathan Gelbart  15.08.2016 17:48 Uhr

Mit 70 nur manchmal ein bisschen leise sein: Henryk M. Broder mit seinem Hund Chico Foto: Gregor Zielke

Henryk M. Broders Anwalt erinnert sich zum 70. Geburtstag des Publizisten an ihre »schönsten« Prozesse

von Nathan Gelbart  15.08.2016 17:48 Uhr

Vor Gericht und auf hoher See, heißt es oft, sei man in Gottes Hand. Das ist natürlich Quatsch, wie Du weißt. Vor Gericht braucht man mehr als göttlichen Beistand: Klar, ein guter Anwalt ist wichtig. Aber vor allem braucht dieser einen guten und selbst mitdenkenden Mandanten. Und wenn man wie Du keine Auseinandersetzung scheut: einen sehr guten Mandanten.

Mit stolzer Bescheidenheit bemerkt, gingen wir gemeinsam mit der Kollegin Katy Ritzmann zumeist als Sieger vom Platz. Es begann mit dem »israelkritischen« Friedensrentner aus Westfalen und ging mit dem semitischen Bruchpiloten aus Frankfurt-Süd weiter. Auch die strafrechtliche Meinungsverschiedenheit mit den bayerischen Filialen der »Erben Freislers« konnten wir bis zum höchsten bayerischen Spruchkörper erfolgreich beenden. Du hattest mit Blick auf die deutsche Justiz gesagt: »Es bleibt der Hautgout, dass die Erben der Firma Freisler entscheiden, was antisemitisch ist und was nicht.«

Volksgerichtshof Weil sich Eberhard Kramer, der Präsident des Frankfurter Landgerichts, dadurch in die Nähe des Volksgerichtshofs gerückt sah, stellte er wegen Beleidigung Strafantrag gegen Dich und erwirkte einen Strafbefehl über 16.000 Euro. Rückt Dein Satz ein Gericht wirklich in die Nähe des Volksgerichtshofs unter Präsident Roland Freisler, den die Nationalsozialisten einsetzten? Nein, entschied das Amtsgericht München und sprach Dich vom Vorwurf der Beleidigung frei. Die Äußerung sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Team Broder 1, die Erben der Firma Freisler 0!

Rechtsgeschichte durften wir auch mit Deinem nachfolgenden Statement aus einer E-Mail an die damalige Intendantin des Westdeutschen Rundfunks (WDR) schreiben. Zuvor war »die Tochter« in der WDR-Radiosendung Hallo Ü-Wagen zum Thema »Ganz schön kompliziert: Reden über Israel« zu Gast.

»Jeder Kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut«, schriebst Du damals der Intendantin Monika Piel, »würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, dass Frau Evelyn Hecht-Galinski eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau ist, die für niemanden spricht außer für sich selbst und dabei auch nur Unsinn von sich gibt. Ihre Spezialität sind antisemitisch-antizionistische Gedankenlosigkeiten, die zurzeit mal wieder eine kurze Konjunktur haben.«

Die diplomierte »Israelkritikerin« mit bekanntem Vater fühlte sich zutiefst gekränkt und klagte. Beim Bundesverfassungsgericht war dann Schluss – das im Jahr 2010 zugunsten der Meinungsfreiheit erfolgreich erstrittene Urteil beim Oberlandesgericht Köln hielt. Bis heute darfst Du behaupten, dass Evelyn Hecht-Galinski antisemitische Äußerungen von sich gibt.

»israelkritisch« Die juristischen Erfolge haben weniger mit anwaltlicher Exzellenz als schlichtweg mit Deiner schriftstellerischen und publizistischen Genialität zu tun. Aktuell gibt es niemanden, der Dir das Wasser reichen kann. Komplexe Zusammenhänge zwischen tagesaktuellem Geschehen und historischen Parallelen legt keiner so nachhaltig und eindrucksvoll dar wie Du. Die bereits von Sartre längst belegte These der Identität zwischen Antisemitismus und pathologischem Hass auf Israel knallst Du auch dem letzten widerwillig zuhörenden »israelkritischen« Intellektuellen sprichwörtlich aufs Tablett.

Die vor allem in diesem Land nachhaltig gepflegte Kultur der Selbstbelügung, wonach links von der NPD Judenhass unmöglich sei, hast Du besonders mit Deinem Bestseller Der ewige Antisemit eindrucksvoll offengelegt. Selbiges gilt für die Annahme, Juden können keine Antisemiten und Polizisten keine Bankräuber sein. Deinen konsequenten Austritt aus der Partei Die Grünen und Deine klaren Positionen zum linken Judenhass – von Entebbe 1976 über Hans-Christian Ströbele bis hin zu Inge Höger und Annette Groth – nehmen Dir nicht zuletzt deshalb viele Linke heute noch übel.

Einige von ihnen, wie die Grüne Claudia Roth, sind sich sogar nicht zu schade dafür, den Diskurs mit Dir in TV-Shows durch Ausladungen zu verhindern. Überhaupt Claudia Roth. Treffender als Du Anfang des Jahres hat sie meines Wissens noch keiner beschrieben: »Wenn man sie auf das reduziert, was sie ist – eine Wichtigtuerin, die sich von der öffentlichen Hand alimentieren lässt –, wird sie böse.«

polarisierend Henryk, Du bist eine in der europäischen Medienlandschaft nicht wegzudenkende Stimme. Was nicht bedeutet, dass sie gerne gehört wird. Die Erkenntnis, dass sich die in Deinen Werken wie Hurra, wir kapitulieren! und Die letzten Tage Europas vorausgesagten Szenarien detailgenau als wahr erweisen, ist schlichtweg erschreckend. Doch nur allzu viele Besserwisser werfen Dir Polarisierung und Rechthaberei vor. Ist es indes nicht der beste Beweis eines Autors, erfolgreich zu polarisieren und nachweislich Hunderttausende Menschen zum Nachdenken zu bewegen?

Der ständig im gehorsamen Chor repetierte Aufruf zur konsequenten Fortsetzung eines – offenkundig falsch, aber scheinbar »alternativlos« – eingeschlagenen Weges ist der Dir dazu übel aufstoßende Gegenpol. Das aus Deiner Sicht im Zuge des Programms »Wir schaffen das!« angerichtete Chaos beschreibst Du wie folgt: »Es hört sich an, als würde der Kapitän der Titanic kurz nach dem Zusammenstoß mit dem Eisberg rufen: ›Mein Kurs war richtig! Der Eisberg hat nicht aufgepasst!‹«

Nein, Henryk. Dein Problem ist nicht, dass Du rechthaberisch bist. Dein Problem ist, dass Du recht hast. Und das bitte noch sehr lange. Happy 70, mein Freund!

Der Autor ist Rechtsanwalt in Berlin und Vorsitzender des Keren Hayesod Deutschland.

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024