Pädagogik

Die Schule nach dem Krieg

Als ich hörte, dass es in München ein hebräisches Gymnasium gibt, wollte ich sofort dorthin», erinnert sich die heute 84-jährige Yola Schneider. Seit über 65 Jahren ist das australische Sydney ihre Heimat. Die als Jochewed Rawdin in Warschau geborene Jüdin überlebte, wie ihre Mutter, die Schoa mit «arischen» Papieren. Später kümmerten sich zionistische Aktivisten um die Halbwaise und andere gerettete jüdische Kinder, um sie nach Palästina zu bringen.

Auf dem Weg dorthin strandeten sie zunächst in einem Jewish Children Center im oberbayerischen Aschau. Da die britische Mandatsmacht eine Einwanderung nach Eretz Israel nicht erlaubte, wollte das junge Mädchen die Zeit nutzen und lernen. Ab Frühjahr 1946 besuchte sie deshalb für zwei Jahre das im selben Jahr gegründete hebräische Gymnasium.

Straßenbahn Yola war eine Musterschülerin und spricht neben ihrer Muttersprache Polnisch fließend Hebräisch, Jiddisch, Deutsch sowie Englisch. Sie erinnert sich immer wieder gern an ihre Schulzeit in München. Das Jüdische Komitee, die Interessenvertretung der Schoa-Überlebenden, quartierte die damals 14-Jährige als Untermieterin bei einer deutschen Familie ein. «Ich bezahlte mit Lebensmitteln, die mir meine Mutter, sie lebte im Auffanglager Pocking, besorgte. In die Schule bin ich immer mit der Straßenbahn gefahren; ich war glücklich und unabhängig.»

Kurz nach dem Krieg war München das Zentrum der jüdischen Displaced Persons (DPs): In der bayerischen Metropole lebten Tausende zumeist osteuropäische Juden; hier residierte das Zentralkomitee (ZK) der befreiten Juden in der US-Zone, hier war das Hauptquartier der amerikanisch-jüdischen Hilfsorganisation AJDC, kurz Joint genannt, und sogar die Jewish Agency hatte ihr Deutschlandbüro in der Stadt. Diese Organisationen waren zumeist in beschlagnahmten Häusern in der Möhlstraße im Ortsteil Bogenhausen untergebracht. Die Trambahn, die in dieses Viertel fuhr, wurde im Volksmund scherzhaft «Palästina-Express» genannt.

«Kulturamt» Mitten im Herzen des jüdischen München, im Gebäude mit der Hausnummer 45, war die jüdische Volksschule, der Kindergarten und ab Mai 1946 auch das erste hebräische Gymnasium in der Nachkriegszeit untergebracht. Initiiert und später auch geleitet wurde die Oberschule von Baruch Graubard, Mitarbeiter des «Ausschusses für Erziehung und Kultur» beim ZK der befreiten Juden, der bereits in Polen einem hebräischen Gymnasium als stellvertretender Direktor vorgestanden hatte.

Für die erste weiterführende Schule hatte das «Kulturamt» ein Curriculum für sechs Klassen ausgearbeitet. Anfangs kamen jedoch nur vier Klassen mit rund 110 Schülern zustande, die in Sport, Musik, Zeichnen, Französisch, Englisch, Geschichte, Geografie, Biologie, Chemie, Physik, Geometrie, Algebra, Arithmetik, Palästinografie, Jüdische Geschichte, Bibel und Hebräisch unterrichtet wurden. Ab 1947 konnten dann die angestrebten sechs Klassen zusammengestellt werden, und man erwartete fürs neue Schuljahr sogar eine deutliche Zunahme der Schülerzahl – bis zu 150.

«Viele werden von außerhalb Münchens kommen», prognostizierte ein Joint-Mitarbeiter, «da dies die einzige Oberschule in der US-Zone ist». Für diese Schüler mussten Unterkünfte organisiert und dafür Sorge getragen werden, dass sie rechtzeitig zum Unterricht gelangten. Da während der häufigen Stromsperren der öffentliche Nahverkehr nicht funktionierte, stellte der Joint Fahrzeuge für den Transport der Schüler bereit. Ab Januar 1947 half bei der Lösung der vielfältigen Probleme auch ein gewählter Elternbeirat, der sich etwa um zusätzliches Heizmaterial, Kleidung und Nahrungsmittel für Schüler und Lehrer kümmerte.

Neben einer soliden Ausbildung galt die Vermittlung einer jüdischen Identität als wichtiges Ziel aller DP-Bildungseinrichtungen, wie Baruch Graubard auf einer Lehrerkonferenz eindringlich forderte: «Die Schule muss den Menschen in seiner jüdischen Ganzheit fördern, egal wohin er auswandern will.»

Schiffsreise
Die Mehrheit der jungen Juden war allerdings zionistisch ausgerichtet. Auch Yola wollte am Aufbau Israels mitwirken. Doch ihre Mutter entschied sich für Australien, da sie dort Verwandte aufspüren konnte. Ende 1949 machten sich Mutter und Tochter auf den beschwerlichen Weg nach Down Under, wo sie nach einer mehrwöchigen Schiffsreise im Dezember 1949 den Hafen von Melbourne erreichten. Mit dem Zug ging es weiter nach Sydney.

Nach der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 sowie der zunehmenden Liberalisierung der Immigrationsgesetze in den USA und anderen Ländern verließen zahlreiche Juden München. Das hebräische Gymnasium schloss Anfang 1951 endgültig seine Pforten.

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024