Messias

Anforderungsprofil

Schabtai Zwi (1626–1676): Erst gab er sich als jüdischer Messias aus, dann konvertierte er zum Islam. Foto: dpa

An Schawuot haben wir vor Kurzem in der Synagoge das Buch Ruth gelesen. Ruth konvertierte bekanntlich zum Judentum, und von ihr soll einst der Messias (Moschiach) abstammen.

Das Erscheinen des Messias ist im Judentum ein echtes Paradoxon. Einerseits ist der Glaube an das bevorstehende Kommen des Erlösers und das Sich-Freuen auf seine Ankunft laut Maimonides (1135–1204), dem Rambam, einer der 13 grundlegenden Glaubensartikel des Judentums. Dazu gehören auch der Glaube an die Existenz und Einheit von Haschem, Seine Übergabe der Tora an Bnei Israel und die Tatsache, dass wir unsere Tora nie durch eine andere ersetzen werden. Die Überzeugung von der Ankunft des Messias ist der zwölfte der 13 maimonidischen Glaubenssätze: »Ich glaube mit voller Überzeugung an das dereinstige Kommen des Messias, und ob er gleich säume, so harre ich doch jeden Tag auf sein Kommen!«

Doch jeder, der heutzutage behauptet, er sei der Messias, stößt auf extreme Skepsis. Tatsächlich gilt die Überzeugung, der Messias zu sein, als amtlich anerkannte psychische Störung, bekannt auch als Jerusalem-Syndrom, das Jahr für Jahr bei einigen Hundert Menschen diagnostiziert wird. In anderen Worten: Wir stecken Leute, die glauben, sie seien der Messias, in psychiatrische Anstalten!

Debakel Angesichts diverser Debakel mit falschen Messiassen, die das jüdische Volk in der Vergangenheit heimgesucht haben, sind die Gründe für die Skepsis aber leicht zu verstehen. Ob der berühmte Bar Kochba oder der berüchtigte Schabtai Zwi – jedes Mal, wenn das jüdische Volk seinen Glauben in einen Mann investierte, der sich für den Messias hielt, waren die Folgen katastrophal und brannten sich unauslöschlich ins kollektive Bewusstsein ein, bis auf den heutigen Tag. Wir sind so oft auf »falsche Moschiachs« hereingefallen, dass es von den meisten Juden schlicht zu viel verlangt wäre, irgendeinen lebenden Menschen für den Moschiach zu halten.

Offensichtlich muss es für das jüdische Volk dennoch einen Weg geben, herauszufinden, wer der wahre Messias ist und wer nicht. Im Tanach, der Hebräischen Bibel, und in der mündlichen Tora, darunter auch die mystischen Bücher der Kabbala, finden wir zahlreiche Beschreibungen des Messias, seiner zukünftige Erfolge und der Zeit vor und nach seiner Ankunft. Viele Legenden und Überlieferungen drehen sich ebenfalls um diese Fragen.

Zahllos sind die Meinungen und Deutungen (einige fundiert, andere völlig unbegründet), welche Anforderungen der Messias erfüllen muss und wie das Leben aussehen wird, wenn er kommt. Es ist nicht möglich, all diese Erklärungen in diesem Artikel zu diskutieren. Der wohl bekannteste Ansatz, die Kriterien zu definieren, die der Messias erfüllen muss, ist der des Rambam. In Kapitel 11 und 12 von Hilchos Melochim schreibt er:

»Der Messias wird einst erstehen und das Königtum des Hauses David zu seinem ursprünglichen Stand bringen, zur Herrschaft, wie sie war. Er baut den (Beit) HaMikdasch, den Tempel in Jerusalem, wieder auf und sammelt die Zerstreuten Israels ein. In seinen Tagen werden alle (Toragesetze wieder so sein, wie es die damaligen waren. Man wird Opfer darbringen und die Brachjahre (Schmitta) und Jubeljahre (Jowel) beobachten, ganz nach der in der Tora enthaltenen Vorschrift.«

König David Die erste Anforderung ist, dass der Messias aus dem Haus David stammen muss. Wie immer im Judentum ist auch die Davidische Linie eine väterliche Abstammungslinie. Es ist also erforderlich, dass es sich beim Messias um einen direkten männlichen Nachkommen von König David handelt. Das Erfordernis der Davidischen Abstammung erklärt sich aus der Verheißung Haschems, Davids königliche Dynastie und das Recht auf den Thron würden auf ewig bestehen bleiben (vgl. 2. Samuel 7).

Während diese allgemeine Beschreibung einige detaillierte Anforderungen an den Messias liefert, definiert der Rambam darüber hinaus zwei Ebenen in Bezug auf den Glauben, eine bestimmte Person sei der Messias – also erstens die Vermutung, ein Individuum sei der Messias, und zweitens eine vollständige Bestätigung: »Und wenn künftig ein König aus dem Hause Davids aufsteht, der wie einst sein Vater David die Tora studiert, sich um die Gebote müht, gemäß der Schriftlichen wie der Mündlichen Tora, und der Israel zwingt, in ihr (der Tora) zu wandeln.«

Weiter heißt es bei Maimonides: Wer die Kriege des Herrn ausficht und für die Wiederherstellung der jüdischen Souveränität über das Land Israel und die Geltendmachen der Gesetze der Tora kämpft, von dem wird angenommen, dass er der Messias ist. Wenn er dies alles tut und Erfolg hat »und alle Völker, die rings um ihn sind, besiegt«, außerdem »den (Beit) HaMikdasch an seiner Stelle erbaut« und »die Verstreuten Israels einsammelt«, dann ist dies gewiss der Messias.

Kriterien Doch es gibt auch Ausschlusskriterien: »Wenn er aber soweit keinen Erfolg hatte oder umgekommen ist, dann ist offenkundig, dass dieser nicht jener war, den die Tora verheißen hat, und er gilt wie alle Könige des Hauses David, die vollkommenen und tüchtigen, die gestorben sind.« Diese prägnante, aber auch recht einschüchternde Liste enthält alles, was der Messias leisten muss. Doch diese kurze Aufzählung reichte, um sowohl Jesus als auch Schabtai Zwi als Messias auszuschließen, denn keiner der beiden erreichte die oben genannten Ziele. Bar Kochba allerdings erfüllte die ersten zwei Anforderungen, weshalb die Weisen seiner Zeit in ihm den Messias vermuteten.

Besonders bemerkenswert ist übrigens, was nicht gefordert wird: Der Rambam legt ein für alle Mal fest, dass der Messias keine Wunder zu vollbringen oder die Toten zum Leben zu erwecken braucht: »Glaube aber ja nicht, der Messias-König müsse Wunder und Zeichen vollbringen oder bisher in der Welt nicht Gewesenes hervorbringen oder gar die Toten beleben und dergleichen Dinge. So wird es nicht sein! Es hat ja schon der große und weise Rabbi Akiva von den Gelehrten der Mischna das Panier von Bar Kochba getragen. Und der hatte von sich behauptet, es sei der König-Messias.«

Allerdings habe sich das eindeutig als falsch herausgestellt: »Und Rabbi Akiva wie alle Weisen seiner Tage glaubte, dass er (Bar Kochba) wirklich der Messias sei – bis er seiner Sünden wegen getötet wurde. Nachdem er getötet war, wussten sie, dass er nicht der Messias war. Die Weisen hatten von ihm nämlich keinerlei Zeichen und Wunder verlangt.« Neben der ungewöhnlich natürlichen Beschreibung des Messias ist auch die Zeit vor dem Erscheinen des Messias und die Zeit danach in der Schilderung des Rambam komplett frei von Wundern: »Lass es dir nicht in den Sinn kommen, dass in den Tagen des Messias etwas von der Weise der Welt aufhören oder etwas Neues in den Schöpfungswerken stattfinden werde, die Welt folgt ihren Naturgesetzen weiter.«

Allegorien Alle wundersamen und unnatürlichen Dinge, die über den Messias im Tanach und in der mündlichen Tora stehen (vgl. Jesaja 11,6–7: »Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und der Leopard beim Zicklein«), seien Gleichnisse und Allegorien. Der einzige Unterschied zwischen heute und den Tagen des Messias bestehe darin, dass das Volk Israel keiner fremden Herrschaft unterworfen sein werde.

Angesichts der vielen Prophezeiungen und Aussagen der Weisen über bestimmte Ereignisse und Hinweise darauf, dass die Zeit, die zur Ankunft des Messias führt, gekommen sei, ist der Rambam der Auffassung, dass die detaillierten Angaben nichts weiter als Spekulation sind.

Am Ende seiner Diskussion aber liefert Maimonides ein überraschendes und dabei extrem wichtiges Argument, was den Zeitpunkt für die Ankunft des Messias betrifft: So überragend die Bedeutung des Messias in der Tora und im Judentum auch ist – unsere Unwissenheit über die Person des Messias und den Zeitpunkt seiner Ankunft ist nicht wirklich wichtig, denn das Wissen darüber macht niemanden zu einem besseren Juden oder Diener Gottes.

Weder die Reihenfolge dieser Ereignisse noch ihre Einzelheiten seien für das Judentum von grundlegender Bedeutung, schreibt der Rambam. Man sollte sich nie mit den Haggados (nicht-halachischen Abschnitten des Talmuds) beschäftigen oder viel Zeit mit den Midraschim über diese Fragen verbringen: »Es ist besser, sich nicht auf sie zu konzentrieren, da sie einen Menschen weder zur Liebe noch zur Ehrfurcht (zu Haschem) hinführen. Ebenso soll man nicht versuchen, das Ende (der Tage) zu bestimmen.« Lieber sollte man sich auf die Ankunft des Messias freuen und an die allgemeine Idee glauben. In seinen Igeres Teiman formuliert es der Rambam ein wenig anders: »Es ist undenkbar, dass ein Mensch jemals das wahre Ende der Tage wissen kann.« Unnötige Aufmerksamkeit und Konzentration auf diese Fragen seien daher potenziell sehr schädlich und gefährlich.

Datumsangaben Die Weisen des Talmud, betont der Rambam, halten überhaupt nichts von konkreten Daten. Zur Bibelstelle »Was ist der Sinn von: Es wird vom Ende sprechen und nicht täuschen?« (Habakuk 2,3) sagt Rabbi Schmuel bar Nachmeni im Talmudtraktat Sanhedrin 97b: »Die Gebeine derer, die das Ende berechnen, sollten aufschwellen, denn die Leute sagen (wenn einer der falsch berechneten Tage herangekommen ist, ohne dass etwas von der Ankunft des Messias zu bemerken ist): ›Da das (berechnete) Ende erreicht wurde und er nicht gekommen ist, heißt das, er wird nie kommen‹.« Rabbi Yossi hingegen sagt laut Derech Eretz, Perek haYotzei, Halacha 13: »Wer einen Zeitpunkt für das Ende setzt, wird keinen Anteil an der kommenden Welt haben.«

Neben der Verzweiflung über die Tatsache, dass der Messias nicht an dem Datum erschienen ist, das von diversen Leuten für das Ende der Tage berechnet wurde, trugen solche Berechnungen auch unmittelbar zu dem desaströsen Glauben an Scharlatane und falsche Messiasse bei, die »praktischerweise« stets an vorher prophezeiten Daten in Erscheinung traten. Das drastischste Beispiel hierfür ist erneut Schabtai Zwi, der sich kurz nach den Massakern an den Juden durch Kosaken 1648 und 1649 offenbarte. Zuvor hatten Kabbalisten das Ende der Tage für das Jahr 1648 vorausgesagt.

Obwohl wir nicht wissen, welche Zeiten wir zu erwarten haben und wie der Messias sein wird, ist die Vorfreude auf sein Kommen trotzdem von zentraler Bedeutung für das Judentum. Angeblich nahm sich der Chofetz Chaim (Rabbiner Israel Meir Kagan, 1839–1933) diese Frage so sehr zu Herzen, dass er immer einen gepackten Koffer bei sich trug, um jederzeit bereit zu sein für die plötzliche Ankunft des Messias. Möge es Haschems Wille sein, dass sich die Bedingungen für das Erscheinen des Messias ebenso schnell erfüllen!

Abdruck und Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Jewish Life Magazins (www.jewishlife.co.za).

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