Premiere

Kämpfer und Charmeur

Mit einem satten Knall fällt das Brandenburger Tor um: Eine wilde Verfolgungsjagd über die Bühne des Theaters Tiyatrom in Berlin-Kreuzberg hat die scherenschnittartige Kopie zum Kippen gebracht, doch das Ensemble lässt sich nicht beirren – ohne Pause geht die Probe für das Stück Und Gad ging zu David weiter.

Am Freitag ist Premiere, Regisseur Horst Ruprecht kann zufrieden sein: Bis auf den Kulissenwackler gibt es während des Durchlaufs keine größeren Fehler. Stattdessen erweckt die neunköpfige Truppe überzeugend und mit Spielfreude die Autobiografie von Gerhard »Gad« Beck zum Leben.

Die Eröffnungsszene gibt den Tenor des Stücks vor: Witzig und fast schon bizarr wird die Geburt von Gad Beck gezeigt, der unerwartet nach seiner Zwillingsschwester Gisela auf die Welt kommt. »Ich bin die Nachgeburt«, deklamiert der Schauspieler Robert Klatt in der Rolle des Gad, um gleich darauf anzudeuten, dass der Klaps der Hebamme auf den Po ein Indiz für seine spätere Sexualität gewesen sein könnte.

Gad Beck war offen homosexuell – seine christlich-jüdische Familie nahm es mit einer für die Zeit außergewöhnlichen Toleranz: Als der zwölfjährige Gad seiner Mutter begeistert erzählt, dass er sich mit dem Sportlehrer »umarmt« habe, erwidert diese nur trocken: »Das hab’ ich mir schon gedacht.«

autobiografie Es sind Situationen wie diese, die schon die Autobiografie Und Gad ging zu David. Die Erinnerungen des Gad Beck 1923 bis 1945 zu einem ganz eigenen Leseerlebnis machen. Eugen Ruge, Träger des Deutschen Buchpreises, hat den Ton der Vorlage mit seiner Bühnenfassung exakt getroffen: Das Stück ist ebenso selbstironisch, unterhaltsam und teilweise auch grotesk wie Becks Lebenserinnerungen. Umso eindrucksvoller sind die zunehmenden antisemitischen Anfeindungen, Ausgrenzungen und Schikanen des Dritten Reichs als allmähliche Entwicklung in die Handlung eingeflochten.

»Dieser schleichende Prozess hat mich interessiert«, betont Regisseur Horst Ruprecht. Er wolle mit der Inszenierung nicht nur bekannte Fakten zeigen, sondern die Geschehnisse »leibhaftig« machen. »Ich wollte keinen Schulfunk, sondern etwas, bei dem der Zuschauer mitfühlen kann«, sagt Ruprecht.

Hechalutz Und tatsächlich präsentiert sich das Stück ohne erhobenen Zeigefinger und »bar jeder didaktischen Attitüde«, wie es in der Ankündigung zur Premiere heißt. Eben weil sich die Bühnenfassung ganz auf die Stimme von Gad Beck konzentriert, gelingt es ihr, die Schrecken des Nazi-Regimes unmittelbarer zu vermitteln. Denn die antisemitischen Verfolgungen sind direkt mit Becks ganz persönlichen (amourösen) Erfahrungen verquickt: Als Jugendlicher schließt er sich der zionistischen Organisation »Hechalutz« an und lernt dort in einer Theatergruppe Manfred kennen, seine erste Liebe.

Ende 1942 wird dieser mit seiner Familie von der Gestapo abgeholt. Beck zögert nicht lange und leiht sich eine HJ-Uniform, um Manfred mit einer wilden Lügengeschichte aus der Haft zu befreien, was ihm tatsächlich gelingt. Doch der Gerettete will wieder zurück zu seiner noch eingekerkerten Familie: »Wenn ich sie jetzt verlassen würde, könnte ich niemals frei sein.« Dieses Erlebnis habe ihn erwachsen werden lassen, wird Gad Beck später als Zeitzeuge oft erzählen – und auch im Stück gehört diese Erinnerung zu den eindrücklichsten Szenen.

untergrund Nach dieser Erfahrung schließt sich Beck der Untergrundgruppe »Chug Chaluzi« an, die alles tut, um Juden, die sich in Berlin verstecken, zu helfen. Beck organisiert Pässe, Unterschlupf und Lebensmittelmarken. Er zögert auch nicht, seinen Körper zu verkaufen, um mögliche Helfer zu gewinnen. Dabei steht Schauspieler Klatt in zerrissenen halterlosen Strümpfen und wenig mehr auf der schmucklosen Bühne – ein Sinnbild für die Körperlichkeit, die die Rolle des Gad Beck nicht nur in dieser Szene erfordert.

Gebrochen wird die Dramaturgie durch die teils revueartigen Lieder, die in das Geschehen eingebunden sind. So singt das Ensemble an einer Stelle trotzig: »Wir leben ewig bis in den Tod« – eine Zeile, die umso mehr im Ohr bleibt, je mehr sich das Stück dem (Kriegs-)Ende nähert.

Schon vor fünf Jahren habe er geplant, den Stoff auf die Bühne zu bringen, sagt Regisseur Ruprecht. Und auch jetzt gelang die Inszenierung nur, weil sich eine ungewöhnliche Koalition aus Geldgebern finden ließ. »Von der Fraktion der Linken im Bundestag bis zur Friede-Springer-Stiftung haben sich Leute finanziell engagiert – anders wäre es nicht möglich gewesen«, beschreibt Ruprecht, der als ausgewiesener Regisseur des politischen Theaters bekannt ist, die Unterstützung.

Und so ist auch Und Gad ging zu David für ihn eine politische Inszenierung – vor allem mit Blick auf die aktuelle »beunruhigende politische Entwicklung«. Er habe das Gefühl, derzeit müsse man aufpassen, sagt Ruprecht. »Hinterher ist man immer schlauer«, führt der Regisseur aus. »Wir haben uns auch deswegen das Stück ausgesucht, weil wir nicht wollen, dass es wieder ein ›Hinterher‹ gibt.«

talkshows Beck wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie nach Israel aus. 30 Jahre lang lebte er in Tel Aviv. In den 50er-Jahren arbeitete er bei der sozialen Integration der vielen Einwanderer mit. In den 60er-Jahren begleitete er den späteren Leiter der Hechalutz-Zentrale in Genf, Nathan Schwalb-Dror, zu Reparationsverhandlungen mit bundesdeutschen Institutionen nach Europa. Danach gestaltete er die Jugendarbeit der jüdischen Gemeinde in Wien, bevor er 1979 schließlich in seine Geburtsstadt zurückkehrte.

In Berlin wurde Gad Beck auf Betreiben des früheren Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski Leiter der Jüdischen Volkshochschule. Nach dem Erscheinen seiner Autobiografie in den 90er-Jahren folgten zahlreiche öffentliche Auftritte im In- und Ausland, in Talkshows und auf Lesereisen.

Am 24. Juni 2012 starb Gad Beck in Berlin. Das Theaterstück, das am Freitag Premiere feiert, dürfte ihm gefallen haben – ist es doch von dem gleichen koketten und ironischen Charme geprägt, den Beck Zeit seines Lebens ausstrahlte.

www.und-gad-ging-zu-david.de

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024