Glossar

Afikoman

Der Afikoman ist ein Stück der am Seder gegessenen Mazze, das während des Mahls versteckt wird

von Konstantin Schuchardt  18.04.2016 17:57 Uhr

Verborgenes Mazzastück: Afikoman Foto: Marco Limberg

Der Afikoman ist ein Stück der am Seder gegessenen Mazze, das während des Mahls versteckt wird

von Konstantin Schuchardt  18.04.2016 17:57 Uhr

In jeder Generation soll sich der Mensch so betrachten, als ob er selbst aus Ägypten ausgezogen sei», heißt es in der Pessach-Haggada. Alle Elemente und Rituale des Seders dienen dazu, das Drama des Auszugs und die Hoffnung auf Erlösung aus dem Exil zum Ausdruck zu bringen. Besonders rätselhaft ist dabei die Bedeutung und Geschichte des Afikomans.

Sederabend Drei Mazzot liegen am Sederabend auf der festlichen Tafel, die als Sinnbild für die drei Arten von Juden – Kohanim, Levi’im und Jisraelim – interpretiert werden. Der Gastgeber bricht die mittlere Mazza in zwei ungleiche Teile (Jachaz) und verbirgt den größeren Teil während des Mahls. Zum Höhepunkt des Seders erscheint das verborgene Mazzastück, das wir Afikoman nennen, wieder auf der Tafel und wird vor dem dritten Becher Wein verspeist. Dieser Brauch ist seit dem Mittelalter fester Bestandteil des Sederabends, doch seine Wurzeln reichen zurück bis in die Antike.

In der Tora lässt sich kein Hinweis auf diese Tradition finden. Und im Talmud ist nur von einer Mazza, die gebrochen wird, die Rede (Pessachim 115). Das früheste Zeugnis des Wortes Afikoman ist in der Mischna (Pessachim 10,8) belegt, wo es heißt, es sei verboten, das Essen mit einem Afikoman zu beenden.

Etymologie Das Wort ist griechischen Ursprungs und lässt mehrere Deutungsmöglichkeiten zu. Es könnte auf den griechischen Begriff «Epikomion» zurückgehen, der ein Trinkgelage mit musikalischer Untermalung bezeichnet. Es ließe sich aber auch auf «Aphikomenos» – «der da kommen soll» – zurückführen. Im ersten Fall könnte die ursprüngliche Bedeutung schlicht darin gelegen haben, dass man nach dem Pessachmahl nicht mehr an anderen, profanen Feierlichkeiten teilnehmen sollte (Pessachim 119b). Später deuteten es die Rabbiner als Verbot, nach dem Pessachlamm noch eine andere Speise zu essen.

Da seit der Zerstörung des Zweiten Tempels keine Opferungen mehr stattfinden, wurde das Pessachlamm symbolisch durch die Mazza ersetzt, die seit dem Mittelalter dann selbst als Afikoman bezeichnet wird. Sie gilt als Reminiszenz an das Lamm, aber auch – gemäß der zweiten möglichen Bedeutung «der da kommen soll» – als Verheißung der endzeitlichen Erlösung.

FESTMAHL So deutete der Kabbalist Chaim ben Avraham HaCohen im 17. Jahrhundert den Pessachseder als Symbol für das Festmahl, das der Ewige in messianischer Zeit für die Gerechten Israels bereiten wird, und im Afikoman sah er ein Symbol des Ungeheuers Leviathan. Diese Ansicht scheint bereits im Europa des 16. Jahrhunderts verbreitet gewesen zu sein und mitunter groteske Blüten getrieben zu haben.

Einen Eindruck davon gibt uns Rabbiner Jakob Kitzingen, der im 16. Jahrhundert in Polen lebte, in seiner Abhandlung Chag ha Pessach. Dort heißt es: «Gib nichts auf jene Toren, die sagen: ›So viel Afikoman ich esse, so viel werde ich einst vom Leviathan erhalten‹, und daraufhin ein großes Stück Afikoman nehmen und es gewaltsam in sich hineinstopfen, wie man ein Kamel mästet.»

Erlösung Der Afikoman kann aber auch als Sinnbild der Erlösung Israels und Hinweis auf den Messias verstanden werden. In Zeiten des Exils steht der verborgene Afikoman für die Hoffnung auf den sehnlich erwarteten Messias, der sich bislang nicht zu erkennen gab. Ohne Messias wird den Juden keine Erlösung zuteilwerden, wie auch der Seder ohne Afikoman kein Ende finden kann.

Aus dem Verbergen des Afikomans hat sich ein Familienspiel entwickelt, bei dem entweder die Eltern den Afikoman verstecken und den Kindern die Aufgabe zukommt, ihn zu suchen, oder die Kinder entwenden ihn heimlich und geben ihn den Eltern gegen eine Art Lösegeld zurück.

Heute bieten manche Onlineshops aufwendige Afikoman-Bags als stilvolles Pessach-Accessoire an. Dies könnte ein Sinnbild dafür sein, dass ihre Kunden sich im Exil inzwischen recht bequem eingerichtet haben.