Tsora’at

Strafe fürs Lästern

»Aussatz« steht nicht für eine medizinische Diagnose, sondern für moralisches Fehlverhalten

von Mendel Itkin  11.04.2016 19:27 Uhr

Maimonides, der Rambam, meint, »Tsora’at« beschreibe das Weißwerden der Haut sowie die Farbveränderung der Kleider. Foto: Thinkstock

»Aussatz« steht nicht für eine medizinische Diagnose, sondern für moralisches Fehlverhalten

von Mendel Itkin  11.04.2016 19:27 Uhr

In unserem Wochenabschnitt geht es darum, wie ein Mensch mit Tsora’at rituell gereinigt wird. Doch was genau ist eigentlich Tsora’at? Es handelt sich dabei nicht, wie gewöhnlich übersetzt wird, um Lepra, die sogenannte Hansen-Krankheit.

An einigen Stellen wird Tsora’at mit »wie Schnee« beschrieben, was auf Schuppen hindeutet. In Aharons Flehen für Mirjam heißt es: »Möge sie doch nicht sein wie die Totgeburt, deren Fleisch schon halb verwest ist, wenn sie aus dem Schoß ihrer Mutter kommt« (4. Buch Mose 12,12). Ein toter Fötus im Mutterleib wird gewöhnlich für zwei Tage rötlich, danach graubraun. Vermutlich ist hier die Farbe von Tsora’at angedeutet. Es geht hier um eine Art Hautabschälung.

Aber auch »Schuppenflechte« ist eine problematische Übersetzung. Denn eine chronische Hautkrankheit kann nicht innerhalb von zwei Wochen geheilt werden und vor allem nicht durch ein Ritual. Außerdem breitet sich Tsora’at auf Stoffe und Häuser aus. Man kann die Frage also nicht medizinisch beantworten.

Bartausfall Die Frage, was Tsora’at ist, kann niemand besser beantworten als Maimonides, der Rambam (1135–1204). Er war zugleich Arzt, Philosoph und einer der größten jüdischen Gelehrten. In seinem halachischen Kodex schreibt er: Tsora’at ist ein allgemeiner Begriff; er schließt viele Gegenstände ein, die sich nicht gleichen. So heißt das Weißwerden der Haut Tsora’at, ebenso wie Haar- und Bartausfall, und auch die Farbveränderung der Kleider und Häuser wird so genannt.

Diese Farbveränderung der Kleider und Häuser, die die Tora mit dem allgemeinen Begriff Tsora’at bezeichnet, ist keine natürliche Erscheinung, sondern ein Zeichen und ein Wunder unter den Juden, um sie vor Laschon Hara (üble Nachrede, indiskretes Geschwätz) zu warnen.

Wenn ein Mensch Laschon Hara spricht, verfärben sich die Wände seines Hauses. Wenn er bereut, wird sein Haus wieder rein. Wenn er auf seiner Bösartigkeit beharrt, bis sein Haus zerstört ist, verfärben sich die ledernen Gegenstände, auf denen er sitzt und liegt. Wenn er bereut, werden sie wieder rein. Wenn er auf seiner Bösartigkeit weiterhin beharrt, bis sie verbrannt werden, verfärben sich seine Kleider. Bereut er, so werden sie wieder rein. Wenn er weiterhin beharrt, verfärbt sich seine Haut, und Tsora’at keimt aus. Er wird daraufhin isoliert, sodass er kein Laschon Hara mehr treiben kann.

Die Tora warnt uns: »Sei sorgfältig bei der Plage Tsora’at … Denke daran, was der Ewige, dein Gott, Mirjam angetan hat auf dem Weg, als ihr aus Ägypten auszogt« (5. Buch Mose 24, 8–9).

Wir sollen erwägen, was Mirjam geschah. Sie sprach gegen ihren Bruder, war älter als er, zog ihn auf und brachte sich in Gefahr, um ihn zu retten. Sie sprach nicht abwertend über ihn, sie setzte ihn lediglich gleich mit anderen Propheten. Mosche erhob keinen Einwand dagegen, wie geschrieben steht: »Mosche war sehr demütig« (4. Buch Mose 12,3). Nichtsdestotrotz wurde Mirjam auf der Stelle mit Tsora’at bestraft.

Umso mehr gerechtfertigt erscheint diese Strafe bei einem gemeinen und törichten Menschen, der über große und außerordentliche Dinge spricht. Deshalb sollte eine Person, die an sich arbeiten möchte, sich von solchen Menschen fernhalten und nicht mit ihnen sprechen, damit sie sich nicht im Netz ihrer Boshaftigkeit und Dummheit verstrickt.

Lügenlippen Das ist der Pfad, auf dem die Dummen schreiten: Zuerst lassen sie sich wortreich über belanglose Dinge aus, wie geschrieben steht: »Die Rede der Dummen ist gekennzeichnet durch viele Worte« (Kohelet 5,2). Auf diese Weise kommen sie dazu, gegen die Gerechten zu sprechen, wie es heißt: »Verstummen sollen die Lügenlippen, die frech reden gegen den Gerechten« (Tehillim 31,19).

Folglich gewöhnen sie sich daran, gegen die Propheten zu sprechen, und versuchen, deren Worte zu verunglimpfen, wie es heißt: »Sie verhöhnten die Boten Gottes und verachteten seine Worte und verspotteten seine Propheten« (2. Chronik 36,16). Dieses wiederum führt dazu, die Existenz Gottes zu leugnen, wie es heißt: »Die Kinder Israels sprachen heimlich Dinge, die nicht recht waren gegen den Ewigen« (Melachim II 17,9).

Deshalb steht geschrieben: »Sie reißen ihr Maul auf gegen den Himmel, und ihre Zunge hat auf Erden freien Lauf« (Tehillim 73,9). Was bewegte sie dazu, ihr Maul gegen den Himmel aufzureißen? Es war ihre Zunge, die zuvor freien Lauf auf Erden hatte. Das ist die Rede der Boshaften, verursacht durch Herumlungern an Straßenecken und durch Zeitverschwendung mit Trunkenbolden in Kneipen.

Dagegen befasst sich die Rede der vornehmen Juden mit Worten der Tora und der Weisheit. Deshalb unterstützt sie der Ewige, gesegnet sei Er, und sichert ihnen Verdienst zu: »Damals redeten die miteinander, die den Ewigen fürchteten, ein jeder mit seinem Nächsten. Und der Ewige achtete darauf und hörte es. Und es wurde aufgeschrieben in ein Buch der Erinnerung vor dem Ewigen für jene, die den Ewigen fürchten und Seinen Namen achten« (Mal’achi 3,16).

Tsora’at ist also kein natürliches Phänomen, keine Krankheit im medizinischen Sinne, sondern eine Strafe Gottes, um den Menschen wieder auf den rechten Pfad zu weisen.

Kriegszüge In der Haftara zu Paraschat Tasria lesen wir über Na’aman: »Na’aman, der Heerführer des Königs von Aram, galt vor seinem Herrn als bedeutender Mann, und er war angesehen, aber der Mann, ein tüchtiger Krieger, hatte Tsora’at« (Melachim II 5,1).

Bei Kriegszügen hatte er ein junges Mädchen aus Israel verschleppt. Sie empfahl ihm, zum Propheten Elischa zu gehen, der ihn heilen könnte. Elischa sagte ihm: »Geh und wasch dich sieben Mal im Jordan.« Na’aman wurde zornig und ging weg. Wahrscheinlich hatte er eine medizinische Lösung erwartet. Er spottete: »Sind nicht der Abana und der Parpar, die Flüsse von Damaskus, besser als alle Wasser Israels? Kann ich mich nicht in ihnen waschen und rein werden?« Wie wir gesehen haben, ist die Ursache von Tsora’at moralisches Fehlverhalten. Deshalb bot Elischa ihm eine moralische Lösung.

Aber was war hier die moralische Lösung? Maimonides sprach nur von Laschon Hara als Ursache für Tsora’at. Doch der Miadrasch kennt weitere Ursachen. Zwei davon sind Hochmut und das Verlangen, Israel zu unterwerfen. Beides findet sich bei Na’aman wieder. Seine einzige Hilfe in der Not war seine Gefangene. Er hörte auf sie und überwand damit seinen Hochmut. Durch das Eintauchen in den Jordan und nicht in einen Fluss in Damaskus musste er den besonderen Charakter des Landes Israel und den seiner Bewohner anerkennen. Er überwand also seinen Hass auf Israel. Elischas Ratschlag zeigte Wirkung: »Na’aman tauchte sieben Mal unter, und sein Leib wurde wieder wie der Leib eines jungen Knaben.«

Der Talmud sagt sogar, dass Na’aman zu einem Ger toschaw, einem Beisassen (in Israel), wurde, indem er die sieben Noachidischen Gebote auf sich nahm und fortan in Israel lebte.

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin und betreibt den Blog www.jewishseptuagint.blogspot.de

Paraschat Mezora
In diesem Wochenabschnitt wird die Reinigung von Menschen beschrieben, die von Aussatz befallen sind. Außerdem schildert die Parascha, wie mit Unreinheiten durch Aussonderungen der Geschlechtsorgane umzugehen ist.
3. Buch Mose 14,3 – 15,33

Basel

Basler Rabbiner übersetzt Talmud-Traktat über Purim 

Zu seinem Abschied hat Moshe Baumel das kürzeste Talmud-Traktat ins Deutsche übersetzt

von Peter Bollag  25.03.2024

Wajikra

Sozial gestaffelt

Die Tora lehrt, dass arme Menschen für ihre Vergehen Tauben statt Schafe oder Ziegen opfern müssen

von Rabbiner Avraham Radbil  22.03.2024

Purim

Der große Plot-Twist

Von der Megillat Esther lernen wir, das Schicksal zu wenden und unsere Zukunft besser zu gestalten

von Rabbiner Akiva Adlerstein  22.03.2024

Berlin

Purim für Geflüchtete

Rabbiner Teichtal: »Jetzt ist es wichtiger denn je, den Geflüchteten die Freude am Feiertag zu bringen«

 21.03.2024

Berlin

Neue Ausstellung über Sex im Judentum

Zu sehen sind rabbinische Schriften, Skulpturen, Filme, Fotografien, tiktok-Videos, Ritualgegenstände und Gedichte

 21.03.2024

Talmudisches

Vom Wert der Arbeit

Was unsere Weisen darüber lehrten, warum man seinen Beruf schätzen sollte

von Yizhak Ahren  21.03.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 18.03.2024

Pekudej

Ort des Gebens

Die Tora lehrt, warum »das jüdische Haus« von so grundlegender Bedeutung ist

von Rabbiner Bryan Weisz  15.03.2024

Talmudisches

Die Eule – Symbol der kommenden Zeit

Was unsere Weisen über den nachtaktiven Vogel lehren

von Chajm Guski  15.03.2024