Rykestraße

Synagoge mit Wickeltisch

Stammbeter, Zuwanderer, Israelis: Die Gemeinde der Synagoge Rykestraße ist zusammengewachsen. Foto: Rolf Walter

Ein Ort der Stille ist sie definitiv nicht. Wer die Sicherheitskontrolle passiert hat und anschließend den Vorraum der Synagoge in der Rykestraße betritt, fühlt sich auf den ersten Blick eher an eine Kita erinnert – und dort geht es bekanntlich nun einmal sehr laut und quirlig zu. »Ein ›Sch...Sch...Scheket!‹ wie in anderen Bethäusern wird man bei uns garantiert nicht hören«, betont Boris Moshkovits, einer der regelmäßigen Beter und aktives Gemeindemitglied, lachend und wiegt dabei seinen erst wenige Monate alten Sohn in den Armen, der das sichtlich genießt.

Vor allem junge Familien bestimmen das Bild, überall hört man ein Stimmengewirr aus Hebräisch, Deutsch, Englisch und Russisch. »Aber nicht nur zu den Hohen Feiertagen haben wir ein volles Haus«, berichtet Moshkovits nicht ohne Stolz. »Auch zu anderen Anlässen kommen Juden aus der ganzen Stadt mittlerweile zu uns.«

Offensichtlich hat man hier etwas geschafft, wovon andernorts noch geträumt wird. »Wir haben uns ganz klar als generationenübergreifende Gemeinde positioniert.« Und damit ein altehrwürdiges Backsteingebäude im neoromanischen Stil mit neuem Leben erfüllt.

historisch Immerhin zählt die Synagoge in der Rykestraße neben der Großen Synagoge in Budapest zu einem der größten jüdischen Gotteshäuser Europas. Sie überstand sogar die Pogromnacht von 1938 halbwegs unbeschadet, weil es den Nazis aufgrund ihrer Innenhoflage und der dichten Bebauung offenbar zu riskant erschien, sie in Brand zu setzen. Nach dem Krieg beheimatete sie als einzige Synagoge im Ostteil Berlins eine bis auf wenige Dutzend Personen schrumpfende Gemeinde.

Dann kam die Wende und – nach umfangreichen Renovierungsarbeiten, bei denen das Architektenehepaar Ruth Golan und Kay Zareh viel Wert darauf legte, den Originalzustand wiederherzustellen –eine Art Neustart. Konzepte und Ideen mussten her, damit ein in Deutschland wohl einzigartiges Gotteshaus, das ursprünglich für 2000 Personen ausgerichtet war und heute Platz für 1200 Beter bietet, wieder Menschen anzieht. Andernfalls wäre es zu einem Museum seiner selbst geworden.

»Für mich ist es eine ganz besondere Ehre, an einem solch historischen Ort wirken zu dürfen«, erklärt denn auch Rabbiner Boris Ronis. »Schließlich handelt es sich um die größte Synagoge Deutschlands. Das motiviert mich stets aufs Neue.«

erfolgsrezept Den 40-Jährigen begeistert vor allem die Zusammensetzung der Gemeinde. »Es kommen sowohl die traditionellen Beter von einst als auch viele Zuwanderer und deren Familien aus der ehemaligen Sowjetunion.« Neuerdings beobachtet er ebenfalls ein wachsendes Interesse der israelischen Community an der Rykestraße.

Zudem hat der Rabbiner einen sehr persönlichen Bezug zu der Synagoge. »Hier habe ich 2009 meine allerersten Erfahrungen gesammelt.« 2010 wurde Boris Ronis ordiniert. »Seither ist viel geschehen. Die Gemeinde ist nicht nur größer geworden, sondern auch stärker zusammengewachsen.« Und damit auch das gegenseitige Vertrauensverhältnis. »Damit haben wir alle gemeinsam eine solide Basis für die Zukunft geschaffen.«

Diese Mischung sowie zahlreiche Kooperationen scheinen das Rezept des Erfolges zu sein. »Es gibt unter anderem eine intensive Zusammenarbeit mit der Studentenorganisation Hillel-Deutschland sowie dem Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES)«, listet Daniel Laufer, Gabbai und im Vorstand der Synagoge aktiv, auf. »Wir sprechen gezielt jüdische Studenten aus Israel, den Vereinigten Staaten und Deutschland an und machen Angebote wie beispielsweise einmal im Monat einen Schabbat nur für sie.«

Das hat sich herumgesprochen. Denn die Formate sind einladend. »Die Veranstaltungen kommen gut an. Sogar bei den Israelis, die in Israel selbst meistens keine Bindung an eine Gemeinde hatten. Aber hier in Berlin entwickeln sie nun ein Gefühl für das, was es bedeutet, als Jude in der Diaspora zu leben.«

Jour fixe Des Weiteren setzt man voll auf Familien, hat einen monatlichen Jour fixe für sie etabliert sowie Kinderspielgruppen und Gottesdienste speziell für die Kleinsten. »Es gab bereits koschere Kochkurse und einen dreitägigen Workshop, an dem wir moderne Sukkot entworfen hatten«, berichtet Moshkovits. »Und zu Pessach planen wir einen gemeinsamen zweiten Seder.« Die Vorbereitungen laufen bereits auf vollen Touren. »Zudem dürften wir in Berlin wohl die einzige Synagoge mit angeschlossenem Wickeltisch sein.«

»All das war aber auch dringend notwendig«, erinnert sich Laufer. »Früher gab es keinerlei Angebote für Familien, weshalb die wenigen Beter eher aus der Altersgruppe 60 plus stammten.« Er selbst war deshalb an manchen Schabbat-Gottesdiensten mit Abstand der Jüngste. Offensichtlich ist das nun Geschichte. Seine Vision lautet heute: »Ich betrachte uns als eine Art Kultursynagoge. Wir müssen unsere Räume aber auch weiterhin neu bespielen, um attraktiv zu bleiben und eine Zukunft zu haben.«

Kantor Jochen Fahlenkamp sieht das ähnlich. »Entgegen aller Unkenrufe hat sich eine harmonische Symbiose aus der Gruppe der Altbeter sowie der russischen Zuwanderer und den Israelis gebildet.«

Und wie sieht die Gründergeneration die Entwicklung? »Ich habe immer gehofft, dass sich etwas verändert«, erklärt Oljean Ingster. Der heute 88-Jährige hat seit 1966 die Geschicke der Synagoge in der Rykestraße maßgeblich mitbestimmt und lange dafür gesorgt, dass in Ostberlin überhaupt so etwas wie jüdisches Leben möglich war. »Ich wünsche mir für die Zukunft, dass unsere Gemeinde noch stärker wird und mehr an Gewicht gewinnt.« Die Weichen dafür scheinen auf jeden Fall gestellt.

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