Frankfurt

Neue Perspektiven

Museumsdirektorin Mirjam Wenzel: »Es gab einen regen Austausch zwischen Ghetto und Stadt.« Foto: Rafael Herlich

Nach zwei Jahren Umbauzeit eröffnet das Museum Judengasse in Frankfurt nicht einfach mit neuen Exponaten in renovierter Umgebung, nein, es zeigt und manifestiert ganz neue Sichtweisen. Nämlich die auf das Ghetto Judengasse, das, wie Museumsdirektorin Mirjam Wenzel sagte, »mit den Ghettos der NS-Zeit wenig gemein hatte«.

Vielmehr sei der Frankfurter Straßenzug »über vier Jahrhunderte hinweg die Heimat einer der bedeutendsten jüdischen Gemeinden Europas« gewesen. »Die Judengasse war in die Gesellschaft der Reichsstadt Frankfurt eingebunden«, fasst Wenzel den aktuellen Forschungsstand zusammen. »Wir betrachten die Judengasse jetzt nicht mehr als Gefängnis, sondern als kulturelles Zentrum«, resümiert Gottfried Kössler, Mitarbeiter am Pädagogischen Zentrum des Museums. »Das ist eine positive neue Perspektive.«

Zwar waren die Tore des – von 1462 bis zur Erlangung des gleichwertigen Bürgerrechts 1796 bestehenden – Ghettos abends, sonntags und an christlichen Feiertagen geschlossen. Doch wenn sie geöffnet waren, gab es einen regen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch. Beispielhaft nannte Wenzel dafür einen Chanukkaleuchter, der in der neuen Ausstellung zu sehen ist. Er wurde um das Jahr 1680 gefertigt und stammt aus der Werkstatt von Valentin Schüler. »Der christliche Silberschmied brachte in die aufwendige Gestaltung des Leuchters auch das eher christliche Symbol der Glocke ein, das sein jüdischer Auftraggeber möglicherweise nicht unbedingt vorgesehen hatte«, wies Wenzel auf das Detail hin.

Geschichtsbewusstsein
Mit der Neueröffnung hat das Museum auch seinen Eingang verlegt. Er grenzt nun direkt an den alten jüdischen Friedhof an der Battonnstraße und damit auch an die Mauer mit den Gedenksteinen für die im Holocaust ermordeten Frankfurter Juden – unter ihnen auch Anne Frank. »Mit der Verlegung des Eingangs an die Battonnstraße betonen wir, dass die Annäherung an die deutsch-jüdische Geschichte und Kultur stets auch bedeutet, ihrer Zerstörung gewahr zu werden«, begründet Wenzel die Neugestaltung des Eingangsbereichs, mit der auch Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth sehr zufrieden ist: »Der Eingang macht jetzt deutlich, dass man in ein Museum geht. Vorher hatte man das Gefühl, man geht in irgendeinen Raum.«

Die alte Museumsstruktur kommt bei Semmelroth nicht gut weg: »Man hatte immer den Eindruck eines Provisoriums. Es sah aus wie eine Pflichtübung«, gab sich der Dezernent in der Retrospektive kritisch und erinnerte noch einmal an das Jahr 1987, als die Stadtwerke Frankfurt die Überreste des Ghettos bei Bauarbeiten entdeckten und ein heißer Streit darüber entbrannte, ob und wie diese geschützt werden sollten. Im ersten Raum des Neubaus werden die damaligen Debatten thematisiert – unter anderem mit dem von 1987 stammenden Protestplakat. »Die Vergangenheit bewahren, statt mit Baggern darüber fahren.«

So führt das Museum vom Gedenken und Streit über seine Verwirklichung im wahrsten Sinne des Wortes hinein in die alte Judengasse: Im zweiten Raum geht es direkt zurück in die frühe Neuzeit. Anhand eines Acrylmodells und eines kurzen Films erfahren die Besucher, dass die Häuser der Judengasse Namen trugen wie »Roter Hahn« oder »Wilder Mann«, wie lange die äußeren Grenzen bestanden und wann die gesamte Gasse einem Großbrand zum Opfer fiel.

Merianplan Der Weg führt weiter zu Exponaten wie dem »Merianplan«, einem Stadtplan aus dem Jahr 1682, über den die Museumsgäste per Audioguide geleitet werden. Von der Wechselbeziehung zwischen den Ghettobewohnern und den anderen Frankfurtern zeugt auch das ausgestellte Gebet des Oberrabbiners Pinchas ha Levi Horotwitz (1754–1817) zur Krönung des Kaisers Leopold II. Verfasst und niedergeschrieben hat es der Rabbiner 1790, in deutscher und hebräischer Schrift.

Die Besucher erfahren allerhand über den Alltag in der Judengasse – über die Infrastruktur mit Synagoge und Beit Din –, wie es sich angefühlt haben muss, dort zu leben, weshalb bestehende Wohnhäuser geteilt wurden und warum es nicht selten zu Streit kam.

Wer in die Geschichte buchstäblich tiefer eintauchen möchte, kann über eine Treppe zu den alten Fundamenten und Steinen der ehemaligen Judengasse hinabsteigen, zwischen den Mauerresten herumlaufen und in die tief ins Erdreich führende Mikwe blicken. Das restaurierte und in der Originalhöhe angebrachte Geländer ist für die Besucher unerreichbar und macht deutlich, dass sie sich im Kellergeschoss der ehemaligen Judengasse befinden.

Installationen In allen Räumen gibt es spezielle Installationen für Kinder, denn »ein Museum muss für alle Altersgruppen geeignet sein«, betont Museumsdirektorin Wenzel. Für Schüler hat die pädagogische Abteilung zudem ein Begleitheft in Form einer Schnitzeljagd konzipiert. Sie dürfen die alten Steine ausdrücklich auch anfassen und betasten. Es wird künftig ständige Kinderprogramme geben, und auch Geburtstage können im Museum Judengasse gefeiert werden. An Erwachsene soll sich ein (After-Work-)Programm mit Workshops, Konzerten und anderen Veranstaltungen richten.

Die Neueröffnung des Museums Judengasse steht im Kontext zum großen Jüdischen Museum im Rothschild-Palais, das derzeit renoviert und erweitert wird. Von 2018 an soll es dann das jüdische Leben nach 1800 präsentieren – und unter anderem einen großen Teil des Nachlasses der Familie von Anne Frank zeigen.

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