Reaktionen

Die Wahl der Qualen

Prognose? Ein Karnevalswagen zeigt beim nachgeholten Rosenmontagszug in Düsseldorf am Tag der Landtagswahlen das Motiv »AfD gestern, heute, morgen«. Foto: dpa

Es scheint, als hätten alle Bemühungen, die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) zu verhindern oder ihren Wahlerfolg zu minimieren, nichts genutzt. Für den Vorsitzenden des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, Max Privorozki, wo die AfD mit 24,2 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei wurde, ist das schlimmste Szenario eingetreten, das er sich vorstellen konnte. Er halte die Partei für gefährlicher als die NPD, hatte Privorozki vor den Wahlen gesagt. Nun haben die Wahlergebnisse die Prognosen noch übertroffen. »Wir müssen optimistisch bleiben«, meint Privorozki lakonisch, »Juden haben Schlimmeres überstanden.«

Das stimmt zwar. Aber für Barbara Traub, Stuttgarter Gemeindechefin und Zentralrats-Präsidiumsmitglied, ist die Höhe der Zustimmung für die AfD »sehr erschreckend«. Traub hatte vor der Wahl die Mitglieder der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) in der Gemeindezeitung aufgefordert, von ihrem demokratischen Recht Gebrauch zu machen und wählen zu gehen. Doch eine hohe Wahlbeteiligung hat diesmal nicht – wie sonst üblich – der rechten Partei Stimmenverluste, sondern Gewinne aus der Mitte der Bevölkerung gebracht.

Dass die rechtspopulistische Partei möglicherweise ein Schächt- und Beschneidungsverbot fordern könnte, empört Traub sehr. »Das würde die jüdische Gemeinschaft natürlich nicht akzeptieren. Weil die Beschneidung und das Schächten fundamentale Bestandteile unserer Religion sind. Ein Verbot ist für uns nicht verhandelbar«, sagt Traub.

verunsicherung Ein Grund für den Wahlerfolg der AfD sei darin zu suchen, dass die Menschen tief verunsichert sind, sagt die Gemeindevorsitzende von Mannheim, Schoschana Maitek-Drzevitzky. Mit 15,1 Prozent ist die AfD in Baden-Württemberg auf Platz drei gelandet. In Mannheim ist sie mit 23 Prozent die stärkste Partei, »und das in einer so toleranten Stadt, in der 170 Nationen seit Jahrzehnten friedlich zusammenleben«. Maitek-Drzevitzky kann es nicht fassen. Doch Antisemitismus sei nicht das »Markenzeichen« der AfD, meint die Gemeindevorsitzende. »Wir brauchen keine AfD, um zu wissen, dass es Antisemitismus in Deutschland gibt, das haben uns Pegida und Aussagen auch von Politikern anderer Parteien deutlich gezeigt.«

»Ich hoffe, dass es ein Zeitphänomen ist. Die hohen Prozentzahlen sind eine Reaktion auf eine Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien, die sich auf die Flüchtlingspolitik fokussiert«, sagt die Mainzer Gemeindevorsitzende Stella Schindler-Siegreich. Sie setzt auf die Stärke der Gesellschaft, solchen Parteien zu begegnen. »Das Furchtbare sind die hetzerischen Elemente der AfD«, sagt sie. Einerseits gebe es die menschliche Katastrophe der Flüchtlinge, auf der anderen Seite brauche die Gesellschaft ein Gleichgewicht.

Angst Schindler-Siegreich sieht die Ängste der Bürger als Grund, der AfD ihre Stimme zu geben. Doch sie sei zuversichtlich. »Wir haben in der westdeutschen Geschichte mehrere rechte Parteien erlebt, wie die NPD Ende der 60er-Jahre, die Deutsche Volksunion oder die Republikaner in den 80er-Jahren. Bislang war Deutschland stark genug, solche Parteien zu überstehen. Aber man muss natürlich auch Kräfte mobilisieren«, sagt Schindler-Siegreich.

Kräfte mobilisiert haben Alexander Beresowski und Wolfgang Fuhl, allerdings in die Gegenrichtung. Sie sind zwei jüdische Kandidaten, die für die AfD in Stuttgart beziehungsweise in Lörrach ins Rennen gingen. Beresowski und seine drei Mitstreiter im Wahlbezirk Stuttgart I firmierten unter dem Begriff »Vernunftkandidaten«.

In Lörrach hatte sich der ehemalige Vorsitzende des Oberrats der Israeliten Badens, Wolfgang Fuhl, für die AfD aufstellen lassen. Ein zentrales Thema der Nominierungsversammlung im vergangenen September war auch die Flüchtlingskrise, bei der die AfD der Politik schlechtes Management vorwarf, aber zugab, selbst auch keine Lösung zu haben. Die AfD-Versammlung musste damals unter Polizeischutz stattfinden, da eine Gegendemonstration angekündigt, aber wieder abgesagt worden war.

Kandidat Bis 2012 leitete Fuhl die Jüdische Gemeinde Lörrach, saß im Landesverband der Badener Juden und im Direktorium des Zentralrats. Nach seinem Rückzug von diesen Ämtern begann der heute 55-Jährige, sich politisch zu engagieren – und zwar weit rechts: 2013 trat er der AfD bei, für die er auch bei der Bundestagswahl im gleichen Jahr – allerdings erfolglos – kandidierte. Damals war die AfD noch vor allem eine Anti-Euro-Partei, was sich mit der Flüchtlingskrise änderte.

Für den Abteilungsleiter einer Lörracher Textilfirma waren die neuen, radikalen Töne aus der AfD kein Grund, die Partei wieder zu verlassen, im Gegenteil: Bei der Landtagswahl vom Sonntag trat er im Landkreis Lörrach als deren Spitzenkandidat an und erhielt rund 13 Prozent der Stimmen, was zwar nicht für ein Mandat im Stuttgarter Landtag reichte, »für einen jüdischen AfD-Kandidaten aber ein sensationelles Ergebnis ist«, wie Fuhl der Allgemeinen sagte.

Angriffe Negative Erfahrungen habe er im Wahlkampf überhaupt keine gemacht, fügt er noch hinzu. Und erwähnt die Attacke auf den anderen jüdischen AfD-Kandidaten im »Ländle«, Alexander Beresowski in Stuttgart. Er war Opfer eines möglicherweise von linken Antifagruppen verübten Anschlags geworden. Vor dem Eingang seines Wohnhauses hatten die Täter einen provisorischen Bretterzaun errichtet und ihn mit selbst erstellten »Fahndungsplakaten« versehen.

Auf den Fußboden waren Hassparolen wie »Rechte Sau« und »Beresowski, du Rassist« geschmiert. Man empfinde dies als »antisemitische Schmähung und Bedrohung unseres Landtagskandidaten«, ereiferte sich die AfD-Leitung auf ihrer Homepage. Beresowski verfehlte den Sprung in den Landtag ebenfalls.

Für Fuhl ist dieser Vorfall ein Beispiel dafür, dass AfD-Vertreter Opfer von Gewalt werden. Dass sie aufgrund ihrer rassistischer Rhetorik zu geistigen Brandstiftern werden könnten, davon will Fuhl hingegen nichts wissen: »Das gibt es bei uns nicht.« Andere Parteien hätten ein größeres Problem mit dem Antisemitismus als die AfD, findet er. »Zum Beispiel Die Linke und ihr Antizionismus«, sagt Fuhl.

CDU-Position Spricht man ihn allerdings auf Äußerungen eines Björn Höcke oder anderer ostdeutscher AfD-Repräsentanten an, räumt Fuhl ein, dass es da gewisse Bedenken gebe. Dass er als früherer jüdischer Repräsentant nun die AfD vertrete, sei für ihn hingegen kein Widerspruch: Die AfD vertrete einfach Positionen der ehemaligen CDU. Sich selbst bezeichnet er als »bürgerlich-konservativ«.

Dass sein derzeitiges Verhältnis zum aktuellen Gemeindevorstand in Lörrach distanziert sei, habe nichts mit seiner AfD-Mitgliedschaft zu tun, sagt Fuhl. Und nach der Wahl darauf angesprochen, ob er glaube, auch jüdische Stimmen erhalten zu haben, meint er nur: »Ich weiß es nicht. Aber viele russische Mitglieder der Jüdischen Gemeinde sagten mir vor der Wahl, sie würden mich ganz sicher wählen, wären sie hier stimmberechtigt.«

Für die Stuttgarter Gemeindechefin Traub ist dies geradezu »absurd«. »Juden sind besorgt über die Zuwanderung von vielen Menschen aus dem arabischen Raum, das darf aber nicht am Schluss bedeuten, dass man sich einer solchen Partei anbietet oder sie wählt«, sagte sie der Jüdischen Allgemeinen.

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