Redezeit

»Ich suche nach Antworten«

Alexa Karolinski über ihren Film »Alles in allem«, ihre Familiengeschichte und jüdisches Leben in Deutschland

von Philipp Peyman Engel  04.01.2016 12:40 Uhr

Alexa Karolinski Foto: Stephan Pramme

Alexa Karolinski über ihren Film »Alles in allem«, ihre Familiengeschichte und jüdisches Leben in Deutschland

von Philipp Peyman Engel  04.01.2016 12:40 Uhr

Frau Karolinski, Ihr Dokumentarfilm »Oma & Bella« über Ihre Großmutter war äußerst erfolgreich. Welche Geschichte wollen Sie in Ihrem neuen Film erzählen?
Der Film ist ein sogenannter Essay-Film, abgeleitet vom französischen »essayer«, versuchen. Ein Essayfilm ist also ein Versuch, den man filmisch dokumentiert. In diesem Fall ist es ein Versuch, meine deutsch-jüdische Identität besser zu verstehen, durch Geschichte, Politik, aber auch Kunst und Film …

Klingt kompliziert …
Nun, ich habe einen persönlichen Ansatz gewählt und mache einen subjektiven Film. Das wird kein Dokumentarfilm, in dem man »den Historiker«, »den Psychologen«, »den Professor« im Interview sieht, sondern Menschen, die ich mag und die mich inspirieren – mit ihrem Wissen, ihrer Arbeit oder ihrer Geschichte.

Der Arbeitstitel lautet »Alles in allem«. Was hat es damit auf sich?
Ich suche nach Antworten und vor allem auch nach Zusammenhängen. Das sollte bereits im Titel anklingen. Durch meine Familiengeschichte habe ich immer sehr viel über die Geschichte nachgedacht, was mich zugegebenermaßen zugleich häufig frustriert hat.

Inwiefern?
Mein Interesse hat sich oft als Obsession angefühlt, als etwas Negatives. In Deutschland werden gesellschaftliche und kulturelle Themen und Diskussionen häufig als Problem anstatt als Herausforderung betrachtet. In den USA habe ich gelernt, dass meine innerlichen Konflikte und meine Interessen etwas sind, aus denen ich etwas Künstlerisches und Schönes schaffen kann. Das habe ich mit »Oma & Bella« gemacht, und das mache ich mit diesem Film.

Sie leben seit einiger Zeit in Los Angeles. Blicken Sie von dort anders auf das jüdische Leben in Deutschland?
Es hat vielmehr meinen Blick auf das Leben allgemein erweitert, und das Jüdischsein spielt darin ein große Rolle. Da ich überhaupt nicht religiös bin, ist meine jüdische Identität hauptsächlich durch den Holocaust und sein Erbe sowie durch die amerikanisch-jüdische Popkultur geprägt. Meine jüdische Identität lässt sich von meinem Deutschsein einfach nicht trennen, und das macht das Bild komplizierter und interessanter.

Was ist der größte Unterschied im Vergleich zum Leben als Jude in den USA?
In den Staaten feiern Minderheiten ihre Unterschiede, es gibt keine Normkultur, an die man sich wirklich anzupassen hat. Deshalb gibt es dort ein echtes multikulturelles Leben. Und weil die USA schlicht viel größer sind, gibt es dort ein viel lebendigeres und pluraleres jüdisches Leben. Das muss sich in Deutschland noch weiter entwickeln, aber in Berlin sehe ich schon, wie das langsam passiert.

In Ihrem neuen Film spielt Berlin eine zentrale Rolle. Was war das für ein Berlin, in dem Sie aufgewachsen sind?
Ich bin in den 90ern aufgewachsen, und so wie alle anderen Berliner in meinem Alter haben wir nicht nur aktiv mitbekommen, wie die Stadt sich ungefähr verdoppelt hat. Ich war alt genug, um mit Freunden ständig auf Entdeckungsreise zu gehen, und jung genug, um nicht vor dieser großen Veränderung Angst zu haben.

Wie fühlt sich Berlin heute für Sie an?
Berlin ist heute die Lieblingsstadt der westlichen Welt. Ich erinnere mich gut an die Zeiten, wo das nicht entfernter von der Realität sein konnte. Berlin ist international und fühlt sich frei an. Ich bin gespannt, wie viele junge Menschen da bleiben oder nur auf der Durchreise sind und was von dort hängenbleibt.

Wie bei »Oma & Bella« haben Sie sich auch bei dem neuen Film entschieden, ihn per Crowdfunding mitzufinanzieren. Warum?
Das Crowdfunding-Geld ist nicht das ganze Budget, sondern nur ein Teil. Heutzutage wird das vor allem von jungen Filmemachern erwartet, auch wenn der Film im ZDF und im Kino laufen wird. Man zeigt Förderern, dass es für den Film ein Publikum gibt, und das ist wichtiger denn je, denn es gibt weniger öffentliche Gelder für Film, aber immer mehr Filmemacher.

Die Frist für die Finanzierungsphase endet in wenigen Tagen. Wie viel Geld ist bisher zusammengekommen?
Ich habe bisher knapp über 33.000 Dollar gesammelt. Insgesamt muss ich 55.000 Dollar sammeln.

Was passiert, wenn der ganze Betrag nicht zusammenkommt?
Dann kriege ich nichts von den 55.000 Dollar. Bei Kickstarter muss man das ganze Geld während einer bestimmten Zeitperiode sammeln. Aber das Projekt wird so oder so realisiert werden.

Welche Rückmeldungen gibt es von den Spendern?

Ich bekomme sehr viele E-Mails von den unterschiedlichsten Menschen: Musiker und Grafikdesigner, die gerne an dem Projekt mitarbeiten wollen, Filmstudenten, junge Kreative in Berlin und auch viele Juden mit deutschen Wurzeln. Mir hat vor ein paar Tagen ein Student geschrieben, dass er nur zehn Dollar beitragen kann, das Projekt aber unbedingt unterstützen möchte. Ein 20-Jähriger, der sich einfach für den Film interessiert und ihn fertig sehen möchte – solche Mitteilungen freuen mich am meisten.

Das Gespräch mit der Regisseurin führte Philipp Peyman Engel.

www.kickstarter.com/projects/1333069330/alles-in-allem-all-things-considered?lang=de

Aufgegabelt

Gemüsesuppe mit Ptitim

Rezepte und Leckeres

 15.04.2024

Essay

Die Postkoloniale Theorie und ihre Folgen

Warum die akademisch-aktivistische Dämonisierung Israels so gefährlich ist

von Ingo Elbe  15.04.2024

»I Dance, But My Heart is Crying«

Der Sound des Scheunenviertels

Der Film des Regisseurs Christoph Weinert feierte in Berlin seine Premiere

von Florentine Lippmann  12.04.2024

Fernsehen

»Die Zweiflers« räumen in Cannes ab

Die Serie erzählt die Geschichte einer jüdische Familie und von deren Delikatessengeschäft in Frankfurt

 12.04.2024

Musikalischer Botschafter

Yuval begeistert Jury und Publikum in »The Voice Kids«

In der SAT1-Musikshow sang er den Song »Yasmin« der israelischen Band »Hapil Hakachol«

 11.04.2024

Kino

Amy Winehouse und der Davidstern

»Back to Black« geht auch den jüdischen Wurzeln der Sängerin nach

von Jens Balkenborg  11.04.2024

Sehen!

»Ein Glücksfall«

Der neue Film von Woody Allen ist nett anzusehen, doch einen wirklichen Drive entwickelt er nicht

von Jens Balkenborg  11.04.2024

Kino

»Helen Mirren ist ein fantastischer Anker«

Der deutsch-schweizerische Regisseur Marc Forster über seinen Film »White Bird« mit der britischen Oscar-Preisträgerin

von Patrick Heidmann  11.04.2024

Antilopen Gang

Oktober in Europa

Ein Raptrack gegen Antisemitismus mischt die linke Szene auf – und erntet Lob aus ungewöhnlicher Richtung

von Mascha Malburg  11.04.2024