Griechenland

Lebensabend am Meer

Fast zehn Jahre ist es her, dass sich in der jüdischen Gemeinde Athen eine Gruppe von Menschen zusammenfand, um über ein gewagtes Projekt zu beraten: den Bau eines privaten Altenheims für Schoa-Überlebende. Die Kosten sollten durch private Spenden getragen werden. Nur kurze Zeit später wurde der »Wohltätigkeitsverein der Athener Juden« gegründet – und einige der Mitglieder stellten ihr gesamtes Vermögen für die Gründung des Altenheims zur Verfügung.

Von den erforderlichen 15 Millionen Euro zahlte allein die jüdische Familie Resti mehr als die Hälfte. Das Altenheim ist deshalb nach ihr benannt: »Restion«. Zwei Millionen Dollar kamen von der Claims Conference. Und 600.000 Dollar spendete Spaniens Königin Sophia (die 1938 in Athen geboren wurde und aus einem deutschen Fürstenhaus stammt). Die restliche Summe kam von kleinen Privatspendern, die an das Projekt glaubten und es fördern wollten.

Aufsichtsrat Weil der Aufsichtsrat und der Direktor des Restion sehr früh voraussahen, dass es bald nicht mehr viele Überlebende geben wird, öffneten sie die Türen ihres Heims für alle – auch für Rentner, die nur ein paar Urlaubswochen dort verbringen wollen. Denn das jüdische Altenheim ist reizvoll gelegen, nur sieben Kilometer vom Meer entfernt.

Die Hälfte der Anlage besteht aus einem riesigen Garten. Hier wachsen Apfel-, Quitten-, Pflaumen- und Olivenbäume. Im hinteren Bereich werden verschiedene Gemüse angebaut. »Das deckt nicht den Gesamtbedarf an Lebensmitteln, die das Restion täglich in der Küche zubereitet, aber es ist ein gutes Gefühl, wenn man weiß, dass man die Tomaten im eigenen Garten gepflückt hat«, erklärt Monis Halegoua, der Leiter des Restion. Die ursprüngliche Idee war, dass die älteren Menschen, wenn sie möchten, selbst ein Beet bestellen könnten.

Komfort Das Restion ist heute das vermutlich größte, private und komfortabelste Altenwohnheim Griechenlands. Die »Oase der Ruhe«, wie sich die Einrichtung in Werbeprospekten gern nennt, liegt inmitten der attischen Tiefebene, knapp 50 Kilometer vom Athener Stadtzentrum entfernt.

»Es hat sich ganz anders entwickelt, als die Gründer es sich ausgemalt hatten«, erklärt der 57-jährige Monis Halegoua, der selbst Sohn eines griechischen Schoa-Überlebenden ist. »Am Anfang hatten wir die Absicht, das Restion als ausschließlich jüdisches Altenheim zu führen. Doch es gab nicht genügend Juden, die als Bewohner infrage kamen. Viele Alte in Griechenland wünschen sich, ihren Lebensabend mit der Familie zu verbringen.« So reichten im Eröffnungsjahr 2008 die wenigen Bewohner des Restion nicht aus, dass sich das Haus selbst tragen konnte. Damals lebten nur acht jüdische Senioren auf 7000 Quadratmetern Wohnfläche, und es gab 22 Angestellte. So musste der Aufsichtsrat sehr rasch über Alternativen nachdenken. Und fand sie: Er öffnete das Restion auch für nichtjüdische Griechen.

Heute sind von den 67 Zimmern 56 belegt. In einem davon lebt die 90-jährige Sarah Mischkatel, die keine Familie mehr hat. Sie habe immer in Athen gelebt, sagt sie, selbst während der Besatzungszeit. Dass sie heute lebt, verdankt sie einem nichtjüdischen Arzt. Der gab sie als seine Nichte aus, obwohl Sarah sein Dienstmädchen war. Dass sie überlebt hat, nennt sie »ein Wunder«. Sie ist glücklich, im Restion ein neues Zuhause gefunden zu haben. Sie lobt »die Sauberkeit, die Ordnung, die Mitbewohner und die Krankenschwestern«.

Wie die meisten jüdischen Altenheime verfügt das Restion über eine eigene Synagoge, und es gibt auch eine Mikwe. Gleich daneben befindet sich ein Friseursalon. Mit dem Fahrstuhl geht es zum großen Aufenthaltsraum und weiter zum Speisesaal. Dort steht Ioanna, eine der diensthabenden Krankenschwestern. Sie kümmert sich um die Sitzordnung und das Austeilen des Essens. Bei ihrem ersten Besuch vor achteinhalb Jahren hat sie sofort entschieden, dass sie im Restion arbeiten möchte. Heute betrachtet sie die Bewohner so, als wären sie ihre Familie. »Die meisten zeigen uns, wie dankbar sie dafür sind, dass wir uns Zeit für sie nehmen. Alle öffnen uns ihr Herz.«

Kosten Im Restion zu wohnen, hat allerdings seinen Preis. Rund 1500 Euro kostet es im Monat – für viele eine zu hohe Summe. Bei den jüdischen Bewerbern, so hat der Aufsichtsrat kürzlich beschlossen, wird ganz individuell beraten, wie man helfen kann, damit der ältere Mensch dennoch aufgenommen werden kann. Im Notfall gibt die jüdische Gemeinde Athen eine finanzielle Unterstützung.

Direktor Halegoua glaubt, dass es in Griechenland keinen besseren Ort zum Altwerden gibt als das Restion. »Ein Sohn, der sich für seinem Vater einen guten Lebensabend wünscht, freut sich, dass der Vater hier jeden Morgen seinen frisch gepressten Orangensaft bekommt und jeden Nachmittag seinen Mokka, dass er das Schwimmbad und die Bibliothek nutzen kann, dass er zweimal die Woche ans Meer gefahren wird, dass man ihn einmal im Monat zum Ouzo in eine Taverne ausführt und dass er jederzeit mit einem Psychologen sprechen kann.«

Sehr dankbar, dass sie ihren Lebensabend im Restion verbringen kann, ist die Holocaust-Überlebende Esther Kohen. Sie ist über 90, quicklebendig und strahlt über das ganze Gesicht. Sie sagt, es gäbe keinen Ort, an dem sie glücklicher sein könnte als im Restion.

Die neueste Idee ist eine Zimmervermietung für wenige Tage. Eine gute Gelegenheit für rüstige ältere Menschen auch aus dem Ausland, die einen nahe gelegenen Strand wünschen und rundum versorgt sein wollen.

Interview

Der Medienschaffer

Der Ausnahmejournalist und Unternehmer Roger Schawinski über Erfolg, Judenhass und den 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  28.03.2024

Nachruf

Joe Lieberman stirbt mit 82 Jahren

Fast ein Viertel Jahrhundert lang setzte er sich als Senator auch für jüdische Belange ein

von Imanuel Marcus  28.03.2024

USA

Bildhauer Richard Serra gestorben

Für mehr als 100 öffentliche Orte schuf er Skulpturen – von Philadelphia und St. Louis bis Bochum und Kassel

 27.03.2024

Moskau

Evan Gershkovich bleibt in Untersuchungshaft

Putin will den inhaftierten US-Journalisten gegen russische Gefangene auszutauschen

 26.03.2024

Glosse

Woher stammt der Minderwertigkeits-komplex vieler Schweizer gegenüber Deutschen?

Und was verbindet die Identitätskarte mit der Rappenspalterei?

von Nicole Dreyfus  25.03.2024

Schweiz

Antisemitismus-Problem an Schulen

Die Zahlen sind erschreckend, doch die Stadt Bern wiegelt ab. Und jüdische Eltern verlieren das Vertrauen

von Nicole Dreyfus  24.03.2024

Großbritannien

»Beste Wünsche für eine Refua Schlema«

Oberrabbiner Sir Ephraim Mirvis und das Board of Deputies wenden sich nach ihrer Krebsdiagnose an Prinzessin Kate

 24.03.2024 Aktualisiert

Jubiläum

Mehr als koscheres Pastrami-Sandwich

New York feiert in diesem Jahr seinen 400. Geburtstag. Eine Reise durch die jüdische Geschichte der Stadt

von Hannes Stein  23.03.2024

Iran

Von Schuschan bis Teheran

Tausende Juden leben noch in der Islamischen Republik. Dieser Tage feiern sie Purim – trotz allem

von Mascha Malburg  21.03.2024