Glossar

Trefa

Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums

von Stephan Probst  19.10.2015 23:08 Uhr

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Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums

von Stephan Probst  19.10.2015 23:08 Uhr

Als »trefa« bezeichnet die Bibel Beutetiere, die von wilden Tieren gerissen wurden. Man nahm an, dass das Reißen eines Tieres durch ein Raubtier zu Zerlöcherungen innerer Organe führt, die ein Tier, auch wenn es nicht unmittelbar stirbt, lebensunfähig machen. Dadurch wird es als Opfergabe, aber auch als Nahrung für den Menschen unbrauchbar.

Später wurde der Begriff »trefa« generell auf Speisen angewandt, die nach der Halacha verboten sind. Es ist interessant und mag für manche Leser irritierend sein, dass der Begriff »trefa« auch eine Rolle in der jüdischen Medizinethik spielt und dort auf Menschen bezogen wird, also auch außerhalb der Speisegesetze eine wichtige Bedeutung hat. Im Schulchan Aruch (Jore Dea) werden im Kontext der Speisegesetze Mängel beschrieben, die, findet man sie bei einem an sich erlaubten und vorschriftsmäßig geschächteten Tier, es als trefa, also nicht zum Verzehr geeignet, disqualifizieren.

Als solche Mängel werden im Talmud 18 pathologisch-anatomische Befunde im Sinne von »Löcherungen von Organen« oder »Totverletzungen« aufgeführt, die nicht mit dem Leben vereinbar sind. Das bedeutet, das Tier wäre in einer absehbaren Zeit an dieser Krankheit gestorben, wäre es nicht geschlachtet worden – dies macht es untauglich. Der talmudische Grundsatz aus dem Traktat Chulin lautet: »Kol sche’ejn kamoha chaja trefa«. (Was in diesem Zustand nicht lebensfähig ist, ist trefa).

Befund Jüdische Medizinethiker übertragen dieses Konzept der Tarfut auf den Menschen und definieren es in Analogie als das Vorhandensein einer unheilbaren Erkrankung, die innerhalb einer begrenzten Zeit unumkehrbar zum Tode führt. Damit kennt die jüdische Medizinethik zwei unterschiedliche Bezeichnungen für Todkranke: Als »Goses« bezeichnet die Halacha einen Menschen, der erwartungsgemäß innerhalb von 72 Stunden sterben wird, also einen Menschen, bei dem augenscheinlich der Sterbeprozess begonnen hat. In dieser Definition fehlt jedoch das oben erwähnte »Unumkehrbare« der Tarfut, und es werden keine spezifischen pathologisch-anatomischen Befunde damit verknüpft, sondern nur die Symptome des Sterbeprozesses aufgeführt.

Dies heißt aber auch, dass der Zustand eines Goses potenziell reversibel ist, und erklärt, warum die Halacha so sehr betont, dass ein Goses in jedem Fall wie ein Lebender zu behandeln ist. Jede Maßnahme, die sein Leben verkürzt, gilt als Mord.

Eine Unterscheidung zwischen Gosesim und Tareifot vorzunehmen, ist keine Erfindung der modernen jüdischen Medizinethik. Es gibt im Talmud (Traktat Sanhedrin) Anweisungen für juristische Entscheidungen, die berücksichtigen, ob ein Mensch trefa ist, also an einer unheilbaren Krankheit leidet, die innerhalb von mindestens zwölf Monaten zum Tode führt, oder nicht.

Lazarus Goldschmidt (1871–1950) übertrug »trefa« in seiner Talmud-Übersetzung mit »auf den Tod verletzt« oder »mit Todverletzungen«. Bei der Ahndung von Kapitalverbrechen wie Mord durch die Todesstrafe spielte diese Berücksichtigung eine große Rolle. So entfiel für einen Mörder die sonst übliche Todesstrafe, wenn sein Opfer von vornherein trefa war. Den Mörder sollte in dem Fall keine irdische Strafe treffen, von der göttlichen Strafe war er indes nicht frei.

Epoche Der amerikanische konservative Rabbiner und Medizinethiker Elliot N. Dorff plädiert dafür, den Begriff der Tarfut auf manche der Kranken anzuwenden, die so typisch für unsere Epoche sind: die unheilbar und unumkehrbar tödlich erkrankt sind und doch durch die Errungenschaften der modernen Medizin nicht wie früher unmittelbar sterben, sondern Monate oder gar Jahre weiterleben müssen.

Da sie aber weder in die Kategorie der Gosesim noch die der gesunden Lebenden zu zählen sind, mag es eine Berechtigung geben, bei ihnen die künstlich lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen angesichts der fehlenden Aussicht auf Besserung abzubrechen oder gar nicht erst einzuleiten. Ihr natürliches Sterben sollen wir also zulassen und nicht um jeden Preis das Sterben verzögern, wenn sie trefa sind.