KZ-Groteske

Monty Python in Auschwitz

Foto: KEIN & ABER

Auf Weisung seines Königs schuf ein Zauberer einen magischen Spiegel, der die Seele des Hineinschauenden zeigte. Der König, der seinen Blick abwenden musste, versprach jedem, der länger als eine Minute in den Spiegel schauen könne, eine gut gefüllte Schatztruhe. Doch niemand war dazu in der Lage.

Mit diesem Märchen beginnt Szmul, das dienstälteste Mitglied des Häftlingssonderkommandos, das in Auschwitz-Birkenau für die Ausplünderung und Beseitigung der Leichen zuständig ist, seinen fiktiven Bericht. Das Lager sei ein solcher Spiegel, mit einem Unterschied. Niemand, der einmal hineingesehen habe, könne sich davon abwenden.

Die »Sonder«, wie sie genannt werden, bekommen für ihre schreckliche Tätigkeit ausreichend Nahrung, außerdem Schnaps und Zigaretten. Szmul kann wie seine Leidensgenossen niemandem mehr in die Augen sehen (»Wir sind unendlich widerwärtig und unendlich traurig dazu«). Dennoch diskutiert er permanent mit seinen Kameraden darüber, wie man der Außenwelt das Grauen des Lagers vermitteln könne.

anmassung Das wirkt wenig glaubwürdig, fast frivol, wie so vieles in diesem Roman. Ist es nicht überhaupt eine Anmaßung, nachvollziehen zu wollen, was ein Mensch in dieser Situation empfindet? Die Figur des Szmul ist jedenfalls weit weniger ausgearbeitet als die der beiden Hauptpersonen des Romans.

Lagerkommandant Paul Doll sieht sich seinen Aufgaben nicht gewachsen und gibt sich dem Selbstmitleid hin, seine Frau verachtet ihn. So ergeht er sich in Gewaltobsessionen, rassistischen Tiraden und Alkoholismus. Sowohl Doll als auch sein Rivale Golo Thomsen erinnern in Zügellosigkeit und Zynismus an den Protagonisten von Jonathan Littells Die Wohlgesinnten. Mancher mag darin gekonnten britischen Humor sehen. Aber muss man Monty Python wirklich nach Auschwitz exportieren?

effizienz Schürzenjäger Thomsen, der für die SS die Arbeit am Aufbau der Produktion in dem zu Auschwitz gehörenden Buna-Standort überwacht, wendet sich – wenig nachvollziehbar – vom Nationalsozialismus ab. Ein Buna-Mitarbeiter schlägt ihm vor, die Effizienz der Arbeit zu erhöhen, indem man die Häftlinge weniger quält und ihnen mehr zu essen gibt. Daraufhin denunziert Thomsen den Finanzfachmann bei der Politischen Abteilung. Natürlich nur, um den Aufbau der Kautschukproduktion zu bremsen und damit die drohende Autarkie Deutschlands zu verhindern. Später kommt er selbst in Haft, nach dem Krieg hilft er den Amerikanern bei der Entnazifizierung. Zynismus pur.

Die Hausverlage des Autors in Deutschland und Frankreich, Hanser und Gallimard, lehnten das Buch ab. Sie hatten gute Gründe. Amis’ magischer Spiegel ist stumpf, seine Figuren haben keine Seele, die er spiegeln könnte.

Martin Amis: »Interessengebiet«. Roman. Deutsch von Werner Schmitz. Kein & Aber, Zürich 2015, 416 S., 25 €

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024

Kunst

Akademie-Präsidentin gegen Antisemitismus-Klausel

»Wir haben ein gutes Grundgesetz, wir müssen uns nur daran halten«, sagt Jeanine Meerapfel

 19.04.2024

Jehuda Amichai

Poetische Stimme Israels

Vor 100 Jahren wurde der Dichter in Würzburg geboren

von Daniel Staffen-Quandt  19.04.2024

Antisemitismus

Zentralrat der Juden äußert sich zu Hallervordens Gaza-Video

Das Gaza-Gedicht des Schauspielers wurde in den vergangenen Tagen massiv kritisiert

 19.04.2024

Streaming

»Bros«: Zwei Trottel, eine Bar

Die erste rein hebräischsprachige und israelische Original-Produktion für Netflix ist angelaufen

von Ayala Goldmann  18.04.2024

Interview

»Deutschland ist eine neurotische Nation«

Bassam Tibi über verfehlte Migrationspolitik, Kritik an den Moscheeverbänden und Ansätze für islamische Aufklärung

von Christoph Schmidt  18.04.2024

Verschwörungstheorien

Nach viel kritisiertem Israel-Hass-Video: Jetzt spricht Dieter Hallervorden

Der Schauspieler weist die Kritik an seiner Veröffentlichung zurück

 18.04.2024

Venedig

Israelhasser demonstrieren bei Kunstbiennale

Die Demonstranten forderten einen Boykott israelischer Künstler

 18.04.2024

Klassik

Eine Liebeserklärung an die Mandoline

Der israelische Musiker Avi Avital verleiht Komponisten wie Bach oder Vivaldi einen unverwechselbaren neuen Touch

von Christine Schmitt  18.04.2024