3. Oktober

»Es schließt sich der Kreis«

Bei der Themenwoche »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« soll auch das Geheimnist der Bagels gelüftet werden. Foto: Montage: Marco Limberg

Die deutsche Wiedervereinigung vor 25 Jahren hat auch das jüdische Leben tiefgreifend verändert. Durch den Zuzug von Juden aus der früheren Sowjetunion ist die Mitgliederzahl der hiesigen Gemeinden rasant gewachsen – und das jüdische Leben vielfältiger geworden. Wir haben gefragt, wie Juden den Tag vor 25 Jahren erlebt haben, wie sie die Einheit heute sehen und was sie für sie bedeutet.

Salomon Almekias-Siegl (68), Rabbiner, Hamburg
Vor der Deutschen Einheit hieß es immer: »Die Russen stehen vor Tür.« Seit 1990 gibt es die Gefahr nicht mehr, und keiner muss davor Angst haben. Es ist schön zu sehen, wie Ost- und Westdeutschland zusammengewachsen sind. Das kann ein gutes Beispiel für andere Länder sein.

Cynthia Barcomi (52), Unternehmerin und Kochbuchautorin, Berlin
25 Jahre Deutsche Einheit ist wie ein Bagel: Es schließt sich der Kreis, und Deutschland ist inklusiver als je zuvor. Das ist eine tolle Entwicklung.

Rabbiner Joel Berger (78), ehemaliger Landesrabbiner von Württemberg, Stuttgart
Ich erinnere mich an Jubel und Freude bei den Ostdeutschen und an Zufriedenheit und eine erwartungsvolle Haltung bei den Westdeutschen. Helmut Kohl sprach sogar von blühenden Landschaften. Für Juden in Deutschland bedeutete die Einheit nicht nur ein größeres Deutschland, sondern auch ein viel breiteres jüdisches Leben. Es gab neue Gemeinden und neue Rabbiner – so viele wie noch nie seit der Schoa. Es ist ein richtig pluralistisches Gemeindeleben geworden. Die Deutsche Einheit bedeutete, dass die Teilung Europas in zwei Blöcke aufgehoben war – und sie bedeutete für Juden freie Entfaltung, Reisefreiheit und ein freies Leben. Ich hoffe, dass dies so bleibt – und dass das Schengen-Abkommen nicht kaputtgemacht wird.

Benno Bleiberg (61), Rechtsanwalt und Notar, Berlin
Ich habe den Mauerfall verschlafen. Die Deutsche Einheit ging mir zu schnell – man hatte kaum Zeit, sich darauf einzustellen. Am Anfang haben sich unsere Befürchtungen bestätigt – brennende Asylbewerberheime in Hoyerswerda und Rostock zeigten eine erhebliche Fremdenfeindlichkeit. Umso erfreulicher ist jetzt die Willkommenskultur, die sich herausgebildet hat und die Pegida in den Schatten stellt. Ich hoffe, dass der Keim aufgeht und Deutschland ein demokratischer, toleranter Rechtsstaat bleibt.

Benjamin Bloch (72), Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Frankfurt/Main
Die Deutsche Einheit läutete die Zuwanderung der Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ein und bedeutete für die jüdische Gemeinde in Deutschland sowie den deutschen Staat eine enorme Bereicherung. Die Integration jüdischer Zuwanderer hat die Aufgabenstellung der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland (ZWST) als auch der jüdischen Gemeinden stark erweitert und prägt diese bis heute.

Annette M. Boeckler (49), Leo Baeck College, London
Ich kannte die deutsche Grenze auf dem Weg nach Berlin, Hunde in Zügen, Wartezeiten über mehrere Stunden an der Grenze, demütigende, verletzende Sicherheitskontrollen. Ich kannte die DDR, schockiert über die Angst dort, seine Meinung frei zu sagen, selbst bei Kindern. Die Öffnung der Grenze zu Ungarn habe ich während eines Aufenthalts in der DDR mitbekommen. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1989 saß ich als Studentin in Westdeutschland an meinem Schreibtisch an irgendeiner Seminararbeit. Meine Zimmernachbarin sah Fernsehen, und durch die Wand hörte ich Wörter wie »die Mauer fällt«, »die Grenze offen« – dann habe auch ich den Fernseher eingeschaltet. Meine Schwester, die in Berlin lebte, gab mir am nächsten Tag weitere Infos. Sie war zur Grenze gefahren und hatte Fotos gemacht. Wenig später besuchte ich sie in Berlin. Meine Gemeinde – Synagoge Oranienburger Straße – unter uns »die O« genannt – erlebte ich als eine Mischung aus »Ossis« und »Wessis«, wobei jedoch dies nie Konfliktpunkte waren. Wir waren EINE Gemeinde, alle Berliner und alle Juden. und das einte enorm. Der Austausch der Erfahrungen war ungemein interessant und befruchtend. Viele Freundschaften, die damals in Berlin entstanden sind, wären ohne die »Einheit« wohl niemals sonst zustande gekommen.

Sharon Brauner (46), Schauspielerin und Musikerin, Berlin
Ich glaube, ich war damals am Ku’damm , dort war ein riesiges Fest. Da fiel mir zum ersten Mal auf, dass ich keine Massenkundgebungen mag. Ich dachte eigentlich, dass die Welt sich mit der Wiedervereinigung zum Positiven verändern würde. Dieses Gefühl habe ich heute nicht mehr. Es war eher eine kurze Euphorie, stattdessen sind neue Probleme dazugekommen.

Mike Samuel Delberg (26), Leiter des Jüdischen Studentenzentrums Berlin und Repräsentant der Jüdischen Gemeinde, Berlin
Als Kind der Wende war und ist ein vereintes Deutschland immer Teil meiner Realität gewesen. Deshalb bin ich glücklich, dass meine Generation mit der Denkweise aufwuchs, dass kein Hindernis unüberwindbar und keine Mauer unzerstörbar ist.

Barei Efraim (36), Gemeinderatsmitglied Jüdische Gemeinde, Düsseldorf
1990, ich bin zum ersten Mal in Ostberlin, und sitze mit den Eltern für einen Kaffee im Restaurant eines von den Japanern erbauten Hotels an der Friedrichstraße. Heute gibt es das Hotel nicht mehr. Und irgendwie ist 1990 ganz, ganz lange her. (Als wäre Deutschland nie getrennt gewesen.)

Leeor Engländer (33), Kolumnist bei »Die Welt«, Berlin
Mit Blick auf die Krisen unserer Zeit, und insbesondere wenn ich an Israel denke, schenkt mir die deutsche Wiedervereinigung Hoffnung! Das Ende der deutschen Teilung und der Frieden in Europa erinnern mich täglich daran, dass es möglich ist, unüberwindbar scheinende Konflikte zwischen verfeindeten politischen Systemen und Völkern friedlich zu lösen.

Pavel Feinstein (55), Künstler, Berlin
Vor 25 Jahren habe ich mich über die Wiedervereinigung Deutschlands sehr gefreut und sah mit Neugier der Zukunft entgegen. Nun sehe ich ein Deutschland, in dessen Straßen muslimischer Mob ungestraft »Juden ins Gas!« schreien darf, und meine Neugier hat einem fortgeschrittenen Pessimismus Platz gemacht.

Manfred Friedländer (80), Gabbai im Minjan des Jeanette-Wolff-Seniorenzentrums, Berlin
Für mich war die Wiedervereinigung ein Glücksfall. Ich bin vor dem Krieg in Ostberlin aufgewachsen, hatte in der Rykestraße meine Barmizwa, bevor ich 1948 nach Israel gegangen bin. Die Viertel meiner Kindheit wiederzusehen, hat mich sehr glücklich gemacht. Aber wenn wir nicht sehr aufpassen, geht es mit unserem Land bergab, denn der Zenit ist überwunden: Jetzt, nach 25 Jahren, macht jeder, was er für richtig hält. Das birgt auch eine mögliche Radikalisierung der Gesellschaft, fürchte ich. Heute habe ich am meisten Angst vor Rechtsradikalen. Ich hätte damals nicht gedacht, dass es davon einmal so viele im Osten geben würde. Den Flüchtlingen von heute müssen wir beistehen und ihnen helfen. Andererseits macht es mir Angst, dass diejenigen, die hierherkommen, mit der europäischen Kultur nicht vertraut sind.

Nathan Gelbart (49), Rechtsanwalt und Vorsitzender des Keren Hayesod Deutschland, Berlin
Vor 25 Jahren wurde Deutschland nach 45 Jahren gewaltsamer Teilung friedlich wiedervereinigt. Im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen gilt es heute umso mehr, keine neuerliche gesellschaftlich-kulturelle Teilung dieses Landes zuzulassen und um den Erhalt unserer freiheitlich-demokratischen Werte zu kämpfen.

Rolf Isaacsohn (82), ehem. Gemeindevorsitzender, Leipzig
Die Zeit verrinnt wie nichts. Ist das tatsächlich schon 25 Jahre her, dass wir das erste Mal in den Westen gefahren sind? Man hätte wohl Tagebuch führen müssen über diese Zeit damals. Leider vergisst man vieles.

Angelika Jung-Sattinger (65), Vorstandsmitglied der WIZO Stuttgart und Assistentin des Landesrabbinats, Stuttgart
Ich habe die Zuwanderung der Kontingentflüchtlinge, die im Zuge der Deutschen Einheit kommen konnten, immer als große Chance empfunden. Klar war einiges bei der Integration holprig und hat vielleicht nicht auf Anhieb funktioniert. Denn wir mussten die Zuwanderer ja doppelt integrieren, in die Religion und in die staatliche Gemeinschaft. Und das ist uns gelungen, und zwar so gut, dass wir schon längst nicht mehr in Alteingesessene und Zugewanderte unterscheiden, weder in der Gemeinde noch bei der WIZO. Ich zähle viele Zuwanderer zu meinen besten Freunden. Es sind fesche, tatkräftige, klasse Frauen, die bei der WIZO mithelfen. Wir sind alle Juden, egal woher wir kommen, und das empfinde ich als große Bereicherung.

Wladimir Kaminer (48), Schriftsteller, Berlin
Ich bin im Sommer 1990, also vor 25 Jahren, aus Moskau nach Berlin gekommen, gerade an dem Tag, als die deutsche Mannschaft gegen die argentinische im Finale gewann und zum dritten Mal Weltmeister wurde. Die ganze Stadt feierte und hupte, an jedem Trabi hingen Deutschland-Fahnen. Mein damaliger Freund, mit dem ich zusammen die Reise nach Berlin unternommen hatte, konnte es nicht glauben, dass die ganze Feierei nur einem Fußballspiel galt. Er meinte, die Deutschen würden noch immer die Wiedervereinigung feiern, weil diese Wiedervereinigung in ihrer Geschichte das größte Ereignis des Jahrhunderts sein sollte. Wenn es hier jeden Tag so zugeht, meinte mein Freund, sollten wir hierbleiben und nicht weiterziehen. Am nächsten Tag sah die Stadt und ihre Bürger ganz anders aus, sie feierten nicht mehr. Wir sind aber trotzdem geblieben.

Daniel Killy (53), Journalist und Autor, Hamburg

25 Jahre Deutsche Einheit sind eine große Erfolgsgeschichte für unser Land. Und durch Vereinigung sowie Zuwanderung ist auch die jüdische Gemeinschaft zahlenmäßig gewachsen. Deren Einfluss jedoch ist im gesellschaftlichen Kontext des neuen Deutschland leider deutlich geringer geworden – hoffentlich ändert sich das wieder.

Elisa Klapheck (52), Rabbinerin des Egalitären Minjans, Frankfurt/Main
Vor 25 Jahren war ich skeptisch. Mit der Öffnung des Ostens und dem Zusammenwachsen Europas gab es jedoch auch einen neuen Aufbruch im jüdischen Leben. Das Wiederentstehen des liberalen Judentums ebenso wie des modern orthodoxen Judentums in Deutschland sind Folgen davon. Insgesamt ist die deutsche Gesellschaft bunter, toleranter und auch demokratischer geworden. Trotz rechtsradikaler Auswüchse (NSU, etc.) ist die Bilanz positiv.

Igor Mitchnik (24), Autor und Student, London
Die Angst saß meiner Familie tief in den Knochen: Wie würde das gerade erst wiedervereinte Deutschland die jüdischen Einwanderer aus der Sowjetunion aufnehmen? Aufgewachsen und sozialisiert in der Sowjet-Ukraine, kannten sie nur das alte Gesicht Deutschlands vor ‹45 – das der Pogromnacht, des »Blitzkriegs« und der »Endlösung«. Heute können sie nicht verstehen, was mich immer wieder dazu verleitet, diesem sicheren Hafen des Wohlstands den Rücken zu kehren, um Erfahrungen woanders zu sammeln. Denn die 25 Jahre Deutsche Einheit bedeuten für meine Familie auch fast 25 Jahre Einwanderungsgeschichte, in denen sie Frieden, Sicherheit und die ungebrochene Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Europa entwickeln konnte.

Daniel Neumann (42), Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Frankfurt/Main
»Aus großer Kraft folgt große Verantwortung«, riet Ben Parker seinem Ziehsohn »Spiderman« in der gleichnamigen Comic-Verfilmung. Wer, wenn nicht das wiedervereinigte Deutschland, sollte sich diese Weisheit für alle Zeiten ins Stammbuch schreiben.

Judith Neuwald-Tasbach (56), Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Gelsenkirchen
Wenn ich an die Deutsche Einheit denke, fallen mir als Allererstes die wegfallenden Grenzkontrollen ein. Ich bin damals viel nach Berlin gefahren, weil ich dort Verwandte habe. Die Grenzkontrollen fand ich immer besonders störend. Ihr Wegfall war für mich auch so das Gefühl, dass nun endlich die letzten Zeichen des Krieges verschwanden. Und dass dann auch das jüdische Leben nicht mehr an der Grenze haltmachte, sondern im Osten Deutschland wiedererstand. Das erfüllt mich wirklich mit Freude.

Max Privorozki (52), Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle und des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt, Halle
Deutschland war für mich das erste Land außerhalb der Sowjetunion, in das ich gereist und in dem ich schließlich geblieben bin. Möglich hat es die Deutsche Einheit gemacht, es ist für mich also ein sehr erfreuliches Ereignis. Ich bin in Kiew geboren, und wäre es so mit der Sowjetunion weitergegangen, wäre ich wohl niemals ins Ausland gekommen. Wir in Halle bekommen gerade die Feierlichkeiten hautnah mit. Frau Merkel ist an diesem Nachmittag in Halle. Es gibt sicherlich Menschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion – vor allem Ältere –, die meinen, dass es für sie früher besser war. Für mich ist Deutschland zu 100 Prozent ein Gewinn.

Benyamin Reich (38), Künstler, Berlin
Deutsche Juden, ex-sowjetische Juden, israelische Juden – die besondere Mischung des Berliner Judentums: ein Kind der Wiedervereinigung.

Michael Ritzmann (33), Künstler, Erfurt
Wenn ich »25 Jahre Deutsche Einheit« höre, geht mir durch den Kopf, wie beschissen alt ich geworden bin. Damals wurde ich eingeschult – oh weh, so lange ist das jetzt schon her! Inzwischen bin ich also länger aus der Schule raus, als ich hingegangen bin.

Heinz Rothholz (69), Synagogenvorstand Pestalozzistraße, ehemaliges Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Ostberlins, Berlin
Wir, die Juden, haben bewiesen, dass es Gott gibt. Ansonsten wäre die Mauer heute noch da. Was mit der Mauer ebenfalls wegfiel, war der staatlich verordnete Antisemitismus in Form von Antizionismus. Darüber war ich glücklich und zufrieden. Was lebbares Judentum angeht – wir hatten auch im Osten das, was man dazu brauchte. Dennoch will ich keinen Tag aus dieser Zeit zurückhaben.

Walter Rothschild (61), Rabbiner, Berlin
Für Juden ist die Einheit Gottes wichtiger als die Einheit irgendeines Landes. Aber ich werde mich freuen, wenn Berlin eines Tages statt eines Ossi- (Schönefeld) und eines Wessi-Flughafens (Tegel) einen Einheitsflughafen haben wird. Vielleicht kommt er ja zum 50. Jubiläum der Deutschen Einheit.

Levi Salomon (57), Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, Berlin
Ohne die Deutsche Einheit wäre die jüdische Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nicht dieselbe gewesen. Für mich wie für viele andere jüdische Menschen aus der Sowjetunion hieß es: Do Swidanje, Auf Wiedersehen Sowjetunion, Shalom, Guten Tag Deutschland.

Victor Sanovec (72), Künstler, Oberwesel

Die damalige rauschhafte Begeisterung über die Veränderung ganz Europas ist verflogen. Deutschland setzt sich immer stärker vom Westen ab. Die romantische Nabelschau verspricht nichts Gutes.

Yoav Sapir (36), Übersetzer, Berlin
Es macht mich traurig, dass gerade das wiedervereinigte Berlin so sehr an der Wiedervereinigung Jerusalems zweifelt. Je mehr Zeit vergeht, umso weniger scheinen die Deutschen aus ihrer eigenen Geschichte gelernt zu haben.

Martin Schubert (36), Autor, Berlin
Im Rückblick scheint die Deutsche Einheit ein einziger Taumel. Doch als zehnjähriger Bonner Beamtensohn traumatisierte mich eher der drohende Verlust der Hauptstadtehre meiner Heimatstadt. War Bonn-Bad Godesberg nicht der Nabel der Welt? Im Sommer 1990 wurde ich durch die Fußball-WM abgelenkt und kam durch den Sieg des deutschen Teams doch noch in den vollen Genuss eines Gefühls nationaler Zufriedenheit, das dann auch weit in den 3. Oktober 1990 hineinreichte. Heute, 25 Jahre später, wundere ich mich, dass das schon 25 Jahre her ist, und denke mir, dass Marius Müller-Westernhagen inzwischen auch schon alt sein muss.

Chana Schütz (59), Stellvertretende Leiterin Centrum Judaicum, Berlin
Für die Juden in Deutschland war die Wende ein absoluter Glücksfall. Vor der Deutschen Einheit hatte die Gemeinde in Ostberlin ungefähr 150 Mitglieder und die Westberliner Gemeinde circa 3000. Laut einer Prognose aus den 70er-Jahren hatte das jüdische Leben in Westberlin keinen Bestand. Die Deutsche Einheit hat diese Prognose widerlegt

Amnon Seelig (33), Kantor, Berlin

Die Deutsche Einheit zeigt uns, dass, was wir für unfassbar halten, sehr schnell passieren kann. Ich wünsche mir mehr Einheit auch unter den Juden Deutschlands.

Hermann Simon (65), Gründungsdirektor der Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum, Berlin
Kaum vorstellbar, dass die gewaltigen Veränderungen vor einem Vierteljahrhundert erfolgten. Meine damaligen Ängste – vor allem, weil es dem Vorsitzenden des Zentralrats, Heinz Galinski, nicht gelungen war, in der Präambel des Einigungsvertrages eine Passage über die Schoa zu verankern – erwiesen sich als unberechtigt. Ich lebe gerne in diesem Land und kann mir keine andere Heimat als Berlin vorstellen. Die neuen Herausforderungen, mit denen auch die jüdische Gemeinschaft durch die Zuwanderung konfrontiert ist, müssen wir in Kenntnis der Probleme meistern.

Alexander Sperling (35), Geschäftsführer der Synagogen- Gemeinde, Köln
Im Zuge der Deutschen Einheit hat erst die Furcht vor einem neuen Großdeutschland geherrscht, welche sich im Nachhinein jedoch als völlig unbegründet herausstellte. Im Gegenteil: Für die jüdische Gemeinschaft war sie ein Segen, denn erst durch den Fall des Eisernen Vorhangs wurde die neue Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion möglich. Ohne die Deutsche Einheit würde es heute vielleicht kaum noch jüdisches Leben in Deutschland geben.

Andrew Steiman (57), Rabbiner, Frankfurt/Main
Dabei gewesen zu sein, mitgestaltet zu haben, als neue Gemeinden entstanden, so viele tolle Zuwanderer kennengelernt zu haben – das war wirklich spannend, ja einmalig. Es wurden aber auch viele Fehler gemacht und Chancen verpasst. Insgesamt eine Erfolgsstory, in der die Minderheit die Mehrheit integriert hat und inzwischen an einer gemeinsamen Zukunft baut. Uns allen Kol HaKawod!

Lala Süsskind (69), ehem. Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Berlin
Ich bin Berlinerin und stolz auf meine Stadt. 25 Jahre Deutsche Einheit sind auch verbunden mit dem Wandel Berlins von einer geteilten Stadt zur weltoffenen Kulturmetropole, die sie heute ist.

Dalia Wissgott-Moneta (65), Leiterin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde, Frankfurt/Main
Deutschland hat sich in den 25 Jahren sehr stark verändert, es ist bunter und vielfältiger geworden. Das hätte ich nicht gedacht. Am Anfang hatte ich Angst, dass Deutschland wieder zu mächtig und chauvinistisch werden würde. Aber das ist nicht eingetreten. Wir leben hier in Frankfurt vielleicht auch in einem sehr hübschen Raumschiff. Ich möchte jedenfalls nicht in einer Stadt leben, wo ich nicht auf die Straße treten kann, weil nur Rechtsradikale um mich herum sind. Und das gibt es leider eben auch.

Fabian Wolff (25), Publizist, Berlin

Ich bin einen Monat vor dem Mauerfall auf die Welt gekommen – und ich bin froh, dass ich in Ostberlin geboren, aber in Berlin aufgewachsen bin. Heute ist klar: Die Einheit war nicht das glorreiche Ende deutscher Geschichte, sondern nur ein weiteres Kapitel von Versäumnissen mit einem Unterstrom von Gewalt. Aber das hätte man eigentlich schon damals wissen können.

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