EMG 2015

»Signal an die Gesellschaft«

Bundesjustizminister Heiko Maas über die Bedeutung der Spiele und jüdisches Leben in Deutschland

von Philipp Peyman Engel  23.07.2015 15:48 Uhr

»Gegen Ende schmerzt ein Triathlon nur noch. Das ist schlimmer als jeder Streit in der Politik«: Heiko Maas Foto: dpa

Bundesjustizminister Heiko Maas über die Bedeutung der Spiele und jüdisches Leben in Deutschland

von Philipp Peyman Engel  23.07.2015 15:48 Uhr

Herr Maas, als Makkabi Deutschland Ihnen kürzlich die Patenschaft für den Triathlon-Wettbewerb bei den European Maccabi Games angeboten hat, haben Sie direkt zugesagt. Warum ist es Ihnen wichtig, die Sportveranstaltung zu unterstützen?
Die große verbindende Kraft des Sports trägt dazu bei, Brücken zu bauen und Freundschaften zu knüpfen oder zu vertiefen. Ich finde, dass die Maccabi Games neben dem sportlichen Aspekt auch eine hervorragende Gelegenheit bieten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Dieser Dialog ist ungeheuer wichtig, um gemeinsam die Zukunft gestalten zu können.

Was ist für Sie das Besondere an den Spielen in Berlin?
Es ist die größte jüdische Sportveranstaltung Europas, in mehr als 20 Disziplinen kommen über 2000 jüdische Athleten aus rund 30 Ländern zusammen. Das ist ein ganz wertvolles Zeichen, wie reich und wie vielfältig das jüdische Leben in Deutschland wieder geworden ist. Darüber freue ich mich sehr, das ist ein wichtiges Signal an und in unsere Gesellschaft.

Inwiefern?
Wir haben eine besondere Verantwortung, das jüdische Leben in Deutschland zu fördern. Das sollte jedem klar sein. Dazu gehören auch sportliche Begegnungen. Die Spiele sind eine große Chance und ein großes Glück für unser Land. Daneben sind wir auch weiter in der Pflicht, die Vergangenheit aufzuarbeiten und den kritischen Blick auf uns selbst zu richten. Bei der Aufarbeitung der NS-Zeit geht es ja nicht um ein verstaubtes Kapitel der Restauration der Adenauer-Ära. Der Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus hat mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes kein Ende gefunden. Aus heutiger Sicht wird uns immer klarer, dass es mit dem Kriegsende keine »Stunde Null« gegeben hat.

Zum Teil gab es in der jüdischen Gemeinschaft Kritik daran, dass die Spiele in Deutschland stattfinden. Wie denken Sie darüber?
Ich kann natürlich nachvollziehen, dass Berlin für die Maccabi Games kein Ort wie jeder andere ist. Hier sonnte sich Hitler 1936 im Glanz der Olympischen Spiele, hier wurde auch der Völkermord an den Juden Europas geplant und gesteuert. Aber: Deutschland hat auch einen engen Bezug zur Makkabi-Bewegung. Der erste Präsident der Makkabi-Welt-Union war der Deutsche Heinrich Kuhn, und ab 1929 war der Sitz des Verbandes hier in Berlin. Ich hoffe, dass wir in Berlin auch wieder an diese Wurzeln der Makkabi-Bewegung anknüpfen können. Insofern ist es mir eine Ehre, die Patenschaft für einen der Wettbewerbe übernehmen zu dürfen.

Was viele nicht wissen: Sie sind selbst ein leidenschaftlicher Triathlet. Wie kamen Sie zu dem Sport?
Ich kannte Triathlon lange nur aus dem Fernsehen. Und weil ich kein begnadeter Schwimmer war, dachte ich nie daran, es einmal selbst zu probieren. Aber irgendwann überkam mich der Ehrgeiz, und ich habe mir jemanden gesucht, der mir das Kraulen beibrachte. Brustschwimmen ist nicht nur langsamer, es ist auch wegen der Muskelbelastung problematisch, wenn man nach der Schwimmdistanz auf das Fahrrad steigt. Mein erster Triathlon war dann 2008 der Hamburg City-Man – ein tolles Erlebnis.

Wie steht es zurzeit um Ihre Form?
Soweit es die Zeit zulässt, versuche ich, meinem Hobby Triathlon nachzugehen und mich dadurch fit zu halten. Erst Mitte Juli war ich bei einem der weltweit größten Triathlon-Wettkämpfe, der Challenge Roth, mit einer Prominentenstaffel am Start und habe dabei den Radteil übernommen. 90 Kilometer in knapp über drei Stunden war das Ergebnis.

Wer wäre eigentlich schneller: Sie oder Joschka Fischer zu seinen besten Marathonzeiten?
Das ist schwer zu sagen. Um es einmal so zu formulieren: Ich war vor einiger Zeit mit Joschka Fischer essen. Daher weiß ich, dass ich zumindest momentan der sportlich Aktivere bin.

Wie viel Zeit fürs Training bleibt einem eigentlich als Bundesminister?
Natürlich ist das Ministeramt sehr zeitintensiv. Aber jeder hat sein Steckenpferd neben dem Job, meines ist der Triathlon. Ich versuche auch, wenn möglich, mit dem Rad von zu Hause ins Ministerium zu fahren, das sind immerhin knapp 30 Kilometer. Für regelmäßige Wettkämpfe müsste ich sicher mehr trainieren, aber ich versuche, mir Ziele zu stecken. Das motiviert.

Welchen Stellenwert hat der Ausdauersport in Ihrem Alltag?
Triathlon ist für mich vor allem eine gute Möglichkeit, den Kopf wieder frei zu kriegen. Denn bei dem, was wir in der Politik machen, ist es schwierig, nach Hause zu kommen, sich auf die Couch zu setzen und sofort zu entspannen. Gerade beim Laufen und Radfahren gelingt es mir aber extrem gut, alles, womit ich mich den ganzen Tag beruflich auseinandergesetzt habe, für eine bestimmte Zeit hinter mir zu lassen. Auch Ärger und Frust.

»Gegen meinen inneren Schweinehund sind meine politischen Gegner Weicheier.« Dieser Satz ...
(Lacht) Ja, der Satz stammt von mir. Bei einem Triathlon fragt man sich schon, warum man sich das antut, aber schwimmt natürlich weiter. Dann kommt das Radfahren, später das Laufen. Gegen Ende schmerzt es dann nur noch. Das ist schlimmer als jeder Streit in der Politik. Aber dann nach einem langen Wettkampf durchs Ziel zu laufen, ist ein unfassbares Glücksgefühl. Es lohnt sich jedes Mal wieder, durchzuhalten.

Welchen Tipp haben Sie für die EMG-Sportler in Sachen Überwindung des inneren Schweinehundes?
Die Strategie muss jeder für sich selbst finden. Wichtig ist, mit Freude anzutreten und seine Grenzen überwinden zu wollen. Wer gut vorbereitet startet, ist schon halb im Ziel angekommen.

Kommen wir zu einem ganz anderen Thema. Bei den deutschlandweiten antiisraelischen Kundgebungen von vornehmlich arabischen und türkischen Demonstranten im vergangenen Sommer kam es zu etlichen antisemitischen Straftaten. »Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!« skandierten Demonstranten ganz offen vor den Augen der Polizei. Wie haben Sie diese Welle des Hasses erlebt?
Die Ereignisse rund um die Anti-Israel-Kundgebungen haben mich sehr schockiert. Judenhass darf in Deutschland nie wieder eine Bühne bekommen. Jeder Einzelne ist gefordert, alles zu tun, um jüdisches Leben in Deutschland zu schützen. Keiner darf sich bei uns bedroht fühlen – das Recht und wir alle stehen an ihrer Seite, wenn Juden mit Hassparolen angegriffen werden. Wer jüdisches Leben attackiert, darf keine Toleranz erwarten und wird mit aller Härte des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen.

Bislang aber wurden nur wenige Demonstranten wegen dieser Hassparolen bestraft. Müssten Polizei und Staatsanwaltschaften bei den Anti-Israel-Kundgebungen nicht viel entschlossener einschreiten?
Es gibt leider noch immer viel zu viele Straftaten, die aus Hass gegen Juden begangen werden. Nach den Statistiken unserer Polizei wurden allein im Jahr 2014 mehr als 1500 antisemitische Straftaten begangen; die meisten Fälle davon waren »Propagandadelikte«, wenn jemand etwa Nazi-Parolen gerufen oder ein Hakenkreuz an die Wand einer Synagoge geschmiert hat. Die sorgfältige Ermittlung und Berücksichtigung derartiger Beweggründe muss auch im Strafverfahren, insbesondere bei der gerichtlichen Strafzumessung, gewährleistet sein.

Was tut Ihr Ministerium, um dies sicherzustellen?
Wir haben durch eine gesetzliche Neuregelung im März auf den Weg gebracht, dass rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive bei der Strafzumessung künftig stärker berücksichtigt werden. Eine ausdrückliche Regelung sorgt dafür, dass die Ermittlungsbehörden bereits frühzeitig sensibilisiert werden und derartige Motive bei ihren Ermittlungen im Blick haben. Für mich ist klar: Die Tatsache, dass antisemitische Straftaten in Deutschland geschehen, ist vor dem Hintergrund unserer Geschichte eine Schande. Deshalb ist der Kampf gegen Antisemitismus eine der wichtigsten politischen Aufgaben für die deutsche Regierung und Gesellschaft.

In den vergangenen Jahren gab es eine besorgniserregende Häufung von antisemitischen Morden in Europa. Die Taten in Toulouse, Brüssel, Paris und Kopenhagen versetzen die jüdische Gemeinschaft in Europa in Angst. In Deutschland hatten jüngst Islamisten die jüdische Gemeinde Bremen im Visier. Wie sicher können Juden in Deutschland noch leben?
Wir müssen gemeinsam wachsam bleiben. Solange in Deutschland jüdische Einrichtungen bewacht werden müssen, haben wir leider keinen Normalzustand. Es gibt aber einen breiten gesellschaftlichen Konsens, und der heißt: null Toleranz gegenüber Antisemitismus. Straftaten, wie ich sie eben genannt habe, werden konsequent verfolgt. Es geht aber nicht nur darum, Täter zu bestrafen, es geht auch um die gesellschaftliche Ächtung des Antisemitismus. Wir müssen alles dafür tun, damit Juden überall sicher leben können, wo sie es wollen – in Deutschland, in Israel und in aller Welt.

Ihr Ministerium ist in Sachen Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit sehr aktiv. Wie Ihre beiden Vorgängerinnen haben Sie viele Anstöße gegeben, die personellen und fachlich-politischen Kontinuitäten der NS-Zeit im Regierungshandeln des Justizministeriums in der Nachkriegszeit zu untersuchen.
Ja, und zwar weil es bei der Aufarbeitung der NS-Zeit nicht um ein verstaubtes Kapitel der Restauration der Adenauer-Ära geht. Der Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus hat mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes kein Ende gefunden. Aus heutiger Sicht wird uns immer klarer, dass es mit dem Kriegsende keine »Stunde Null« gegeben hat. Wer über die Ursachen von Rechtsradikalismus und Antisemitismus nachdenkt, muss sich dessen immer bewusst sein.

Wie nazistisch war das Bonner Justizministerium der Nachkriegsjahre?
Das ist die zentrale Frage, der die Unabhängige Kommission beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit unter Leitung der Professoren Manfred Görtemaker und Christoph Safferling nachgeht. Über den Umgang mit der NS-Vergangenheit im damaligen Bundesministerium der Justiz wissen wir nur wenig. Wie die Arbeiten beispielsweise von Ingo Müller und Norbert Frei aber gezeigt haben, konnte eine Reihe von ins NS-Regime verstrickten Juristen rasch wieder an ihre Schreibtische zurückkehren. So ist es für mich etwa unerklärlich, dass eine Person wie Max Merten, der als Kriegsverwaltungsrat in Griechenland maßgeblich an der Enteignung und Vernichtung von mehr als 50.000 Juden beteiligt war, nach dem Krieg als Leiter ausgerechnet des für das Zwangsvollstreckungsrecht zuständigen Referats im Ministerium aufgenommen werden konnte. Von der Unabhängigen Kommission erwarte ich Antworten auf diese und andere drängende Fragen.

Welche Erkenntnisse liegen denn bisher schon vor?
Die Unabhängige Kommission hat am Beginn ihrer Feldforschung – im April 2012 – die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse sehr sorgfältig in einem öffentlichen wissenschaftlichen Symposium im Kammergericht in Berlin erörtert. Die Ergebnisse sind in dem Sammelband Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit – eine Bestandsaufnahme veröffentlicht worden. Den Abschlussbericht der Kommission erwarte ich für Anfang 2016.

Warum hat sich Ihr Ministerium erst 2012 an dieses Thema gewagt? Spielte es eine Rolle, dass fast alle Betroffenen lange schon pensioniert oder tot sind?
Mit dem Rosenburg-Projekt ist in der Tat sehr spät begonnen worden. Aber: Um Verantwortung für die eigene Geschichte zu übernehmen, kann es nie zu spät sein. Ich möchte insbesondere meiner Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger danken, dass sie hier 2012 die Initiative ergriffen hat. Dabei hat das Projekt des Auswärtigen Amtes – so sehr es auch in der Sache umstritten sein mag – einen allgemeinen Anstoß gegeben und Gutes bewirkt.

»Die deutschen Richter im Nationalsozialismus haben sich heroisch im Rahmen des Möglichen für das ewige Recht eingesetzt«, sagte der erste Justizminister der Bundesrepublik, Thomas Dehler. Wie bewerten Sie diesen Satz?
Diese Aussage klingt aus heutiger Sicht in der Tat sehr befremdlich, zumal Thomas Dehler und seine Familie selbst vom NS-Regime verfolgt wurden. Es ist gut, dass die Rolle der Justiz als willfährige Handlangerin im Dienste des Nazi-Regimes inzwischen sehr viel klarer geworden ist.

Die Fragen an den Bundesjustizminister und Triathlon-Sportpaten stellte Philipp Peyman Engel.

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