Medizin

Risiken und Nebenwirkungen

Ein nettes Wort, eine einfühlsame Geste oder auch nur die richtige Ernährung helfen Patienten, bald wieder auf die Beine zu kommen. Foto: Thinkstock

Penicillinresistente Staphylokokken, das Norovirus, die Legionärskrankheit – mangelnde Hygiene und Sorgfalt in Krankenhäusern können schnell zum Problem werden. Und so mischt sich bei den meisten Angehörigen und Freunden von Patienten, denen ein längerer Aufenthalt in einem Hospital bevorsteht, in die ohnehin vorhandene Sorge um den Gesundheitszustand auch noch die Angst, dass womöglich die Grunderkrankung erfolgreich behandelt wird, aber am Ende eine weit schwerere für Komplikationen sorgen könnte.

Doch nicht immer sind mangelnde Hygiene und Viren oder Bakterien schuld, wenn Patienten das Krankenhaus in einem schlechteren Zustand verlassen, als sie es betreten haben. Insbesondere für Menschen über 70 besteht die Gefahr, dass eine stationäre Behandlung zu anderen Problemen führt. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Universität Haifa. 30 Prozent der Patienten im fortgeschrittenen Alter waren nach einem stationären Krankenhausaufenthalt weniger fit als zuvor – und das ganz ohne Supervirus oder Infektion.

Physis Für die Studie analysierten Anna Zisberg und Efrat Shadmi vom Cheryl Spencer Department of Nursing der Haifaer Uni die Krankengeschichten von über 70-Jährigen, die in zwei Krankenhäusern der Stadt behandelt worden waren. Dabei wurden allerdings nur die Patienten in die Untersuchungen einbezogen, die nicht wegen physischer Immobilität oder psychischer Probleme eingeliefert wurden – die Senioren konnten zum Beispiel eine Lungenentzündung haben, durften aber nicht wegen einer Depression im Krankenhaus sein.

Die Forscher stellten fest, dass beinahe ein Drittel der Patienten nach stationärer Behandlung und Gesundung nicht mehr so selbstständig war wie vor der Erkrankung. Die Hälfte der Betroffenen war noch einen Monat später in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt. Auch wenn weltweit nicht derartig genaue Daten wie über die Testgruppe vorliegen, so steht doch fest, dass es sich um ein globales Phänomen handelt.

»Ein Patient, der mit einer ernsten Erkrankung in ein Krankenhaus eingewiesen wird, erwartet, das Krankenhaus in einem besseren Zustand zu verlassen, als er es betreten hat. Aber in der Realität ist das nicht immer so«, konstatierten die Forscher. »Wenn ein Mann von 78 Jahren, der vor seinem Krankenhausaufenthalt zur Behandlung von Herz-Rhythmus-Störungen normal laufen, normal essen und normal zur Toilette gehen konnte, nach der Behandlung auf einen Gehstock oder Windeln angewiesen ist, so ist das ein Problem, über dessen Ursache nachgedacht werden muss«, erklärte Zisberg. Bei einem Drittel der Patienten sei schließlich genau das der Fall.

»Wir waren daran interessiert, was während des Krankenhausaufenthaltes mit den Menschen passiert, die vorher unabhängig waren und danach eine eingeschränkte Funktionalität bei sich feststellen mussten«, erläuterte Shadmi den Ansatz der Forscher.

Hilfe Um herauszufinden, welches die Ursachen dafür sind, dass Senioren plötzlich unselbstständig werden und auf fremde Hilfe angewiesen sind, holten die beiden Wissenschaftler Nurit Gur-Yaish vom Gerontology Research Center, Gary Sinoff vom Fachbereich Gerontologie an der Universität Haifa und den Studenten Orly Tonkih in das Team. Dazu kamen noch die Pflegedirektorin Hanna Admi des Rambam Medical Center, Krankenhauschefin Chen Shapira vom Carmel Medical Center und ihre Pflegedirektorin Haya Peker. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden nun im Magazin der American Geriatrics Society veröffentlicht.

Demnach sind nicht etwa resistente Krankheitserreger die Ursache der Probleme bei den Senioren, sondern der Umstand, dass die Patienten tagelang im Bett liegen. »Die Abnahme der funktionalen Fähigkeiten nach einem Krankenhausaufenthalt hat eine große Menge möglicher negativer Folgen, bis hin zu einer verminderten Lebensqualität, zu einem Pflegefall zu werden, oder sogar den Tod«, stellten die Forscher fest. Deshalb sei es so wichtig, Risikofaktoren zu identifizieren, um anschließend gezielt bei der Prävention zu helfen.

Die meisten Menschen glauben zwar, dass Bettruhe für Kranke gut sei, aber eben genau das ist nicht immer der Fall. Bettruhe führt dazu, dass die Mobilität dauerhaft eingeschränkt wird, fanden die Wissenschaftler heraus. 50 Prozent der Menschen, deren Fälle die Wissenschaftler für ihre Studie betrachteten, verließen nicht ein einziges Mal ihr Krankenzimmer. »Indem man Patienten dazu bringt, sich zu bewegen, und sei es nur in ihren Zimmern oder auf dem Flur, kann man die Mobilität auch nach einem längeren Krankenhausaufenthalt erhalten«, sagt Zisberg. »Mangelnde Bewegung führt zu Muskelabbau und damit bei älteren Menschen neben anderen Komplikationen immer auch dazu, plötzlich ganz alltägliche Dinge nicht mehr zu schaffen.«

Rhythmus Ein weiteres Problem klingt fast wie ein Klischee: das Essen. Die Patienten der Studie nahmen im Krankenhaus nur 60 Prozent der empfohlenen täglichen Kalorienmenge zu sich. Das liegt aber nicht – oder zumindest nicht ausschließlich – an der mangelnden Qualität der angebotenen Kost, sondern daran, dass vor manchen medizinischen Tests gefastet werden soll oder dass die festen Essenszeiten nicht dem gewohnten Rhythmus des Patienten entsprechen. All das wirkt sich negativ auf den Appetit aus.

Mit dem Rhythmus gibt es aber nicht nur beim Essen ein Problem, sondern auch beim Schlafen. Im Krankenhaus wird man früh geweckt, auf den individuellen Schlafrhythmus wird keine Rücksicht genommen, stattdessen wird oft versucht, mit Schlafmitteln dafür zu sorgen, dass ein Patient sich an Normzeiten hält. Schon die Veränderung der Dosis bei Schlafmedikamenten in Abweichung vom gewohnten Leben kann negative Auswirkungen haben.

Dazu kommt, dass oftmals prophylaktisch Inkontinenzpflege eingesetzt wird. Obwohl eigentlich unnötig, bekommen Patienten Katheter oder Windeln, um dem Pflegepersonal die Arbeit zu erleichtern. Das kann schnell dazu führen, dass sie sich daran gewöhnen, nicht mehr selbstständig zur Toilette zu gehen, sondern sich auf Hilfsmittel zu verlassen.

Ratschläge Sich möglichst viel bewegen, den Teller leer essen und alles daran setzen, sich nicht dauerhaft hilflos zu fühlen, lauten die Ratschläge des Teams – vor allem für Senioren. »Es ist am besten, die Patienten zu ermutigen, so unabhängig wie möglich zu sein«, fasst Zisberg zusammen. Und: »Eine vollwertige und ausgewogene Ernährung ist wichtig, um den Körper bei einem optimalen Gesundungsprozess zu unterstützen.« Dann stünde einer baldigen Genesung fast nichts mehr im Wege.

Meinung

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Fall Samir

Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024