Porträt der Woche

»Alles dreht sich ums Theater«

»Ich nehme die Geschichten mit auf meinen Weg«: Shulamit Rom (36) aus Heidelberg Foto: Christian Kleiner

Seit ein paar Monaten verbringe ich sehr viel Zeit im Theater. Wir – eine Gruppe von Laienschauspielern – haben viel für eine Aufführung geprobt, die Mitte Juni im Rahmen der Internationalen Schillertage am Mannheimer Nationaltheater uraufgeführt wurde. Weitere Vorstellungen finden Ende Juni und im Juli statt. Das Stück heißt Kriegerinnen. Es widmet sich Frauen, die mit Waffen in den Krieg ziehen. Es geht darin um die weibliche Perspektive von Kampf – eine Sicht, die in den aktuellen Debatten kaum auftaucht. Das Stück orientiert sich an Schillers Die Jungfrau von Orleans.

Auf das Theaterprojekt bin ich durch eine E-Mail aufmerksam geworden, die mir eine Bekannte weitergeleitet hatte. Es wurde jemand mit Hebräischkenntnissen für Interviews mit Frauen in Israel gesucht, ich habe mich dafür gemeldet. Die Möglichkeit, mich an einer Recherche für eine Produktion zu beteiligen, hat mich angesprochen.

Zeitzeugengespräche Das Thema hat mich auch als Israelin mit meinem Bezug zum Krieg interessiert. Die Regisseurin, eine Kamerafrau und ich sind nach Israel gereist, haben dort Frauen getroffen, die als überzeugte Zionistinnen während des Unabhängigkeitskrieges gekämpft haben. Diese Frauen hat es wirklich gegeben, es leben aber nicht mehr viele von ihnen. Wir junge Israelis wissen, dass es sie gibt, weil dieses Kapitel unserer Geschichte in der Schule thematisiert wird und wir in Museen und in Gedenkstätten einiges darüber erfahren. Ich selbst bin aber bis dahin nie einer von ihnen begegnet. Während meiner Schulzeit gab es keine Zeitzeugengespräche.

Über unterschiedliche Netzwerke, darunter das Palmach-Haus in Tel Aviv, habe ich Kontakte herstellen können. Mit fünf Frauen haben wir intensive Gespräche geführt und auf Video aufgezeichnet. Zwei der Interviewpartnerinnen sind Teil des Theaterstücks geworden – insofern, als Ausschnitte aus den Gesprächen in die Inszenierung integriert wurden. Auf der Bühne erzähle ich ihre Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven – mal in der Ich-Form, mal in der dritten Person. Ich gebe wieder, was ihre Motivation war, sich am Krieg zu beteiligen. Ich als Shulamit baue eine Brücke aus dem Heute zu der Zeit dieser »Kriegerinnen«.

Von Natur aus bin ich ein eher schüchterner Mensch und wäre nicht auf die Idee gekommen, mich auf die Bühne zu stellen und Theater zu spielen. Die Regisseurin hat mir aber klargemacht, dass ich entweder ganz dabei sein kann oder gar nicht, weil es zum Konzept gehört, dass die Interviewerinnen der Zeitzeuginnen mitspielen.

Herausforderung Das Theaterspielen ist eine große Herausforderung und ganz besondere Erfahrung für mich. Ich denke, dass das für meine persönliche Entwicklung wichtig ist. Für die Proben trafen wir uns anfangs zwei- bis dreimal pro Woche, kurz vor der Premiere dann jeden Tag ab 18 Uhr. Meist kam ich nicht vor 23 Uhr nach Hause und war total erschöpft vom Tag. Und der beginnt früh, denn ich habe zwei kleine Kinder: Urija ist vier und Nevo 21 Monate alt. Morgens gegen 8.30 Uhr bringen wir sie zum Kindergarten, vormittags habe ich dann Zeit, um mich meiner Doktorarbeit zu widmen.

In Jerusalem habe ich Jüdische Philosophie, Christliche Studien und Zwischentestamentarische Literatur und in Heidelberg Religionswissenschaft studiert und vor Kurzem mit meiner Promotion begonnen, die von ELES gefördert wird, dem jüdischen Studienwerk. Darin beschäftige ich mich mit Religiosität von sogenannten säkularen Israelis. Das klingt nach einem Paradoxon, weil von Menschen, die als säkular gelten, angenommen wird, dass sie kein Interesse an Religion haben.

Es gibt da in Israel seit etwa zwei Jahrzehnten eine Entwicklung, der ich nachgehe. Zum Beispiel treffen sich Säkulare in Batey Midrasch, traditionellen Lehrhäusern, in denen man gemeinsam alte jüdische Texte studiert. In Israel habe ich auch meinen Mann kennengelernt. Wir sind vor zehn Jahren nach Deutschland gezogen, auch weil hier die Arbeitsmöglichkeiten besser sind: Er unterrichtet Hebräisch an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.

alltag Was ich später beruflich machen möchte, ist noch die große Frage. Gerne würde ich im Bereich Kulturaustausch oder Kulturförderung arbeiten, etwa im deutsch-israelischen Kontext. In Israel habe ich als Produzentin in einem Kulturzentrum zur Förderung von Weltmusik und Poesie gearbeitet.

Momentan dreht sich bei mir alles ums Theater, daher ist mein Tagesablauf auch anders als sonst. Derzeit ist es so, dass ich meine Söhne nachmittags gegen 15 Uhr vom Kindergarten abhole und die Zeit bis zu den Proben mit ihnen verbringe. Ein bisschen habe ich schon ein schlechtes Gewissen, weil ich mich momentan nicht so viel um sie kümmern kann. Die abendlichen Rituale mit unseren Söhnen können wir nicht so pflegen wie sonst.

Normalerweise bringen mein Mann und ich die Kinder ins Bett, jeder widmet sich einem Kind. Wir singen Lieder, lesen vor oder erzählen Märchen. Mir ist es ganz wichtig, viel Zeit mit ihnen zu verbringen und sie mit der jüdischen und israelischen Kultur vertraut zu machen. Ich habe einen ganz engen Bezug zu unseren Traditionen. Und weil wir hier in einem Umfeld sind, in dem das nicht so selbstverständlich ist, lege ich besonderen Wert darauf, sie meinen Söhnen zu vermitteln. Freitags feiern wir Schabbat. Das habe ich auch während der intensiven Probenzeit versucht einzuhalten. Nur wenn es ganz wichtige Proben gab, bin ich am Freitagabend im Theater geblieben.

familienzeit Schabbat – dazu fühle ich mich nicht im Sinne des Religionsgesetzes verpflichtet – ich erachte es aber als eine erhaltenswerte Tradition. Der Schabbat, denke ich, ist ein Geschenk an die Menschheit, jenseits der Religion, weil er uns die Möglichkeit gibt, innezuhalten, uns dem Wesentlichen zu widmen und Zeit mit der Familie zu verbringen.

Meine Eltern haben kein Problem damit, dass mein Mann Deutscher ist, aber damit, dass er kein Jude ist, konnten sie sich nicht so recht anfreunden. Vielleicht lege ich auch deshalb besonders viel Wert darauf, dass meine Kinder mit der jüdischen Identität aufwachsen, und pflege zu Hause das jüdische Leben mehr, als ich es möglicherweise in Israel getan hätte. Ich möchte, dass sie gut Hebräisch sprechen. Es ist sehr schön, sich in der Muttersprache zu verständigen.

Diese Erfahrung möchte ich meinen Kindern mitgeben. Mir fällt auf, dass ich ihnen manchmal Fehler durchgehen lasse und dass auch ich aufgrund des Einflusses des Deutschen unsicher werde in meiner Sprache. Das bereitet mir ein bisschen Sorge. Dabei bin ich immer ein Mensch gewesen, der sich sehr differenziert ausdrücken konnte. Das ist mir sehr wichtig.

sprache Ich habe aber momentan das Gefühl, dass ich mich auf Deutsch nicht ganz so gut ausdrücken kann, wie ich es möchte, und mir auf Hebräisch die Praxis abhandenkommt. Wegen des Theaterspielens kam in den vergangenen Wochen vieles zu kurz bei mir. Eigentlich gehe ich zweimal in der Woche abends zum Yoga. Sportliche Aktivitäten habe ich vorerst zurückgestellt. Trotz des Stresses und des Organisationsaufwands bereue ich aber die Entscheidung für das Theaterprojekt keineswegs.

Besonders die Begegnungen mit den Frauen in Israel empfinde ich als ein großes Geschenk. Sie haben mich sehr beeindruckt. Ihre Geschichten sind irgendwie zu meiner Geschichte geworden, und ich nehme sie mit auf meinen Weg.

Aufgezeichnen von Canan Topçu

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024