Debatte

Chuppa auch für Homo-Paare?

pro
Wenn ein schwules oder lesbisches jüdisches Paar zu mir kommt, weil es seine Beziehung unter der Chuppa heiligen will, dann freue ich mich für beide in vielerlei Hinsicht. Für jüdische Schwule und Lesben ist es nicht einfach, einen jüdischen Partner oder Partnerin zu finden. Die Zahl derer, die aktiv am jüdischen Leben teilnehmen, ist sehr gering, was sich auch auf die Ausgrenzung in unseren Gemeinden zurückführen lässt. Auf der Straße oder in schwulen Klubs läuft niemand mit einem Schild um den Hals herum: »Ich bin jüdisch, schwul und suche einen Partner.« Wenn sich zwei finden, lieben lernen und heiraten wollen, kann man doch nur davon sprechen, dass diese Ehe im Himmel gestiftet sein muss – wie jede andere Liebe auch.

Derzeit bereite ich mich auf die Prüfung zum »Marriage Officer« vor. Als Rabbiner kann man in Südafrika auch den zivilrechtlichen Teil einer Eheschließung durchführen, sobald man die entsprechende Prüfung bestanden hat. In Südafrika gilt auf der einen Seite das alte, recht antiquierte Eherecht – ausschließlich für heterosexuelle Paare. Auf der anderen Seite gibt es ein sehr modernes »Civil Union«-Gesetz, das Eheschließungen sowohl für heterosexuelle als auch für gleichgeschlechtliche Paare erlaubt. Dieses Gesetz ist so offen und modern, dass man mit Blick auf die deutsche Gesetzgebung nur fragen kann, welches Land eigentlich das »Schwellenland« ist.

vorverurteilung Die progressive Rabbinerkonferenz überlässt die Entscheidung jedem einzelnen seiner Mitglieder. Ich fand es selbstverständlich, mich zu beiden Prüfungen für beide Eherechte anzumelden. Schließlich geht es hier um die Möglichkeit, Menschen, die einander lieben, gleichwertig und ohne eine nicht gerechtfertigte Vorverurteilung zu behandeln. Liebe ist der höchste Ausdruck von Partnerschaft, den wir kennen und der nicht nur die intime Beziehung zwischen zwei Menschen widerspiegelt, sondern auch für unsere außergewöhnliche Verbindung zu Gott Anwendung findet. Für mich ist Liebe ein göttliches Geschenk an uns Menschen und sollte nicht durch Menschen entwertet werden.

Ein Rabbinerkollege meinte einst zu mir, eine Chuppa für zwei Männer oder Frauen gehe nicht mit dem jüdischen Eherecht und -verständnis einher, da die jüdische Ehe im Wesentlichen ein Vertrag zwischen zwei Menschen »gemäß den Gesetzen von Moses und Israel« sei, und man »trotz größter Anstrengungen einiger radikaler Theologen keinen traditionellen Text finden würde, der diese Rituale erlaubt«. Dieser Kollege verkennt die kreative Kraft innerhalb des Judentums, sich weiterzuentwickeln und zu korrigieren.

Wenn wir über das Konzept einer jüdischen Ehe sprechen, dann meinen wir in erster Linie, dass zwei Menschen sich füreinander entschieden haben. Streng genommen sind es nicht wir, die das Paar verheiraten, sondern die beiden sind die Akteure, die miteinander einen Bund schließen. Beide betreten eine neue legale und spirituelle Ebene in ihrer Beziehung, was unsere Tradition mit Kidduschin und Nissuin umschreibt. Ins Deutsche übertragen, bedeutet dies heiligen, weihen, widmen, erhöhen oder verherrlichen.

Im Zentrum steht die traditionelle Formel: »Harei at/ata mekudeschet/mekudasch li«, übersetzt »Hiermit bist du mir angetraut« oder »Hierdurch bist du geheiligt für mich«. Heilig, kadosch, bedeutet in der jüdischen Tradition »abgesondert, für einen besonderen Zweck bestimmt sein«. Wenn ein jüdisches Paar unter der Chuppa diese Worte spricht, dann meint es, dass die beiden Partner füreinander bestimmt sind und dies exklusiv leben wollen.

ketuba Aus der Ketuba, dem Ehevertrag, lässt sich kein Anspruch nur für heterosexuelle Paare ableiten. Die Ketuba definiert gegenseitige Rechte und Pflichten in der neu begründeten Partnerschaft und gegenüber der jüdischen Gemeinschaft. Selbstverständlich sollen und müssen auch Lesben und Schwule eine vertrauenswürdige Grundlage für ihre Partnerschaft haben, und gerade die jüdische Tradition lebt uns vor, dass Rechtssicherheit für alle Beteiligten keine Erfindung moderner Gesetzgebung ist. Durch die Ketuba wurden Frauen aus der bedingungslosen Abhängigkeit von ihren Ehemännern befreit. Heute kann die Ketuba Anerkennung und Gleichstellung für Lesben und Schwule schaffen, die zivilrechtlich noch nicht überall gleichermaßen gegeben ist.

Ein letztes Wort zu Kindern und Familie: Die Realität beweist, dass eine schwule oder lesbische Partnerschaft keine Endstation ist. Kinder wachsen in diesen Beziehungen genauso behütet auf wie in heterosexuellen. Lesbische und schwule Paare, gleichwertig in Gemeinden akzeptiert, tragen zum jüdischen Leben ebenso bei wie andere Paare. In wenigen Wochen werde ich hoffentlich das erste schwule Paar in unserer Synagoge unter der Chuppa begrüßen können. Als Gemeinde werden wir diesen besonderen Tag für uns und die beiden feiern, denn wir wissen, dass diese Liebe ihren Ursprung in unserer Partnerschaft mit dem Ewigen hat.

Adrian Michael Schell ist Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde Bet David in Johannesburg, Südafrika. Der Absolvent des liberalen Abraham Geiger Kollegs in Berlin war zuvor Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Hameln.

Contra
Das Thema der Homosexualität ist uns zumindest seit Noachs Zeiten, zur Zeit der Sintflut, durch unsere Überlieferung bekannt. Die Tora verbietet nicht nur sexuelle Handlungen zwischen Gleichgeschlechtlichen, sondern auch die Homo-Heirat. Sie steht in krassem Widerspruch zu den Schöpfungsprinzipien – das heißt, es existiert keine Legitimation dafür. Das gilt für alle Juden, die sich den Mizwot der Tora verpflichtet sehen. Auch die Bnei Noach –Nichtjuden, die sich an die sieben noachidischen Gebote halten sollten – unterliegen dem Verbot homosexuellen Geschlechtsverkehrs.

Die Frage, ob ein Rabbiner gleichgeschlechtliche Partner trauen könne, stellt sich mir daher nicht. Allerdings ist es für Gemeindemitglieder wichtig, in ihrem Rabbiner einen Ansprechpartner zu haben, dem sie unbedingtes Vertrauen entgegenbringen. Der amerikanische Gelehrte und Mediziner Rabbi Abraham J. Twerski hat in seinem Buch Rabbinic Councelling über Fälle aus der täglichen Praxis berichtet: Ein Gemeindemitglied wandte sich an seinen Rabbiner mit der einfachen Frage, ob jemand, der Selbstmord begeht, auf einem jüdischen Friedhof beerdigt werden könne.

Dahinter vermutete der Rabbi einen tieferliegenden Grund und bot ein persönliches Gespräch an. Dabei stellte sich heraus, dass der Ratsuchende unter Depressionen litt und gedanklich schon seinen Selbstmord geplant hatte. Nach dem Gespräch mit dem Rabbi suchte er professionelle Hilfe und lernte, mit der Krise umzugehen. In einem anderen Fall wandte sich eine jüdische Mutter mit der scheinbar banalen Frage an den Gemeinderabbiner: Wie denkt das Judentum über Homosexualität? Hatte sie sich doch nicht getraut, mit ihm direkt über die Homosexualität ihres Sohnes ins Gespräch zu kommen; er hatte sich ihr gegenüber gerade geoutet. Aus meiner Erfahrung ist eine rabbinische Beratung jeweils abhängig von der Weisheit und Gelehrsamkeit des Rabbiners.

halacha Während in der Praxis sogenannte gleichgeschlechtliche Ehen, sei es zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau, in einigen Staaten anerkannt werden, gelten sie in der Halacha als »maase erez mizrajim«, als im Lande Ägypten praktizierte Eheform, und sind nach dem Schulchan Aruch Ewen Ha’-Eser 20,2 Otzar Haposkim von der Tora her verboten.

Schon in der ersten Mizwa der Tora ist die Rede davon, dass es dem Schöpfer wohlgefällt, dass die Erde bevölkert werde. Der Prophet Jesaja 45,18 bestätigt dieses Prinzip: »Er ist G’tt, der gebildet die Erde und sie gemacht, Er hat sie eingerichtet, nicht umsonst hat Er sie geschaffen, sondern zur Bewohnung hat Er sie gebildet.« Dazu bemerkt der Sefer Hachinuch, dass der Mensch sich bemühen soll, diesem Gebot der Vermehrung nachzukommen, und dass derjenige, der das verhindert, große Schuld auf sich lädt, wenn er dem Willen des Schöpfers, die Erde zu bevölkern, keine Folge leistet.

In Bezug auf sein sexuelles Verhalten weist die Tora den Menschen ausdrücklich in Schranken, die eine Hilfe für seine Lebensgestaltung sind und nicht über Bord geworfen werden sollten. In diesem Sinne äußert sich der Talmud im Traktat Sukka 29a. Unsere Weisen haben gelehrt: Ob vierer Dinge verfinstert sich die Sonne, verdunkelt so die Welt und unser Leben. Das bedeutet, dass das persönliche und gesellschaftliche Leben auf dieser Erde dadurch geschädigt wird: Wenn einem Aw Beit Din (Gerichtsvorsitzender), der verstorben ist, keine ordentliche, gesetzesmäßige Eulogie (Hesped) zuteil wird; wenn sich jemand an einem verlobten Mädchen sexuell vergehen will, es in einer Stadt war, dort laut schrie, aber niemand zur Hilfe kam; wenn Männer sexuell miteinander verkehren (mischkaw sachar); wenn zwei Brüder zur gleichen Zeit ihr Leben verlieren.

zehn gebote Zweifelsfrei ist in der Tora die gleichgeschlechtliche Beziehung, das Ausleben der Homosexualität, verboten. Rabbi Ibn Ezra (1092–1167) zitiert in seiner Erklärung der Zehn Gebote zum Verbot des Ehebrechens im 2. Mose 20,13 Rabbi Saadja Gaon (882–942). Letzterer ordnete ein, als wie schwerwiegend verbotene sexuelle Handlungen gelten. Der Geschlechtsverkehr zwischen Männern steht dabei an zweithöchster Stelle. Daraus ersehen wir, welch hoher Grad an Übertretung der Homosexualität zugeschrieben wird, und welche Schallmauern wir in der öffentlichen Diskussion zu durchbrechen drohen.

Das jüdische Recht legitimiert nicht das Argument, dass der Betroffene bei homosexuellem Geschlechtsverkehr »nichts dafür könne«. Denn die zum Samenerguss führende Stimulierung erfolgt willentlich, womit ein weiteres Verbot der Tora, nämlich das des unnützen Samenvergusses, übertreten wird.

Bereits im 19. Jahrhundert warnte übrigens der Frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch: »Wehe der Zeit, wo sich die Geschlechter nicht heilig halten, Länder und Staaten suchen vergebens nach dem Grund ihres Sinkens – und sehen nicht, dass sie keine Staaten mehr sind, sobald ihre Häuser zerrüttet sind.«

Netanel Wurmser ist Landesrabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) und Mitglied
der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD).

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