Finale

Der Rest der Welt

Für mich beginnt der Tel-Aviv-Urlaub bereits am Flughafen. Denn während sich der eine oder andere genervt und gestresst von der Reise durch die Marmorhallen schleppt, um an der Passkontrolle wieder aufgehalten zu werden, freue ich mich jedes Mal auf die 30-minütige Fahrt im gelben »Quiz Taxi« – hier ist nämlich jedes Taxi ein Quiz-Taxi. Beim Ausstieg ist man zwar um keinen Schekel reicher, dafür jedoch an Erfahrung, Bluthochdruck und Hebräischvokabeln.

Die Fahrer stehen wild gestikulierend im Eingangsbereich des Ben Gurion Airport. Es ist laut, so laut, dass ein Mitteleuropäer, der noch nie im Nahen Osten war, versucht ist, gleich wieder kehrtzumachen. Ganz anders jedoch ich: Selbstbewusst und erwartungsfreudig werfe ich mich und mein Gepäck ins Auge des Taxi-Hurrikans. Erfahrene Israeltouristen wissen, dass die Couleur israelischer Taxifahrer so vielfältig ist wie die Klimazonen zwischen Haifa und Eilat. Laut meinen Aufzeichnungen gibt es vier Primärgruppen, die am Ende der Fahrt alles über dich wissen: die Zionisten, die als Zionisten getarnten Antizionisten, die Sefarden und die Aschkenasen.

kibbuznik
Der Zionist ist häufig ein älterer Kibbuznik, der seine Kolchose Mitte der 70er-Jahre hinter sich ließ, nun ein unbezahlbares Dasein in Tel Aviv fristet und alles dafür tut, dich vom überzeugten Kapitalisten zum brennenden Sozialisten zu machen. Sein Motto: Israel ist Liebe, und Liebe kostet nichts.

Der als Zionist getarnte Antizionist wird im Auto genau zwei Minuten von der Landschaft zwischen Lod und Tel Aviv schwärmen. Wenn er merkt, dass auch du der Mischung aus Sand und Melonenfeldern nichts abgewinnen kannst, lässt er die Maske fallen. Nun darfst du dir 28 Minuten lang anhören, wieso alles in Israel den Bach runter geht und Amerika die großartigste Nation der Welt ist. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, merkt, dass er sein Handy-Business in Beverly Hills gegen die Wand gefahren hat und daraufhin des Landes verwiesen wurde.

lufterfrischer Im Taxi des Sefarden ist alles zu viel: zu viel Lufterfrischer, zu viel Klimaanlage, zu viel Musik, zu viel Neon. Er nennt dich bereits beim Einsteigen »Neschama Scheli« (meine Seele) und versteht nicht, wieso du so viel Geld in Tel Aviv ausgeben möchtest. Er bietet dir an, bei ihm und seiner Familie in Bat Yam zu wohnen und akzeptiert deine dankende Ablehnung erst, wenn du ihm die Rückfahrt zum Flughafen zusicherst.

Die Taxifahrt mit einem älteren aschkenasischen Taxifahrer schließlich ist wie eine Zeitreise ins Israel der 50er-Jahre. Ben Gurion, Burekas, Bauhaus: Er war dabei, als alles noch in den Kinderschuhen steckte, und spricht grundsätzlich in der Vergangenheitsform. Sein Hebräisch erinnert dich an das deiner Großeltern und das rollende R an polnische Pioniere. Nach der Fahrt möchtest du ein besserer Mensch werden und nur noch braune Ledersandalen, einen Hut und Shorts tragen.

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024