Eiscreme

Sahne, Zucker, Koscherstempel

Endlich! In dem kleinen Laden, wo ich normalerweise Milch für meinen Sohn kaufe – betrieben wird er von furchtbar netten Arabern – stellte ich neulich fest, dass es meine Lieblingseissorte von »Ben & Jerry’s« jetzt nicht mehr nur im Pappbecher mit Löffel, sondern auch als Eis am Stiel gibt: »Cherry Garcia«. Ich legte sofort zwei Dollar auf den Tresen und zog lutschend ab.

Vielleicht ist es falsch zu sagen, dass es sich bei »Cherry Garcia« um meine Lieblingssorte handelt. Eher verhält es sich so: »Cherry Garcia« verzehre ich im Kino, weil man es relativ leicht essen kann. Zuhause greife ich eher zu »Cinnamon Buns«, das sind Zimtschnecken, die sich durch ein kaltes Wunder in eine köstliche Kalorienbombe verwandelt haben.

Eigentlich gehört es sich nicht, seinen Löffel in so etwas zu stecken – und just darum macht es einen Riesenspaß. Jeder Kenner weiß aber natürlich, dass es bei »Ben & Jerry’s« noch viel gewagtere Sorten gibt: »Peanat Buttah« etwa oder »Caramel Sutra«, aber auch »Phish Food Fro Yo«. Alles garantiert koscher.

Legenden Die Geschichte von Ben Cohen und Jerry Greenfield gehört zu jenen wahren Legenden, die einen wieder an Amerika und den Kapitalismus glauben lassen (zum Glück wird dieser Glaube nie eingefordert). Die beiden sind auf Long Island aufgewachsen; sie kannten sich aus der Turnstunde, wo sie als dickliche Teenager, die Süßes liebten, durch beachtliche Unsportlichkeit auffielen. Beide hatten in derselben Reformsynagoge ihre Barmizwa.

Mit Mitte 20 stand Jerry Greenfield ohne berufliche Perspektive da: Er war von zig medizinischen Fakultäten abgelehnt worden und verspürte nicht die geringste Lust, sein Dasein weiter als Techniker in einem Labor zu fristen.

Also absolvierte er zusammen mit seinem Freund Ben für fünf Dollar einen Fernkursus an der Pennsylvania State University und lernte, wie man Eiscreme herstellt. 1978 kratzten er und Ben Cohen 12.000 mühsam ersparte Dollar zusammen und gründeten in einer ehemaligen Tankstelle irgendwo im tiefsten Vermont eine Firma: »Ben & Jerry’s Homemade Inc.«. Heute ist sie ein weltweit operierendes Imperium, das dem Konzern Unilever gehört.

Firmenphilosophie Die Firmenphilosophie von Ben & Jerry’s ist immer noch das, was man in Amerika »liberal« nennt; also links von der Mitte. Nachdem 2008 Barack Obama zum Präsidenten gewählt worden war, kam eine Sorte mit dem Namen »Yes Pecan« heraus – eine Anspielung auf Obamas Slogan: »Yes, we can!« Ben & Jerry’s unterstützt den Umweltschutz, ist gegen genetisch manipulierte Lebensmittel, setzt auf Fair Trade und spendet viel für wohltätige Zwecke.

In der Zeit, als Ben Cohen noch Geschäftsführer des Unternehmers war, durfte der Spitzenverdiener nur fünfmal mehr bekommen als derjenige, der neu in der Firma anfing. Als 2010 Jostein Solheim zum neuen Geschäftsführer avancierte, wurde dieses Firmendogma stillschweigend gekippt.

Talkshow Neulich waren Cohen und Greenfield – inzwischen zwei leutselige, freundliche Herren Mitte 60 – in einer Talkshow zu Gast. Die beiden teilten sich einen Eisbecher und sagten auf die Frage, ob sie sich denn vorstellen könnten, Marihuana-Eis ins Sortiment aufzunehmen (analog zu den guten, alten Marihuana-Plätzchen): Doch, das könnten sie. Sogar sehr gut. Allerdings hätten sie in der Firma mittlerweile nichts mehr zu melden.

Die wirklich wichtige Frage erörterten die Herren Ben und Jerry in jener Talkshow allerdings nicht: Wie sieht es mit dem halachischen Status von Marihuana-Eiscreme aus? Würde Eis von Ben & Jerry’s dadurch den Koscherstempel verlieren? Rabbi Moshe Feinstein (1895–1986), zu seinen Lebzeiten die höchste halachische Autorität in Nordamerika, urteilte, der Cannabisgenuss sei in jedem Fall »assur«, also verboten, und zwar aus mehreren Gründen.

Cannabis Cookie Ein ultrafrommer Freund von mir ist da anderer Meinung. Er hält die von Moshe Feinstein vorgebrachten Einwände für nicht stichhaltig. Gesundheitsschädlich sei vieles, sagt er, durch Alkohol stürben jedes Jahr mehr Leute als durch Cannabis. Ohne Zweifel würde jener ultrafromme Freund ohne Zögern ein Eis der Sorte »Cannabis Cookie« verputzen – wenn es denn endlich auf den Markt käme.

Mag sein, dass dies manchem eine Spur zu linksliberal (um nicht zu sagen: schlichtweg meschugge) ist. Glücklicherweise gibt es eine Alternative, die Häagen-Dazs heißt. Auch dieses Eis ist koscher – und auch diese Firma wurde von zwei Juden gegründet: Rose Vesel Mattus (1916–2006) und Reuben Mattus (1912–1994).

Pferdewagen Rose wurde in Manchester geboren, Reuben stammte aus Polen, die beiden trafen sich in Brooklyn und heirateten 1936. Er arbeitete, seit er zehn Jahre alt war, im Geschäft mit dem Süßen und Kalten. Sein Onkel hatte mit italienischem Wassereis zu tun, später verkaufte seine Familie Gefrorenes von einem Pferdewagen herunter.

Rose und Reuben Mattus gründeten ihre eigene Eisfabrik im Jahr 1959. Sie beschlossen, nur natürliche Aromastoffe und jede Menge fette Schlagsahne zu verwenden. Dann versagte eines Tages die elektrische Pumpe, mit der in ihrer Fabrik das Eis mit Luft aufgeschäumt wurde.

Dänemark Aus dieser Not machten sie ihre größte Tugend: Seit jenem Tag gab es in ihrem Eis keinen Luftaufschlag mehr. Es war voll, fett und süß. Den Namen hat Reuben Mattus aus der Luft gegriffen. Er bedeutet gar nichts. Kein Mensch weiß also, wie man »Häagen-Dazs« richtig ausspricht. Es sollte irgendwie ausländisch, genauer gesagt: dänisch klingen.

Reuben Mattus wollte daran erinnern, wie anständig sich die Dänen im Zweiten Weltkrieg gegenüber den Juden verhalten hatten: Die ersten Eisbecher, in denen Häagen-Dazs verkauft wurde, zeigten deshalb eine dänische Landkarte. Allerdings gibt es im Dänischen gar kein »ä«.

Ben & Jerry’s war von Anfang an der schärfste Konkurrent von Häagen-Dazs. 1984 versuchte die Firma Pillsbury, der Häagen-Dazs mittlerweile gehörte, den Verkauf von Ben & Jerry’s in Boston einzuschränken. Daraufhin zogen Ben Cohen und Jerry Greenfield vor Gericht – und starteten eine Werbekampagne.

Maskottchen Dabei machten sie sich über den »Doughboy« lustig, das Maskottchen der Firma Pillsbury, eine babyhafte, weiße Gestalt mit Kochmütze, die »Hi hi« kichert, wenn man sie anstupst. »Wovor hat der Doughboy Angst?«, fragten Ben und Jerry.

Der Streit zwischen Häagen-Dazs und Ben & Jerry’s hat natürlich längst Züge eines Kulturkampfes angenommen. Die beiden Eissorten stehen für politische Ansichten, die einander im tief Grundsätzlichen widersprechen: Ben & Jerry’s ist dezidiert links, Häagen-Dazs kann man auch als – zumindest moderater – Republikaner verzehren.

Ben & Jerry’s hat aufgrund seiner ökologischen Ausrichtung etwas Waldschratartiges, während Häagen-Dazs für elegante Urbanität steht. Ben & Jerry’s schmeckt vage reformjüdisch, Häagen-Dazs ist modern-orthodox.

Hillel & SChammai Allerdings kann man sich hier auch an die berühmte Kontroverse zwischen den Anhängern von Hillel und den Anhängern von Schammai erinnern – und an den donnernden Bass vom Himmel herunter, der für alle Zeit feststellte: »Sowohl diese als auch jene sind die Stimme des lebendigen Gottes.«

Will sagen, man kann sich den Bauch sowohl mit »Banana Rum Jam« (Häagen-Dazs) als auch mit »Chunky Monkey« (Ben & Jerry’s) vollschlagen und dem Ewigen danken, dass man sich nicht dauernd entscheiden muss. Dick wird man so oder so.

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