Proteste in Tel Aviv

Fast wie in Baltimore

Wollen gleichberechtigt sein: Demonstranten in Tel Aviv Foto: Flash 90

Sie sind jung, sie sind schwarz und sie sind wütend. Die Szenen der vergangenen Tage in Tel Aviv und Jerusalem erinnern an Ferguson und Baltimore. Junge Israelis äthiopischer Abstammung protestierten lautstark und zum Teil gewalttätig auf den Straßen beider Städte gegen Polizeibrutalität und Rassismus. Den Demonstrationen vorausgegangen war der Angriff von zwei Polizisten auf einen dunkelhäutigen IDF-Soldaten.

Damese Pekaday stand nach Meinung der Sicherheitskräfte im Weg herum und hatte sich nach ihrer Aufforderung, zu gehen, angeblich nicht schnell genug bewegt. Ohne Provokation schlugen sie den jungen Mann daraufhin zusammen. Doch der Vorfall war von Passanten gefilmt und sofort in die sozialen Netzwerke im Internet gestellt worden. Viele Menschen artikulierten daraufhin ihre Wut über diese Ungerechtigkeit. Und die Proteste begannen.

»Ich habe mein Leben in zwei Kriegen für dieses Land und seine Bevölkerung riskiert, aber alles, was ich dafür bekomme, ist Ausgrenzung und ein lumpiger Job als Putzkraft«, schimpft Abate, ein etwa 25-jähriger Mann aus Beer Sheva, und reckt den Finger drohend in die Luft, als er am Sonntag über die gesperrte Tel Aviver Stadtautobahn marschiert. Er will zeigen, dass er es satt hat. »Wir sind ebenso Israelis wie die anderen Menschen hier. Schließlich sind alle in diesem Land irgendwann irgendwo hergekommen. Ich will endlich dieselben Chancen wie die Weißen!«

Handschellen Die Mitprotestierenden pflichten ihm bei. Ein Ende des Rassismus fordern sie. »Schluss mit der Gewalt gegen uns – verbal und körperlich«, ruft eine junge Frau im Minirock und reckt die Hände über ihren Kopf. Über Kreuz, als Symbol der Handschellen der Polizei. »Endlich Gleichberechtigung!« wird skandiert.

Jeweils rund 1000 Menschen waren in Jerusalem und Tel Aviv auf die Straßen gegangen. Ein Großaufgebot an Polizei, darunter 300 Beamte auf Pferden, hätte Gewalt von vornherein verhindern sollen. Es kam dennoch zu Ausschreitungen. Junge Männer kippten einen Polizeiwagen um, demolierten ein Motorrad, zerschlugen mehrere Scheiben auf der Einkaufsstraße Ibn Gabirol und zündeten Mülltonnen an. In Jerusalem wurden zehn Demonstranten und drei Polizisten verletzt, in Tel Aviv waren am Ende des Tages 19 Männer festgenommen worden.

Auch in den USA hatten Ausschreitungen in mehreren Städten, darunter in Ferguson und Baltimore, mit der Gewalt von Polizisten gegen farbige Männer begonnen. Nun beraten die Experten, wie es dazu kommen konnte. Dabei sagte schon der Kerner-Bericht im Jahr 1968, nach Unruhen von Schwarzen von der US-Regierung in Auftrag gegeben: »Farbige werden offen diskriminiert, sind durch hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Schulen ... sowie systematische Polizeigewalt unterdrückt. Das Fazit: Unsere Nation bewegt sich in die Richtung von zwei Gesellschaften, eine schwarze und eine weiße – getrennt und ungleich.«

Genau das brodelt heute in Israel, meinen viele Sozialwissenschaftler. Präsident Reuven Rivlin sagte am Montag bei einer weiteren Demonstration in Jerusalem: »Die Protestierenden haben uns eine offene Wunde gezeigt, mitten in der israelischen Gesellschaft. Wir müssen hinsehen. Denn wir haben uns geirrt. Wir haben nicht genug geschaut, nicht genug zugehört. Unter den Leuten auf der Straße sind die besten unserer Töchter und Söhne, hervorragende Studenten und Soldaten. Wir schulden ihnen Antworten.«

Anweisung Auch Benjamin Netanjahu hatte sich mit Pekaday und den Vertretern der Gemeinschaft getroffen, um ihnen zu versichern, dass er sich der Probleme annehmen wolle. Polizeichef Jochanan Danino hatte seine Untergebenen angewiesen, Fälle, in denen farbige Israelis Polizeibrutalität oder Rassismus anprangern, schneller zu bearbeiten.

Auch der Chef der Jewish Agency, Natan Sharansky, meldete sich zu Wort: »Wir sind zutiefst schockiert darüber, dass am helllichten Tag ein Soldat von Ordnungshütern geschlagen werden kann. Wir von der Jewish Agency sehen es als unsere Mission an, alle Immigranten in den Staat Israel einzubinden, ihre Integration zu erleichtern, damit sie ihren verdienten Platz als vollständige und gleichberechtigte Bürger einnehmen können.«

Zweite Generation Doch offenbar haben sie den noch nicht gefunden. Denn die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Die äthiopischen Juden machen rund zwei Prozent der Bevölkerung aus. Die ersten Einwanderer kamen Mitte der 80er-Jahre an, die zweite Welle traf 1991 zeitlich mit der aus der damaligen Sowjetunion zusammen.

Während sich die russischen Olim mit ihrer oft hohen Bildung schnell und gut in die Gesellschaft einfügten, zeigt ein Report des Brookdale-Instituts von vor drei Jahren deutlich, wie sehr die äthiopischen Israelis in fast allen sozioökonomischen Aspekten schwächer dastehen als der Rest der Bevölkerung: Eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von ihnen bricht die Schule ab, Armut ist ein dauerhafter Faktor im Leben der meisten. Ebenso gehen sie doppelt so häufig wie andere Israelis auf religiöse Schulen und lernen damit oft keine grundlegenden Fächer wie Englisch oder Mathematik.

Doch jetzt begehrt die zweite – in Israel geborene – Generation auf. Shula Molla, Vorsitzende der Vereinigung äthiopischer Juden, sagt, die jungen Leute hätten genug von der Anpassung. Sie seien hier geboren und hätten ihr ganzes Leben lang versucht, sich einzufinden, meint sie. »Jetzt ist ihnen klar geworden, dass sie anders sind. Sie fühlen sich als Israelis. Doch als Israelis mit einem großen Problem.«

Berlin/Jerusalem

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