Erinnerung

Mahnung am Ort der Schande

Bei der Gedenkstunde: Bundeskanzlerin Angela Merkel, IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer Foto: Marina Maisel

Die Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945, die sich dieser Tage zum 70. Mal jährte, ist für den Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Bayerns eine stete Verpflichtung. Diesmal, am vergangenen Sonntag, verlieh Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Treffen an der Gedenkstätte auf dem ehemaligen KZ-Gelände am Rande Dachaus einen ganz besonderen Glanz.

Sie war der Bitte von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, der sie seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden ist, nur allzu gerne nachgekommen, nicht nur an der zentralen Gedenkfeier am gleichen Tag teilzunehmen, sondern auch an der des IKG-Landesverbands.

Gäste Der Dauerregen und die dunklen Wolken über dem Areal, wo kurz nach der Machtergreifung Adolf Hitlers das erste große Konzentrationslager, der Prototyp aller folgenden, errichtet wurde, wirkte sich auf das Interesse an der Gedenkveranstaltung nicht aus. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Landesvorsitzende der bayerischen Kultusgemeinden, Josef Schuster, konnte neben der Bundeskanzlerin eine Vielzahl hochkarätiger Gäste begrüßen.

Unter ihnen waren auch Ministerpräsident Horst Seehofer, weitere Mitglieder aus der Staatsregierung, Vertreter der Kirchen, Personen des öffentlichen Lebens sowie zahlreiche Überlebende, die das Grauen Dachaus überstanden hatten und zu den letzten noch lebenden Zeitzeugen des nationalsozialistischen Wahnsinns zählen.

Charlotte Knobloch, die während der Gedenkstunde im schützenden Zelt zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Horst Seehofer in der ersten Reihe saß, wandte sich in ihrer Rede direkt an die beiden hohen politischen Repräsentanten des Staates. »Mit Ihrem Kommen zu diesem Ort, in dieser Stunde, setzen Sie das richtige Zeichen im richtigen Moment«, sagte sie in ihrer viel beachteten Rede.

Zweifel Es gehe nicht allein darum, gemeinsam der vielen Opfer in der Vergangenheit zu gedenken, so Knobloch weiter. »Sie haben erkannt, dass die jüdische Gemeinschaft von wachsenden Sorgen und Zweifeln erfüllt ist. Ihre Anwesenheit gibt uns Mut und neue Kraft, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.«

Denn der gesellschaftliche Ist-Zustand bereitet der IKG-Präsidentin erhebliche Sorgen, wie sie auch in ihrer Rede vor der Bundeskanzlerin zum Ausdruck brachte. »Jetzt, im siebten Jahrzehnt nach der Schoa, wird die jüdische Gemeinschaft hierzulande mit ihrer verletzlichen Heimatliebe und dem neu gefassten Vertrauen immer häufiger brüskiert.« Knobloch sprach von »einer klaffenden Lücke« zwischen dem Geschichts- und Verantwortungsbewusstsein in der politischen Elite und den Einstellungen und Stimmungen in der Bevölkerung.

Man müsse sich insbesondere an dem geschichtsträchtigen Ort Dachau der Wahrheit stellen, erklärte die IKG-Präsidentin. »Auch im 21. Jahrhundert, auch in Deutschland, spüren wir, wie salonfähig der Antisemitismus wieder ist.« Sie beziehe sich, so Charlotte Knobloch, nicht auf Umfragen oder Statistiken, vielmehr sei diese Stimmung im Alltag zu spüren.

Lehre »Der Antisemitismus«, sagte sie, »begegnet uns mitten in unserer Gesellschaft mit blankem Hass, mit Genugtuung, mit Arroganz und Hochmut. Er wütet ungehemmt unter hier lebenden Muslimen, wuchert an den schmutzigen Rändern rechts und links. Und er keimt auch und gerade in der bürgerlichen Mitte.« Unter diesen Umständen habe sie Zweifel, ob das »Nie wieder!« wirklich eine Lehre aus dem dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte sei.

»Allgegenwärtig ist zur Zeit das genaue Gegenteil von ›Nie wieder!‹«, konstatierte Charlotte Knobloch bei der Gedenkstunde mit Blick auf die vielen Krisenherde in der Welt. »Vor unseren Augen grassiert unvorstellbare Barbarei. Millionen Menschen sind auf der Flucht vor grausamster Gewalt und Kriegen. Und es ist unsere Pflicht, die Ursachen und Folgen als unsere Verantwortung zu begreifen – im Zeichen der Menschlichkeit.«

Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vizepräsidentin des World Jewish Congress sprach damit nicht nur den grassierenden Antisemitismus an, sondern gleichermaßen auch »Antiziganismus, Homophobie, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Mobbing auf dem Schulhof, kurz: Menschenverachtung in jeder Form«, wie sie betonte.

Frage An Diskriminierung, die in der digitalen Welt noch ungehemmter stattfinde, habe man sich ja fast schon gewöhnt, unterstrich die IKG-Präsidentin. In dem Zusammenhang stellte sie die Frage: »Haben wir verdrängt, dass Menschenverachtung keine Bagatelle ist? Und wie es eigentlich um das ›Wehret den Anfängen‹ bestellt ist?«

An dem Ort, an dem während des Nazi-Regimes mehr als 40.000 Menschen ermordet wurden, machte Charlotte Knobloch den Zusammenhang zwischen der Vergangenheit, dem Jetzt und dem Morgen eindrücklich klar: »Ein Schlussstrich, wie ihn sich viele wünschen, kann nicht gelingen.«

Im Gegenteil, sagte Charlotte Knobloch, war, ist und bleibe der Mensch zu Unmenschlichkeit imstande. »Ich plädiere dringend dafür, den heutigen Menschen unsere Geschichte nicht als Last, sondern als Chance näher zu bringen, als Motivation zu Mündigkeit, Wehrhaftigkeit und Menschlichkeit. Das ist mein Wunsch an mein Land, an diesem Ort, an der Schwelle der Zeit, da die Epoche der Zeitzeugen zu Ende geht.«

Zum Abschluss der Veranstaltung in der Dachauer Gedenkstätte, die von der jüdischen Jugend in Bayern mitgestaltet wurde und bei der Rabbiner Josef Chaim Bloch von der Jüdischen Gemeinde Regensburg Kaddisch sprach, legten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in Erinnerung an die Toten Kränze nieder.

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