Porträt der Woche

»Ima schwärmte von Kairo«

Shlomo Almagor feiert Pessach besonders gern. Seine Familie stammt aus Ägypten

von Moritz Piehler  30.03.2015 18:11 Uhr

Betreibt in Hamburg ein Reisebüro und arbeitet als freier Journalist für israelische Medien: Shlomo Almagor (55) Foto: Moritz Piehler

Shlomo Almagor feiert Pessach besonders gern. Seine Familie stammt aus Ägypten

von Moritz Piehler  30.03.2015 18:11 Uhr

Anhand meiner Familie lässt sich gut die Migrationsgeschichte des jüdischen Volkes erkennen. Wenn man weit zurückschaut, kommen wir Juden ja eigentlich alle aus der Region des heutigen Ägypten, aus dem wir während der Sklaverei befreit wurden – und woran wir uns nun zu Pessach erinnern.

Doch meine ägyptischen Wurzeln sind noch relativ frisch: Die Familie meines Großvaters blieb zwar zu Zeiten des Osmanischen Reiches bei der Migration im südtürkischen Urfa hängen. Ein anderer Teil der Familie floh aber in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach Ägypten, das zu der Zeit als relativ modern und liberal galt. Meine Tante wohnte noch bis in die 50er-Jahre hinein in Kairo, zu der Zeit kam es unter dem damaligen Präsidenten Nasser zu Verstaatlichungen, von der auch jüdische Geschäfte betroffen waren.

sehnsucht Auf die Staatsgründung Israels folgte dann in Ägypten die Konfiszierung von jüdischem Besitz. Man durfte auch kein Geld mehr außer Landes bringen. Als es schließlich zu Pogromen kam, floh meine Tante, ihr Haus wurde von einer Brandbombe getroffen. Für Leute wie sie mit weniger Vermögen kam eigentlich nur Israel als Ziel infrage, dabei waren viele ägyptische Juden nicht sehr zionistisch eingestellt, sondern eher frankophil.

Meine Eltern wuchsen beide in Jerusalem auf. Als die Milizen die Altstadt übernahmen, floh die Familie meiner Mutter 1948 aufs Land. Ima hatte immer friedlich mit den muslimischen und christlichen Nachbarn zusammengelebt. Mein Großvater hielt noch lange Kontakt zu ihnen, auch nachdem diese schon nach Nablus gezogen waren. Dort trafen sie sich regelmäßig zum Backgammonspielen.

Nachdem meine Eltern dann später mit mir vom Land nach Tel Aviv gezogen sind, wurde meine Mutter unglücklich. Sie vermisste die Dattelbäume, die Tiere, den Duft der Zitronenblüten. Stattdessen wohnten wir jetzt in einem Neubau, wo mein Vater auf fünf Quadratmetern versuchte, ein bisschen Natur anzupflanzen – vergeblich natürlich. Sie sehnte sich weiterhin nach dem Landleben.

Heimat Darüber hinaus schwärmte sie Zeit ihres Lebens von der ägyptischen Heimat ihrer Mutter; die ganze Wohnung war dekoriert mit ägyptischen Bildern und Fotos aus Kairo, die sie und mein Vater bei einer Reise dorthin gemacht hatten. Sie mochte auch die alten ägyptischen Filme besonders gerne und freute sich über die Moral der Geschichten – ägyptisches Blut eben.

Ich habe immer selbstständig gearbeitet und viele unterschiedliche Dinge ausprobiert. Seit rund 30 Jahren arbeite ich als freier Journalist für israelische Medien, aber davon kann man nicht leben. Eines Tages lernte ich einen Geschäftsmann kennen, der mit Autoteilen handelte und mich fragte, ob ich ihm bei einer Messe in Deutschland helfen könnte. Ich hatte keine Ahnung von Verkauf, aber die Messe verlief sehr erfolgreich, und ich dachte, wenn ich im Export arbeite, warum nicht direkt aus Deutschland?

Daraufhin habe ich ein Geschäftskonzept entwickelt und auf Hebräisch geschrieben. In Israel hat man mich gefragt: »Du bist Israeli! Du kannst kein Wort Deutsch, wie willst du eine Firma eröffnen?« Es ist bei mir aber wie bei der Geschichte der Juden: Manchmal muss man im Leben eine schnelle Entscheidung treffen und seine Koffer packen.

geschäfte Damals war ich gerade einmal 30 Jahre alt. Wenn ich den normalen Weg gegangen wäre und zunächst Deutschkurse belegt hätte, dann hätte ich meine Firma vielleicht erst mit 40 aufmachen können. Zum Glück hat mir die Handelskammer viel geholfen und mir geraten, mich in Hamburg niederzulassen und nicht im niedersächsischen Maschen, wo ich damals lebte. Jetzt bin ich seit nun schon 25 Jahren in Deutschland, ganz schön lange, finde ich.

Meine Frau habe ich 1991 in der Hamburger Gemeinde kennengelernt. Sie spielte dort mit ihrer Band »A Mekhaye« wunderbare Klezmermusik, das macht sie auch heute noch. Da waren Hunderte Menschen, und um sie kennenzulernen, habe ich ihr angeboten, sie nach Hause zu fahren. Damit sie auch wirklich mitkommt, habe ich ihre Geige in mein Auto eingeschlossen – wir haben lange miteinander gesprochen und uns ineinander verliebt.

Unsere Töchter sind 19, 17 und zehn. Mit meiner Frau sprechen sie ausschließlich Deutsch, Hebräisch nur dann, wenn ich dabei bin. Ich habe ihnen immer schon auf Hebräisch geantwortet, und heute sind sie mir sehr dankbar dafür, weil sie die Sprache sonst nicht so gut gelernt hätten.

identität Unsere älteste Tochter liebt Japan über alles. Sie hat das Land während eines Schüleraustauschs kennengelernt und wird nach dem Abitur dorthin ziehen. Unsere mittlere Tochter hingegen mag die USA und England sehr. Die jüngste Tochter geht auf die jüdische Schule am Grindelhof, die Älteren besuchten die vorherige jüdische Schule, bis diese geschlossen wurde. Es gab eine Zeit, da wollten sich meine Töchter unbedingt deutsch fühlen und mussten dann feststellen, dass das nicht so einfach geht. Für mich selbst ist es ein bisschen wie mit einer Fußballmannschaft. Ich habe erst das Trikot von Tel Aviv getragen, jetzt trage ich das von Hamburg. Hier wohne ich, das ist meine Stadt, der ich mich sehr verbunden fühle.

Ob wir religiös sind? Wir sind nicht orthodox, aber wir halten zu Hause Schabbat. Ich gehe auch regelmäßig in die Synagoge, meine Frau und unsere Töchter haben sich daraus etwas zurückgezogen, aber bei uns zu Hause sind die Feiertage eine Familientradition, die auch die Kinder gerne mitmachen. Und wir reisen mindestens zweimal im Jahr gemeinsam nach Israel, ich bin beruflich natürlich oft dort, wegen meines Reisegeschäfts.

In dieser Branche bin ich zufällig gelandet. Auf einem Flug von Tel Aviv nach Hamburg kam mein Gepäck abhanden, und ich telefonierte ewig mit der Fluggesellschaft, die mich schließlich mit zwei Freiflügen entschädigte. Der Anwalt der Airline wollte mich dann gern persönlich kennenlernen, und so besuchte ich ihn bei meiner nächsten Israelreise.

Ich sah damals anders aus als heute: lange Locken und ein Hawaii-Hemd – der Anwalt hat sich totgelacht, als er mich sah. Wir sind heute noch befreundet – und seitdem biete ich Flüge und Reisen nach Israel an. So kann das Leben spielen: alles nur wegen eines verloren gegangenen Koffers.

journalismus Ich moderiere jeden Freitag eine Sendung im israelischen Radio. Darin berichte ich von meinen Eindrücken der deutschen Gesellschaft, erzähle Israelis, was sie von den Deutschen lernen können. Deshalb verfolge ich die deutschen Medien sehr genau und bin, ehrlich gesagt, oft enttäuscht wegen ihrer Israel-Berichterstattung. Die ist viel zu einseitig. Pro-israelisch müssen sie natürlich nicht sein, ich würde mir nur wünschen, dass sie öfter beide Seiten der Medaille zeigen würden. Es ist fast eine Beleidigung für unseren Berufsstand, in welcher Weise viele Medien über den jüdischen Staat berichten.

Mir wurde aber auch schon vorgehalten, dass ich zu positiv über Deutschland sprechen würde. Dabei können meine Beobachtungen durchaus auch kritisch sein, vor allem mit Blick auf den zwischenmenschlichen Umgang der Deutschen. Aber alles hat halt seine Vor- und Nachteile. Deshalb ist mein Lebensmotto: Tagsüber lebe ich wie die Deutschen und abends wie die Israelis. Wenn es umgekehrt wäre, hätte ich schlechte Karten im Leben.

Aufgezeichnet von Moritz Piehler

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