Pessach

Freiheit, die ich meine

Ein Rucksacktourist hat mehr Freiheit bei der Auswahl seiner Reiseziele als ein Jetsetter. Foto: Thinkstock

Wenn man den Ablauf des Pessachseders betrachtet, entdeckt man, dass dort einige Gegensätze zum Ausdruck kommen. Zum einen gibt es das bittere Kraut und die Charosset, die das Elend und die Bitterkeit der Versklavung in Ägypten symbolisieren sollen.

Andererseits symbolisieren die vier Gläser Wein, die schöne Mahlzeit und die Tatsache, dass wir uns bei ihrem Verzehr anlehnen sollen, die Freiheit und die Gemütlichkeit, die wir nach unserer Befreiung genießen dürfen. Man kann sagen, dass der Grund für diesen Widerspruch darin liegt, dass wir uns sowohl an die schweren Zeiten vor der Befreiung als auch an die nachfolgenden guten Zeiten erinnern müssen. Und nur, wenn wir in der Lage sind, beide Perspektiven zu fühlen, können wir wirklich verstehen, welche Güte uns von G’tt zuteil geworden ist.

Paradox Doch die Mazza selbst, das wichtigste Element des Seders, bleibt ein Paradox. Einerseits symbolisiert Mazza unsere Freiheit. Die Tora selbst schreibt: »Sieben Tage sollst du sie essen … denn in Eile bist du aus Ägypten gezogen« (5. Buch Mose 16,3). Genauso wie auch bei den vier Gläsern Wein muss Mazza verzehrt werden, während wir uns anlehnen, was unsere Freiheit symbolisiert. Dieses unterscheidet die Mazza zum Beispiel vom bitteren Kraut, bei dessen Verzehr man sich nicht anlehnt, und das die Sklaverei symbolisiert.

Und doch wird Mazza »lechem oni« (gewöhnlich übersetzt als »Brot des Kummers«) genannt. Sie ist so einfach, wie Mehl und Wasser nur sein können. Jede Hinzufügung des Geschmackes und/oder Süßstoffes würde die Mazza für den Sederabend ungeeignet machen. Es darf nur Teig aus Wasser und Mehl sein, der in einem Ofen gebacken wurde. Wie kann das die Erinnerung an Freiheit und Reichtum zum Ausdruck bringen? Wie kann es mit dem herrlich gedeckten Tisch, dem gönnerhaften Anlehnen und den funkelnden Gläsern voller Wein harmonieren?

Mangel Der Maharal aus Prag (16. Jahrhundert) beantwortet diese Frage folgendermaßen: Der Ausdruck »lechem oni« wird seiner Meinung nach als »Brot der Armut« und nicht als »Brot des Kummers« übersetzt.

Damit ist aber nicht die Armut im Sinne des Leidens gemeint, sondern eher eine Art Armut, die ein Mensch verspürt, wenn ihm etwas fehlt. Wie kann aber das Fehlen von etwas ein Symbol für die Freiheit sein? Das Gegenteil von Freiheit ist Abhängigkeit. Wenn jemand über uns herrscht und wir ihn immer um Erlaubnis bitten müssen, wenn wir etwas tun wollen, sind wir nicht frei. Und innere Abhängigkeit ist noch schlimmer als Abhängigkeit von äußeren Dingen.

Sucht Eine Person, die einen Tag ohne eine Schachtel Zigaretten nicht überleben kann, ist kein völlig freier Mensch mehr, sondern wird durch die Sucht nach Zigaretten deutlich eingeschränkt. Zigaretten sind also ein äußeres Element, das den Menschen in seiner Freiheit begrenzt und damit »versklavt«.

Wie steht es überhaupt mit unseren Bedürfnissen? Je größer diese sind, desto untertäniger sind wir. Wenn zum Beispiel das Feiern zu unseren Bedürfnissen gehört, dann müssen wir dementsprechend verdienen, um uns große Partys leisten zu können, und müssen uns Zeit für die Lokalauswahl nehmen. Vielleicht müssen wir sogar unseren Wohnort so wählen, dass das Ausgehen für uns leichter wird.

Deswegen ist das Brot (die Säule des Lebens) an Pessach das Einfachste. Es ist Mehl und Wasser, nichts mehr. Wer nicht viel braucht, dessen Freiheit ist viel größer als die desjenigen, der große Ansprüche hat. Ein Rucksacktourist hat bei Weitem mehr Auswahl an Reisezielen als ein Jetsetter.

Freiheit ist für jeden Menschen das, was er am meisten schätzt. Ein Mensch zu sein, bedeutet, einen freien Willen zu haben. Um ein volles Maß an Freiheit zu erreichen, müssen wir vermeiden, uns von »künstlichen« Bedürfnissen fesseln zu lassen. Je kleiner unsere Bedürfnisse werden, desto größer wird unsere Freiheit.

Schabbat Diese Idee ist auch in den Geboten des Schabbats enthalten. Am Schabbat trennen wir uns von vielen materiellen Dingen, wie Zigaretten, Handys, Fernseher, Radio und so weiter. Einer der Gründe, warum wir Schabbat feiern, ist, dass wir uns – genauso wie an Pessach – an den Auszug aus Ägypten erinnern, also aus der Sklaverei in die Freiheit.

Indem wir materielle Dinge ablegen oder abstellen, zeigen wir, dass wir von ihnen nicht abhängig oder nach ihnen süchtig sind. Wir sind freie Menschen, keine Sklaven unseres Besitzes. Insofern bestimmen wir auch selbst, ob und wann wir diese Dinge benutzen, und nicht umgekehrt.

Besitz Schabbat und Pessach zeigen uns, dass wir die materiellen Dinge definieren, und dass nicht wir durch unseren Besitz bestimmt werden. Diese Idee ist in heutiger Zeit, in der die Welt materialistischer ist als je zuvor, ausgesprochen aktuell. Menschen werden heute durch ihren Besitz definiert, durch ihr Handy, durch ihr Auto, durch ihr Haus.

Doch wenn man sie – abgesehen von ihrem Besitz – einfach als Menschen betrachtet, kann man leider manchmal nicht allzu viel erkennen. Unsere Antwort darauf ist unsere Lehre aus Pessach und Schabbat: Wir definieren unseren Besitz – und lassen uns keinesfalls durch unseren Besitz definieren. Mit diesem Gedanken wünsche ich Pessach kascher we sameach!

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Osnabrück.

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