Wallfahrt

Reise nach Jerusalem

Jerusalem: die Stadt, für die Juden seit Generationen beten Foto: Flash90

Unter allen Städten Israels nimmt Jerusalem eine ganz besondere Stellung ein. »Es standen unsere Füße in deinen Toren, Jerusalem! Jerusalem, du Aufgebaute, wie eine ganz verbundene Stadt, dahin die Stämme zogen« (Tehillim 122, 2–4). Der Talmud schreibt, Jerusalem wurde errichtet, um ganz Israel zu Freunden zu machen (Jeruschalmi, Chagiga 21a). Jerusalem als heilige und zentrale Stelle, als Hauptstadt des jüdischen Volkes, ist die Stadt, die Juden miteinander verbindet und für die Einheit des Volkes sorgt.

Alija leRegel Die Tora schreibt uns vor, dreimal im Jahr – an Pessach, Schawuot und Sukkot – zu Fuß nach Jerusalem zu reisen. Auf Hebräisch sagt man dazu »Alija leRegel«, was so viel bedeutet wie »Aufstieg zu Fuß«: »Dreimal im Jahr sollen erscheinen all deine Männlichen vor dem Angesicht des Ewigen, deines G’ttes, an dem Ort, den er erwählen wird, am Fest der ungesäuerten Brote, am Fest der Wochen und am Fest der Hütten. Man erscheine nicht leer vor dem Angesicht des Ewigen« (5. Buch Mose 16,16).

Der Talmud erzählt von den verschiedenen Vorbereitungen der Pilger und der Jerusalemer Einwohner. Sie hatten an den Wallfahrtsfesten viele Menschen zu beherbergen. In Jerusalem lebte ein wohlhabender Jude, der Nakdimon ben Gurion hieß. Als es lange Zeit nicht geregnet hatte, sorgte man sich, das Trinkwasser könnte für die vielen Pilger nicht reichen. Nakdimon wandte sich an einen der reichsten Männer im Königreich und verlangte, dass er ihm zwölf Brunnen speziell für die Wallfahrer zuweise. Er versprach, ihm das Wasser zu einem vereinbarten Termin zurückzugeben. Sollte er dazu nicht in der Lage sein, würde er ihm zwölf Goldstücke als Vergütung für das Wasser geben.

Nakdimon erhielt das Wasser und gab es den Wallfahrern zum Trinken. Am vereinbarten Rückgabedatum standen die Brunnen leer. Jener Reiche sandte ihm eine Mitteilung, dass Nakdimon entweder das Wasser zurückgeben oder bezahlen solle. Nakdimon erwiderte ihm, der Tag sei noch lang, er solle sich nicht sorgen.

Dann ging Nakdimon zum Tempel und betete: »Herr der Welt, dir ist bekannt, dass ich es nicht für mich, sondern für die Wallfahrer gemacht habe.« Am Ende des Gebets fing es schließlich an, stark zu regnen, und die Zisternen füllten sich. So konnte Nakdimon dem Reichen das Wasser zurückgeben, dank seiner Sorge um die Wallfahrer.

Schlafplatz In den Avot deRabbi Nathan (Kapitel 35) lesen wir: Trotz der enorm großen Menge an Wallfahrern »sage niemals ein Mensch zum anderen: Ich konnte kein freies Bett in Jerusalem auffinden, und niemals sage ein Mensch zum anderen: Es tut mir leid: Der Platz, wo ich übernachte, ist zu klein.«

Warum wurde uns geboten, ausgerechnet an den Feiertagen nach Jerusalem zu gehen? Warum werden den Wallfahrern und den Einwohnern Jerusalems so viele Mühen abverlangt?

An den Feiertagen war Jerusalem der zentrale Ort. Man sah nicht nur Freunde und Familie, sondern es ging in erster Linie um die Begegnung mit dem Heiligen und den geistigen Autoritäten. Jerusalem war Sitz des Sanhedrin, des obersten Gerichtshofs, und in Jerusalem taten die Priester ihren Dienst. Die Wallfahrtsfeste wurden auch genutzt, um zu lernen, die Gelehrten zu treffen und Fragen zu stellen.

Stärke Manche meinen, ein geistiges Zentrum sei ein Ort für Bedürftige und Kranke, die Heilung suchen und von ihrem Elend erlöst werden wollen. Die Tora schreibt jedoch vor, dass sich zu den drei Feiertagen nur körperlich und geistig Gesunde aus dem Volk auf den Weg zum Tempel nach Jerusalem machen. Die Wallfahrt nach Jerusalem verlangt körperliche Stärke. Wer in der Lage ist, die Nation anzuführen, sie zu stärken und sie zu unterstützen, gehört zu den Ersten, die kommen müssen, um an den Feiertagen neue geistige Kraft zu schöpfen.

Den Wallfahrern wurde geboten, nicht ohne Gaben zu kommen: »Man erscheine nicht leer vor dem Angesicht des Ewigen.« Eine besondere Anekdote berichtet von der Tiefe des Glaubens der Wallfahrer.

Ein Midrasch erzählt von Rabbi Chanina ben Dosa, der als großer und gerechter Rabbiner bekannt war, dem es aber an Unterhalt fehlte und der ein karges Leben führte. Vor einem Feiertag sah er, wie sich die Einwohner in seiner Stadt auf die Alija leRegel nach Jerusalem vorbereiteten und feinste Opfergaben mit sich nahmen. Er jedoch hatte nichts zum Mitbringen. Er fand einen schönen Stein, dekorierte ihn und bereitete ihn vor, um mit ihm nach Jerusalem hinaufzuziehen.

Engel Er erkundigte sich nach Trägern. Sie verlangten jedoch einen Preis, den er nicht bezahlen konnte. Vom Himmel wurde gesehen, wie betrübt er war, und man sandte Engel zu ihm. Sie erschienen ihm als Menschen, vereinbarten mit ihm einen niedrigen Preis unter der Bedingung, dass er ihnen beim Tragen des Steins helfen solle. In dem Moment, als sie zusammen den Stein anhoben, fanden sie sich in Jerusalem wieder, und die Engel verschwanden spurlos.

Obwohl der Tempel seit 2000 Jahren zerstört ist, ist auch heute eine Alija leRegel von großer Bedeutung. Wer Jerusalem besucht, erfährt eine immense geistige Stärkung. Es ist die historische Stadt des jüdischen Volks, wo Awraham, Jizchak und Jakow waren, die Stadt von König David und seinem Sohn Schlomo, der den Tempel errichtete. Es ist die Stadt, für die Juden seit Generationen beten, dass die g’ttliche Anwesenheit in sie zurückkehren möge.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Korban Pessach

Schon dieses Jahr in Jerusalem?

Immer wieder versuchen Gruppen, das Pessachopfer auf dem Tempelberg darzubringen

von Rabbiner Dovid Gernetz  22.04.2024

Pessach

Kämpferinnen für die Freiheit

Welche Rolle spielten die Frauen beim Auszug aus Ägypten? Eine entscheidende, meint Raschi

von Hadassah Wendl  22.04.2024

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024