Glossar

Haschgacha

Das Wort »Haschgacha« stammt von dem Verb »beaufsichtigen« oder »beachten« und beschreibt das Konzept der g’ttlichen Vorsehung

von Konstantin Schuchardt  16.03.2015 16:44 Uhr

Haschgacha: das Konzept der g’ttlichen Vorsehung Foto: Thinkstock

Das Wort »Haschgacha« stammt von dem Verb »beaufsichtigen« oder »beachten« und beschreibt das Konzept der g’ttlichen Vorsehung

von Konstantin Schuchardt  16.03.2015 16:44 Uhr

Einige Jahrhunderte sind vergangen, seit die Aufklärer ihre Mission begannen, die den Menschen ihre Angst und der Welt ihren Zauber nehmen sollte. Die g’ttlichen Gesetze wurden zu rein physikalischen, und das kalte Licht der Wissenschaft strahlt bis in die entlegensten Winkel des Kosmos in dem Versuch, alles unter der Überschrift der Logik zu vereinheitlichen.

Was die Menschen anspornte, die Natur zu verstehen, war meist das Ziel, sie zu beherrschen. Wo das nicht gelingt und Unerwartetes geschieht, ein Flugzeug scheinbar grundlos abstürzt, ein Kind auf unerklärliche Weise einen schweren Unfall überlebt, beginnen die Menschen, an den Gesetzen der nackten Logik zu zweifeln.

HerkuNft In jüdischen Kreisen spricht man von der Haschgacha. Das Wort stammt von dem Verb »beaufsichtigen« oder »beachten« und beschreibt das Konzept der g’ttlichen Vorsehung. Die Intervention des Schöpfers in seine Schöpfung wurde im Laufe der Jahrtausende jüdischer Geschichte kaum je bezweifelt. Auf welche Weise G’tt seinen Plan verwirklicht, ist hingegen Thema zahlloser Diskussionen.

Der jüdisch-römische Historiker Flavius Josephus teilte die Juden Palästinas in drei Gruppen ein: Sadduzäer, Essener und Pharisäer. Die Unterschiede der Lehren dieser Gruppen veranschaulichte Josephus bei der Frage der g’ttlichen Vorsehung.

Zufall Die dem diesseitigen Leben zugewandten, der Priesterkaste entstammenden Sadduzäer schrieben alles dem Zufall zu und leugneten die g’ttliche Vorsehung sowie das Leben nach dem Tod. Die apokalyptische Endzeitsekte der Essener war fatalistisch dem Ende zugewandt und hielt alles für vorherbestimmt. Eine moderate Position vertraten die Vorgänger des rabbinischen Judentums, die Pharisäer: Das materielle Leben des Menschen ist vorherbestimmt, aber in seinem spirituellen Leben trifft er absolut freie Entscheidungen.

Das Konzept von Haschgacha ist schon im Tanach verankert, zum Beispiel in den Tehillim 11,4: »In den Himmeln ist Sein Thron. Seine Augen schauen, Seine Augenblitze prüfen die Menschenkinder.« Hier wird G’tt als Regent beschrieben, der Kontrolle über alle Vorgänge im Universum ausübt.

Talmud Dieses Konzept wird im Talmud weitergeführt. Da heißt es im Traktat Chullin: Niemand würde sich den Finger verletzen, wenn es von oben nicht so verfügt worden wäre. Und Rabbi Chanania äußert sich im Traktat Berachot, dass alles dem Willen G’ttes unterstehe, außer der G’ttesfurcht des Einzelnen. Der freie Wille des Menschen ist hier nur im Gebiet des Glaubens verwirklicht, alles Übrige ist vorherbestimmt.

Auch Nachmanides, der Ramban (1194–1270), glaubte, es gebe weder Naturgesetze noch Zufälle. Jedes Mal, wenn auf der Welt etwas zu Boden falle, sei es ein Wunder G’ttes. Hingegen war Maimonides, der Rambam (1138–1204), von der Wahlfreiheit des Menschen überzeugt. Dass G’tt allwissend und ihm jeglicher Prozess im Universum seit seiner Schöpfung bekannt sei, habe keinen Einfluss auf die Entscheidung des Einzelnen, da dies nicht die Wahl des Menschen beeinflusse.

Rambam In seinem Werk Führer der Unschlüssigen beschreibt Rambam die g’ttliche Vorsehung im Gegensatz zu Nachmanides nicht als allgegenwärtiges Phänomen, sondern als ein elitäres Konzept. Die Vorsehung erreicht nach Rambam nicht alle Menschen gleichermaßen. Je bedeutender der Intellekt und je tiefer die Frömmigkeit der betreffenden Person ausgeprägt sind, desto stärker ist der Einfluss der g’ttlichen Vorsehung auf ihr Schicksal.

Der französische Philosoph Voltaire (1694–1778) schrieb: Zufall ist das bekannte Ergebnis unbekannter Ursachen. Ein religiöser Jude könnte ihm antworten: Was Sie Zufall nennen, ist das bekannte Ergebnis des uns unbekannten g’ttlichen Willens, und es fällt uns zu, ihn zu akzeptieren.