Biografie

Bilder einer Mordfabrik

Wilhelm Brasse war der offizielle Fotograf des Vernichtungslagers Auschwitz

von Johanna Reinicke  16.02.2015 21:05 Uhr

Seine Fotos sind weltbekannt. Foto: Blessing

Wilhelm Brasse war der offizielle Fotograf des Vernichtungslagers Auschwitz

von Johanna Reinicke  16.02.2015 21:05 Uhr

Seine Fotografien sind historische Dokumente. Wilhelm Brasse hat Auschwitz mit der Kamera dokumentiert – gezwungenermaßen. Der Sohn eines Österreichers und einer Polin hatte sich geweigert, in die deutsche Wehrmacht einzutreten, die 1939 sein Land überfallen hatte. Er versuchte stattdessen, sich zu den freien polnischen Streitkräften nach Frankreich durchzuschlagen.

Brasse wurde verhaftet und im August 1940 als Häftling mit der Nummer 3444 nach Auschwitz deportiert. Sein Beruf als Fotograf rettete dem politischen Häftling das Leben. Kurz nach seiner Einlieferung wurde Brasse von der SS-Lagerleitung zum offiziellen Fotografen ihres »Erkennungsdienstes« bestimmt. Er blieb es bis zur Befreiung durch die Rote Armee 1945. Über diese viereinhalb Jahre haben Luca Crippa und Maurizio Onnis eine erzählende Biografie unter dem Titel Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz geschrieben.

mengele Wilhelm Brasse, 1917 im schlesischen Zywiec (Saybusch) geboren, starb 2012 in seiner Geburtsstadt. Die beiden Autoren führten vor seinem Tod ausführliche Gespräche mit ihm. Brasses erzwungene Funktion als Lagerfotograf hatte ihm einen Überblick über weit mehr Aspekte von Auschwitz verschafft, als gewöhnliche Häftlinge sie sonst haben konnten. Er entwickelte »Schnappschüsse« seines Vorgesetzten, des SS-Oberscharführers Bernhard Walter, von dessen Streifzügen durch das Vernichtungslager.

Der Fotograf musste auch zwecks »wissenschaftlicher Dokumentation« Opfer der Menschenversuche verschiedener KZ-Ärzte, darunter Josef Mengele, aufnehmen. Vor allem aber hatte die Häftlinge »erkennungsdienstlich« zu fotografieren: Profil, frontal, Halbprofil mit Mütze, gekennzeichnet mit Nummer und Symbol für die Akten. Diese Fotos sind weltbekannt, weil Brasse sie bei der Auflösung des Lagers entgegen der in letzter Minute erteilten Weisung seines Vorgesetzten nicht vernichtete. So zeugen die Bilder heute im Auschwitz-Museum und im Museum der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem von den Toten der Schoa und den an ihnen begangenen Verbrechen.

blumen Die ganze Widersprüchlichkeit von Brasses Tätigkeit als Fotograf in Auschwitz wird an einem Bild deutlich: Er fotografierte einige neben einer Lagerbaracke wild gewachsene Veilchen. Dieses Foto wollte er der jungen inhaftierten Polin Baska Stefanska schenken, um ihre Liebe zu gewinnen. Sie wies das Geschenk als zu gefährlich zurück.

Brasse hängte das Bild in seiner Fotowerkstatt auf, in die Baska täglich kam, um ihm Opfer von Josef Mengele zu Aufnahmen zuzuführen. Dort entdeckte sein Vorgesetzter das Blumenbild. Es gefiel ihm, er beschloss, es als »Souvenir« nach Hause zu schicken. Andere SS-Leute taten es ihm nach. Daraus entwickelt sich ein kleiner Handel: Brasse stellte kolorierte Abzüge des idyllischen Fotos für seine Bewacher her und erhielt als Gegenleistung einige kleine Vergünstigungen, die er mit anderen Häftlingen teilte.

Ein Epilog erzählt die Geschichte in der Zeit nach der Befreiung weiter. Sie hatte kein Happy End. Wilhelm Brasses Liebe zu Baska Stefanska hatte seinen Überlebenswillen im Lager gestärkt. Doch beim Wiedersehen in Freiheit konnte sie diese Liebe nicht erwidern. Und der Fotograf Brasse war nach allem, was er in Auschwitz hatte aufnehmen müssen, nicht mehr in der Lage, seinen erlernten Beruf weiter auszuüben.

Luca Crippa und Maurizio Onnis: »Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz«. Übersetzt von Bruno Genzler. Blessing, München 2014, 336 S., 19,99 €

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  28.03.2024

Sachbuch

Persönliches Manifest

Michel Friedman richtet sich mit seinem neuen Buch »Judenhass« bewusst an die allgemeine Öffentlichkeit, er appelliert aber auch an den innerjüdischen Zusammenhalt

von Eugen El  28.03.2024

USA

Daniel Kahneman ist tot

Der Wissenschaftler Daniel Kahneman kombinierte Erkenntnisse aus Psychologie und Ökonomie

 28.03.2024

Bildung

Kinderbuch gegen Antisemitismus für Bremer und Berliner Schulen

»Das Mädchen aus Harrys Straße« ist erstmals 1978 im Kinderbuchverlag Berlin (DDR) erschienen

 27.03.2024

Bundesregierung

Charlotte Knobloch fordert Rauswurf von Kulturstaatsministerin Roth

IKG-Chefin und Schoa-Überlebende: »Was passiert ist, war einfach zu viel«

 26.03.2024

Kultur

Über die Strahlkraft von Europa

Doku-Essay über die Theater-Tour von Autor Bernard-Henri Levy

von Arne Koltermann  26.03.2024

Projekt

Kafka auf Friesisch

Schüler der »Eilun Feer Skuul« in Wyk auf Föhr haben ihre friesische Version des Romans »Der Verschollene« vorgestellt

 25.03.2024

Berlin

Hetty Berg als Direktorin des Jüdischen Museums bestätigt

Ihr sei es gelungen, die Institution »als Leuchtturm für jüdisches Leben« weiterzuentwickeln, heißt es

 25.03.2024

Judenhass

Wie der Historikerstreit 2.0 die Schoa relativiert

Stephan Grigat: Der Angriff auf die »Singularität von Auschwitz« kommt nun von links

 25.03.2024