Kontroverse

Expertenkreis ohne Juden

Pro-Israel-Aktivisten demonstrieren im Juli 2014 gegen den Al-Quds-Tag in Berlin. Foto: dpa

Mehrere jüdische Wissenschaftler und Antisemitismusexperten haben die Zusammensetzung der neuen Antisemitismus-Kommission beim Bundesinnenministerium (BMI) und den bisherigen Umgang mit der Problematik scharf kritisiert. In dem erstmals am 19. Januar tagenden Expertenarbeitskreis Antisemitismus wurden durch das BMI acht Wissenschaftler und Pädagogen benannt, von denen kein einziger jüdischer Herkunft ist.

»Das ist ein einzigartiger Skandal«, erklärt Julius H. Schoeps, Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ) für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. »Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Bundesinnenminister müssen sich die Frage gefallen lassen, warum richtungsgebende deutsche Antisemitismusforscher in diesem Gremium fehlen, und wieso auf die Expertise und Beratung jüdischer Wissenschaftler und Fachleute aus den jüdischen Organisationen und Gemeinden offensichtlich kein Wert gelegt wird.«

Schubladen »Niemand käme auf den Gedanken, eine Konferenz zum Islamhass ohne muslimische Vertreter oder einen Runden Tisch zur Diskriminierung von Frauen ohne Frauen anzusetzen«, kritisierte auch die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane.

Der europäische Antisemitismusbeauftragte des American Jewish Committee (AJC), Stephan J. Kramer, beklagt die mangelnde politische Umsetzung bisheriger Handlungsempfehlungen: »Seit 2011 liegt uns der Bericht der ersten Expertenkommission vor. Doch statt einer ernsthaften politischen Auseinandersetzung mit den Ideen und Anregungen verstaubt die Arbeit der Experten in den Schubladen. Der Kampf gegen Antisemitismus darf sich nicht nur in Solidaritätsbekundungen und Mahnungen bei Gedenkreden erschöpfen, sondern muss endlich aktives politisches Handeln nach sich ziehen.«

Vor diesem Hintergrund kündigen das MMZ, das AJC und die Amadeu Antonio Stiftung die Einrichtung einer eigenen »Expertenkommission Antisemitismus« aus Wissenschaft und Praxis an, die sowohl mit profilierten jüdischen wie auch nichtjüdischen Fachleuten aus dem In- und Ausland zusammenarbeiten wird. Eine konstituierende Sitzung der Expertenkommission ist für kommenden März geplant.

Verschärfung »Die Arbeit der letzten Expertenkommission der Bundesregierung hat einen wichtigen Beitrag zum Thema geleistet. Allerdings hat sich die Bedrohungslage durch den Antisemitismus in den vergangenen Jahren verschärft. In einer Zeit, in der jüdische Einrichtungen nach zahlreichen Terroranschlägen immer mehr Schutz brauchen und antisemitische Einstellungen in den Schulen und in der Gesellschaft weite Verbreitung finden, brauchen wir zusätzliche Instrumente und vor allem eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema«, ergänzte Deidre Berger, Direktorin des AJC Berlin Ramer Institute for German-Jewish Relations.

Die Arbeit der alternativen Kommission soll bewusst auch die jüdische Perspektive auf das Problem Antisemitismus in Deutschland einschließen. Neben spezifischen Studien zu den unterschiedlichen aktuellen Erscheinungsformen von Antisemitismus sollen von Wissenschaftlern und Praxisexperten kontinuierliche Lageberichte erarbeitet, gewonnene Erkenntnisse für öffentliche Debatten bereitgestellt sowie notwendige politische Maßnahmen entwickelt werden.

Fachlich Das Gründungskomitee der neuen Expertenkommission übte zugleich heftige Kritik an einer jüngsten Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin, in der jüdische Perspektiven abgewertet und antisemitische Tendenzen bagatellisiert worden seien.

Mit der Kritik an der offiziellen Expertenkommission konfrontiert, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: »Um im Verlauf der Arbeit möglichst vielen unterschiedlichen Akteuren und Ansätzen zur Antisemitismusbekämpfung Raum zu geben, wurde gegenüber dem unabhängigen Expertenkreis angeregt, unter anderem auch (internationale) jüdische Verbände und Organisationen mit ihren wichtigen Expertisen mit in die Arbeit einzubinden und zum Beispiel zu möglichen Anhörungen einzuladen. Die Frage der Religionszugehörigkeit einzelner Expertinnen und Experten war bei der Zusammensetzung des Expertenkreises kein fachliches Kriterium; im Vordergrund standen stets fachliche Erwägungen.« ja

Berlin

JSUD fordert Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Teheran

»Ohne den Iran hätte der 7. Oktober nicht passieren können«, sagt die Vorsitzende Hanna Veiler

 25.04.2024

Virginia

Biden: »Dieser unverhohlene Antisemitismus ist verwerflich und gefährlich«

US-Präsident Biden verurteilt antiisraelische Proteste an Universitäten

 25.04.2024

Terror

Argentinien schreibt Irans Innenminister zur Fahndung aus

Er war offenbar 1994 an dem Bombenanschlag 1994 auf das jüdische Gemeindezentrum Amia beteiligt

 25.04.2024

Oranienburg

Mehr antisemitische Vorfälle in Gedenkstätte Sachsenhausen

»Geschichtsrevisionistische Tabubrüche und Grenzverschiebungen von rechts« werden registriert

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Berlin

Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz beschädigt

Kuratorin: «Auffällig, dass ausgerechnet Plakate zum israelbezogenen Antisemitismus beschädigt wurden«

 24.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Umfrage

Studie: Für die meisten muslimischen Schüler ist der Koran wichtiger als deutsche Gesetze

Fast die Hälfte der Befragten will einen islamischen Gottesstaat

 22.04.2024

Vereinte Nationen

»Whitewash«: UNRWA-Prüfbericht vorgelegt

Eine Untersuchung sollte die schweren Vorwürfe gegen das UN-Hilfswerk aufklären - vorab sickerten erste Details durch

von Michael Thaidigsmann  22.04.2024