Berlin

Kunst in Köpenick

In seinem Leben gibt es schlechte und gute Tage. An schlechten geht gar nichts, an guten sieht das Leben für Jörg Kaminski bunt und fröhlich aus – so wie am Mittwoch vergangener Woche. »Ich habe diesem Moment entgegengefiebert und auf ihn hingearbeitet«, sagt Kaminski und strahlt. Früher war er Industriekaufmann und Kommunikationsberater, doch dann geschah etwas in seinem Leben, weswegen er heute als psychisch krank gilt.

Jörg Kaminski ist einer von zehn Teilnehmern des von der Zentralwohlfahrtsstelle für Juden (ZWST) initiierten jüdischen Kunstateliers »Omanut«, deren mehr als 60 Bilder und selbst gezogene Kerzen derzeit im Rathaus Köpenick in der Ausstellung »Wir sind da« präsentiert werden. Eine ebenso interessante wie fesselnde Schau.

farbenfroh »Ich freue mich, dass diese Kunst in unserer Galerieetage zu sehen ist«, sagte der Bezirksbürgermeister von Köpenick, Oliver Igel, bei der Ausstellungseröffnung. »Diese Werke sind etwas ganz Besonderes, da die Künstler eine gemeinsame Geschichte haben.«

Und in der Tat: Die Künstler sind Juden, Migranten – viele kommen aus den ehemaligen Ländern der Sowjetunion – und sind psychisch krank oder geistig eingeschränkt. Das Atelier bietet ihnen die Möglichkeit, zusammen Kunst zu machen. Bürgermeister Igel hat sich die farbenfrohen Werke bereits angeschaut – und ist begeistert: »Solch eine schöne Buntheit präsentieren wir gern bei uns.«

Günter Jek von der ZWST weiß, dass es die Teilnehmer von Omanut oft nicht einfach hatten in ihrem Leben. Zu ihren Erfahrungen gehöre es, als Juden, Migranten oder als Behinderte ins Abseits gedrängt zu werden, so Jek. Durch Omanut sollen sie die Möglichkeit erhalten, etwas Schönes zu machen, pflichtet die Omanut-Leiterin und Kunsttherapeutin Judith Tarazi ihm in ihrer Ansprache bei. »Wir, die Betreuer, freuen uns, dass ihr es uns ermöglicht habt, diese Ausstellung zu verwirklichen.« Tarazi ist anzumerken, wie froh sie ist, dass die Werke erstmalig in öffentlichen Räumen gezeigt werden.

Jörg Kaminski steht nach der Eröffnung vor einem seiner Bilder, das die Skyline einer Stadt zeigt und in Grün gehalten ist. Da sei er von einem Urlaub nach Hause geflogen und habe seitdem das Bild im Kopf gehabt, erklärt er. Irgendwann hat er es dann einfach von seiner Vorstellung aufs Papier übertragen. »Mit Farbe und Pinsel kann ich ausdrücken, was ich mit Worten nicht mehr schaffe«, sagt er. »Ich bin in einer schwierigen psychischen Verfassung.«

Verständnis Seine Bilder sind farbenfroh, eine ganze Palette von Rottönen kommen darin vor. Sie strahlen Frieden aus. Doch ihm geht es oft ganz anders, und vor allem der letzte Sommer hat dem Berliner zugesetzt. »Es waren unerträgliche Monate«, berichtet er. Der Krieg im Gazastreifen, die vielen Hass-Demos gegen Israel – das alles hat ihm zugesetzt. Im Kunstatelier Omanut hingegen kann er eine andere Welt betreten, dort herrscht für ihn Frieden. Seit mehr als zwei Jahren kommt er nun schon aus Weißensee dreimal wöchentlich in die Joachimsthaler Straße, wo das Atelier seine Räume hat. »Ich fühle mich hier verstanden. Die Atmosphäre ist von Liebe und Verständnis geprägt.«

Dann zeigt Kaminski auf ein Mosaik, dessen Steine einen Davidstern bilden. »Das ist eine Gemeinschaftsarbeit, da saßen wir zusammen am Tisch, haben uns unterhalten und die Steine aufgeklebt.« Die Basis dieser Gemeinschaft ist für ihn das Judentum. Auch religiöse Themen werden in den Bildern aufgegriffen – zum Beispiel zu Rosch Haschana, Jom Kippur oder Chanukka.

»Wir Omanutniks sind eine Familie«, ergänzt Anton Krüger, der seit der Gründung der Initiative vor sechs Jahren mindestens einmal pro Woche das Atelier besucht, um zu malen. Der Ost-Berliner hat zur Ausstellungseröffnung seinen Fotoapparat mitgebracht, um alle Momente festzuhalten. Nun zeigt er seine gemalten Bilder. Die Giraffe steckt ihren Kopf seitlich weg, so als wenn sie dem Blickkontakt mit dem Betrachter ausweichen wollte.

Stile Die Giraffe hat Anton Krüger mit einer Art Spachteltechnik geschaffen, und hat eine Schicht roter Farbe über sie aufgetragen. »Es ist einfach so entstanden«, meint er. Auf einem anderen Bild hat er einen Vulkanausbruch vor einem dunklen Himmel festgehalten. »Das ist Naturgewalt.« Sima Shoheit hingegen hat für die Ausstellung eine Blume gemalt, und auch die 22-jährige Danielle Kritschmar zeigt stolz ihre Werke.

Vor sechs Jahren lud der Künstler Michael Bensman Menschen mit Behinderung ein, mit ihm gemeinsam zu malen. Er setzte sich ins Gemeindehaus in der Fasanenstraße – und wartete auf Interessierte. Und sie kamen. Mit den Jahren wurden es immer mehr, und so entwickelte der Heilpädagoge und Künstler die Initiative stetig weiter. »In einer jüdischen Gemeinde muss es auch Angebote für behinderte Menschen geben«, findet er.

Für sein Vorhaben fand er rasch Unterstützung bei der ZWST und der »Aktion Mensch«. Mitte April 2012 hat die Kunsttherapeutin Judith Tarazi die Leitung des Ateliers übernommen, zu dem mittlerweile etwa 15 Teilnehmer kommen. Die Pädagogin Inessa Gorodetskaia ist seit etwa sechs Jahren dabei, und seit einiger Zeit auch die Kunsttherapeutin Vera Rey.

Beratungsangebot »Wir bieten eine freiwillige und kostenlose Tagesbetreuung mit künstlerischen Tätigkeiten und ein umfangreiches Beratungsangebot zu Arbeits-, Wohn- und Freizeitformen in einem jüdischen Umfeld an«, sagt Tarazi. Einige Teilnehmer kommen, um Kerzen zu ziehen, andere nutzen die Buntstifte sowie Aquarell- und Acrylfarben.

In der Werkstatt werden koschere Kerzen aller Art gegossen, gezogen und geformt. Neben bunten Kerzen in allen Farben und Formen werden auch Hawdalakerzen geflochten sowie Schabbatkerzen hergestellt. Der Arbeitsablauf samt gemeinsamem Frühstück sei ein wichtiger Bestandteil im Tagesablauf, betont Kunsttherapeutin Vera Rey. Außerdem können die Omanutniks auch an Computerkursen und gemeinsamen Ausflügen teilnehmen.

Doch im Zentrum ihrer Arbeit steht weiterhin die Kunst. Deshalb hofft das Atelier Omanut, nun auch weitere Rathäuser zu finden, in denen die Künstler ihre Werke zeigen können – damit Jörg Kaminski und seine Kollegen weiterhin viele gute Tage erleben.

Die Ausstellung ist bis zum 28. Februar montags bis freitags von 8 bis 20 Uhr und am Wochenende von 9 bis 17 Uhr im Rathaus Köpenick zu sehen.

Hannover

Die Vorfreude steigt

Die Jewrovision ist für Teilnehmer und Besucher mehr als nur ein Wettbewerb. Stimmen zu Europas größten jüdischen Musikevent

von Christine Schmitt  29.03.2024

Dialog

Digital mitdenken

Schalom Aleikum widmete sich unter dem Motto »Elefant im Raum« einem wichtigen Thema

von Stefan Laurin  28.03.2024

Jugendzentren

Gemeinsam stark

Der Gastgeber Hannover ist hoch motiviert – auch Kinder aus kleineren Gemeinden reisen zur Jewrovision

von Christine Schmitt  28.03.2024

Jewrovision

»Seid ihr selbst auf der Bühne«

Jurymitglied Mateo Jasik über Vorbereitung, gelungene Auftritte und vor allem: Spaß

von Christine Schmitt  28.03.2024

Literaturhandlung

Ein Kapitel geht zu Ende

Vor 33 Jahren wurde die Literaturhandlung Berlin gegründet, um jüdisches Leben abzubilden – nun schließt sie

von Christine Schmitt  28.03.2024

Antonia Yamin

»Die eigene Meinung bilden«

Die Reporterin wird Leiterin von Taglit Germany und will mehr jungen Juden Reisen nach Israel ermöglichen. Ein Gespräch

von Mascha Malburg  28.03.2024

Hannover

Tipps von Jewrovision-Juror Mike Singer

Der 24-jährige Rapper und Sänger wurde selbst in einer Castingshow für Kinder bekannt.

 26.03.2024

Party

Wenn Dinos Hamantaschen essen

Die Jüdische Gemeinde Chabad Lubawitsch lud Geflüchtete und Familien zur großen Purimfeier in ein Hotel am Potsdamer Platz

von Katrin Richter  25.03.2024

Antisemitismus

»Limitiertes Verständnis«

Friederike Lorenz-Sinai und Marina Chernivsky über ihre Arbeit mit deutschen Hochschulen

von Martin Brandt  24.03.2024