Kino

»Gott prüft sich selbst«

Ridley Scott, Christian Bale, diese Woche läuft Ihr neuer Film »Exodus – Götter und Könige« in den deutschen Kinos an. Warum haben Sie die Geschichte von Moses neu erzählt?
Ridley Scott: Die erfolgreichen cineastischen Interpretationen der Bibel und Tora stammen aus den 50ern. Mit seiner Liebe zu diesen Monumentalfilmen bewegte Charlton Heston die Studios, Millionen in diese Stoffe zu stecken, für die sie ohne ihn niemals grünes Licht gegeben hätten. An diese Ära wollte ich anknüpfen, ohne sie zu imitieren. Deshalb begann ich mit den Recherchen sozusagen im Urschleim. Mit allen Experten für die Interpretation der Heiligen Schriften habe ich stundenlang diskutiert und an der Story gefeilt. Dabei wandelte sich mein Blick. Die schillernde Persönlichkeit von Moses verdrängte die episch breite Geschichte.

Christian Bale: Die alten Verfilmungen halten sich an den Tanach, vor allem an das 2. bis 5. Buch Mose, wo verschiedene historische Ereignisse miteinander verknüpft werden. Israelische Archäologen haben bewiesen, dass der Auszug der Juden aus der Gefangenschaft falsch datiert ist. Wir wissen aus anderen Quellen, dass die Juden in Babylon und Ägypten versklavt und verfolgt wurden, weshalb sie, von Moses geführt, das Land verließen. Mein Ziel war es daher, Moses als Menschen zu zeigen, der zu einem Anführer wurde. Später leiteten Millionen Menschen ihren Glauben aus seiner Mission ab, für andere ist es nur eine wunderbare Geschichte. Doch ganz gleich, ob die Menschen gläubig sind oder nicht, Moses war eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Geschichte der Menschheit.

Warum geben Sie im Film Gott die Gestalt eines Kindes?

Ridley Scott: Malach heißt Bote oder Engel. Ich bevorzuge Bote für meine Interpretation der Kommunikation zwischen Moses und Gott. Er muss Moses beinahe umbringen, damit der aus seiner Lethargie erwacht und seine Rolle annimmt. Um ihn zu leiten, schickt er das Kind. Doch auf diese Interpretation möchte ich mich nicht festlegen. Ich sehe die Figur als Gestalt für Moses’ Gewissen. Diese Sicht unterstreiche ich, indem der Junge nicht im Bild ist, wenn Gott aus großer Entfernung zu Moses spricht.

Christian Bale: Die Gestaltung dieser Konversationen ist eine Schlüsselfrage. Ridley bietet seine Version an. Was jeder Zuschauer daraus macht, ist seine Angelegenheit. Er kann Ridleys Entscheidung für falsch halten, weil sie seinen Vorstellungen und seiner Phantasie nicht entspricht. Oder er teilt Ridleys Sicht, dass Moses nur seinem Gewissen folgt.

Glauben Sie selbst an Gott?

Ridley Scott: Nein, wir sind beide Agnostiker.

Was bedeutet Ihnen dann eine biblische Geschichte?

Ridley Scott: Meine Mutter glaubte, dass Gott nur denen hilft, die sich selbst helfen. In diesem Sinne hat sie meinen Bruder und mich erzogen: Hört auf zu klagen! Ihr habt Schmerzen, aber kommt trotzdem raus aus den Betten. Uns wurde gelehrt und vorgelebt, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen und Gott nur als Schöpfer der Natur mit all ihrer Schönheit, Vielfalt und den Plagen zu akzeptieren. Das ist für mich die eigentliche Lektion der Bibel und von Moses’ Leben: Wir müssen uns selbst aufraffen, um die Probleme zu lösen, die wir uns eingebrockt haben. Sonst verschwindet die Menschheit von diesem Planeten. In den kommenden 100 Jahren wird sich erweisen, ob die Menschheit in die Katastrophe schlittert.

Christian Bale: Der Film bietet viele Bezüge zur Gegenwart. Nehmen Sie nur die unterschiedliche Entwicklung von Ramses und Moses. Sie wurden beide nach den gleichen Maßstäben erzogen. Der eine hält sich für einen lebenden Gott und regiert ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen. Der andere zieht mit seinen Glaubensgenossen durch die Wüste, um sie aus der Knechtschaft zu befreien. Man muss kein Genie sein, um den Geist der Revolution und des Kampfes gegen religiöse Intoleranz zu finden.

Gehen Sie da nicht etwas weit in Ihrer Interpretation Gottes?
Christian Bale: Welche Interpretation ist denn die richtige? Schon der Gott im Alten Testament agiert anders als der im Neuen Testament. Und die Tora kennt kein Jenseits, kein Leben nach dem Tod und keinen Teufel. Ridleys Beschreibung der komplizierten Beziehung zwischen Moses und Gott basiert auf der Überlieferung der Israeliten. Gott ist enttäuscht und ärgerlich, als Moses sich weigert, ihm zu folgen, und lässt ihn seine Gewalt spüren. Denn Moses kämpft mit diesem Gott, er ist anderer Meinung, er hadert mit sich selbst. Moses fühlt, dass Gott nicht ihn prüft, sondern sich selbst durch ihn prüft.

Ridley Scott: Die Heiligen Schriften sind erstaunlich gewalttätig und blutig. Wir bieten die unterhaltende Version.

In den USA wurde Ihnen vorgeworfen, dass Sie die Hauptrollen mit Weißen besetzt und kaum dunkelhäutige Schauspieler gecastet haben. Nach welchen Kriterien haben Sie besetzt?

Ridley Scott:
Es wäre ein schweres Versehen, wenn ich bei der Besetzung geschludert hätte. Ägypten war zu Moses’ Zeiten ein Schmelztiegel, es beherrschte den westlichen Teil der damals bekannten Welt. Die Menschen kamen aus allen Himmelsrichtungen. Die Hautfarbe der Pharaonen stellen wir uns wie die der heutigen Bewohner Ägyptens vor. Ein einziger Herrscher mit schwarzer Hautfarbe ist uns bekannt. Deshalb habe ich mit wunderbaren Schauspielern aus dem Irak, Iran, Israel und Spanien gearbeitet, aber auch aus Großbritannien, Australien und den USA. Ich musste auch an die Geldgeber denken. Und letztlich ist es auch dumm, die Güte eines Films am Anteil dunkelhäutiger Schauspieler oder überhaupt ihrer Herkunft festzumachen. Damit werden Vorurteile wieder zum Leben erweckt und bedient, die wir doch überwinden wollen.

Das Gespräch führte Katharina Dockhorn (Ricore Text).

Meinung

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Fall Samir

Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024