Polen

Schächten ist rechtens

Die Religionsfreiheit gehört zu den Grundwerten der polnischen Verfassung. Tierschützer in Polen stellten infrage, ob dieses Grundrecht auch orthodoxen Juden und Muslimen zustehe. Angeblich, so ihr Vorwurf, sei das Schlachten nach Kaschrut- und Halal-Regeln »archaisch, brutal und inhuman«. Zivilisiert und human hingegen sei es, die Tiere vor dem Schlachten erst zu betäuben. Dies geschieht in der Regel durch Stromstöße, Bolzengeschosse, Schläge auf den Kopf oder Gas. Vergangene Woche urteilte Polens Verfassungsgericht nach eingehender Prüfung, dass keine der Schlachtmethoden besser oder schlechter sei. Solange die Mehrheit der Gesellschaft Fleisch essen wolle und damit das Töten und Schlachten von Tieren akzeptiere, gebe es keinen Grund, einer der Schlachtmethoden den Vorzug zu geben oder gar die Religionsfreiheit von Minderheiten im Lande einzuschränken.

»Das ist das weise Urteil, auf das wir gezählt hatten. Es zeigt die seit Jahrhunderten vertiefte polnische Toleranz für religiöse Minderheiten«, kommentierte der neue Vor- sitzende des Jüdischen Gemeindebundes, Leslaw Piszewski, das Urteil. Polens orthodoxer Oberrabbiner Michael Schudrich zeigte sich nach den monatelangen Auseinandersetzungen erleichtert: »Dies war eine lange und schwierige Kampagne. Das Verfassungsgericht hat ein gutes und faires Urteil gefällt.«

»Ich bin sehr zufrieden«, freute sich auch Piotr Kadlcik, der bisherige Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes Polens. »In Zeiten, in denen Staatsanwälte der Ansicht sind, dass wir uns weder über antijüdische Ausschreitungen von Hooligans aufregen sollten, noch über den Vandalismus auf unseren Friedhöfen, ist dieses Urteil ein wirklich gutes Zeichen – für uns Juden wie auch für die Republik Polen.«

Parlament Mit dem Urteil hoben die Verfassungsrichter das Schächtverbot auf, das seit Januar 2013 in Polen geltendes Recht war. Verabschiedet worden war das Verbot schon vor mehr als zehn Jahren, als Polens Parlamentarier das Tierschutzgesetz neu formulierten. Da es vorsah, dass grundsätzlich alle Tiere vor dem Schlachten betäubt werden müssten, erlaubte der Landwirtschaftsminister eine Ausnahme für die Schlachtung nach Kaschrut- und Halal-Regeln für Juden und Muslime. Als Tierschützer dieses Vorgehen beanstandeten, gab ihnen 2012 das Verfassungsgericht recht: Ein Minister könne nicht einfach per Verordnung Teile eines vom Parlament verabschiedeten Gesetzes außer Kraft setzen.

Mitte 2013 scheiterte dann der Versuch der polnischen Regierung, ein novelliertes Tierschutzgesetz, das auch das Grundrecht auf Religionsfreiheit berücksichtigte, durchs Parlament zu bringen. Daraufhin reichten sowohl der Jüdische Gemeindebund als auch der Muslimische Religionsverband Polens Verfassungsklage ein. Später legte auch noch Polens Ombudsmann Verfassungsbeschwerde ein.

Klage Statt in einem Sammelverfahren alle Argumente zum strittigen Tierschutzgesetz abzuwägen, urteilten die 14 Richter vergangene Woche nur über die Klage des Jü- dischen Gemeindebunds. Durch das Urteil werden alle anderen Verfassungsbeschwerden hinfällig. So freute sich auch Tomasz Miskiewicz, der Mufti des muslimischen Religionsverbandes in Polen: »Wir haben dieses Urteil erwartet. Wir hoffen sehr, dass sich nun die traurigen Vorfälle vom letzten Jahr nicht wiederholen, als unser höchstes religiöses Fest gestört wurde.«

Sicher ist dies allerdings nicht. Denn sowohl organisierte Tierschützer wie auch etliche Journalisten kündigten bereits eine neue Kampagne gegen die »barbarische Tradition« von Juden und Muslimen an. erklärte gegenüber der Tageszeitung Gazeta Wyborcza: »Dieses Urteil zeigt, dass wir erneut unsere Lobbyarbeit unter den polnischen Abgeordneten aufnehmen müssen.«

In einem Radiointerview forderte der Tierschützer Cezary Wyszynski von der Tierschutz-Stiftung Viva den Vorsitzenden des Jüdischen Gemeindebundes auf, öf-fentlich zu bekennen, die Juden seien »nicht in der Lage, ihre Gewohnheiten und schlechten Traditionen zu überwinden.« So sollte nach Ansicht Wyszynskis der Jüdische Gemeindebund das Schächten darstellen, statt zu behaupten, dass dabei religiöse Gebote beachtet würden oder ein Tier nach dem Schlachten ausbluten müsse. In einem Streitgespräch im polnischen Fernsehen drückte Piotr Kadlcik dem Tierschützer gegenüber seinen Respekt dafür aus, dass er sich konsequent vegan ernähre, also auf sämtliche Fleischprodukte verzichte. Diese Ernährungsweise aber allen Juden und Muslimen aufzuzwingen, sei völlig inakzeptabel und zu verwerfen.

Umsatz Auch Polens Landwirte, die Rindfleisch in insgesamt 23 Staaten exportieren und dabei einen Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde Euro erzielen, waren von dem Schächtverbot betroffen. Rund 30 Prozent des Exportfleischs stammen von rituell geschlachteten Tieren und gehen seit Jahren in arabische Länder und in die Türkei, nach Israel, Frankreich und auch nach Deutschland. Koscher- und Halal-Fleisch aus Polen gilt als qualitativ hochwertig. Kontrolliert wird nicht nur jede Schlachtung, auch die Tierhaltung selbst. Ställe, Weiden und Futter unterliegen einer strengen Kontrolle.

Nach dem Schächtverbot versuchten viele polnische Landwirte, Schlachthöfe in Ungarn, Litauen oder anderen Ländern zu finden, in denen das Schächten erlaubt ist. Der Transport der Rinder und des Geflügels über so weite Strecken war nicht nur teuer, sondern bedeutete auch zusätzlichen Stress für die Tiere. Manche Abnehmerländer verzichteten daher auf das Fleisch aus Polen.

Tierschützer wollen nun auf die polnischen Parlamentarier einwirken: Sie sollen den Export dieses Fleisches mit einem neuen Gesetz verbieten. Es sei unmoralisch, so das Argument, mit dem Töten von Tieren Geld zu verdienen. »Wir lehnen nach wie vor jedes rituelle Schlachten als grausam gegenüber Tieren ab, werden aber in Zukunft nur noch fordern, dass diese Schlachtmethode eingeschränkt wird auf den Bedarf der in Polen lebenden Juden und Muslime«, so Tierschützer Cezary Wyszynski.

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