Glossar

Tefillat Schaw

Darf man für etwas beten, das schon stattgefunden hat, aber uns noch nicht bekannt ist? Foto: Rafael Herlich

Tefillat schaw ist ein Gebet, das umsonst, unnütz oder vergeblich gesprochen wurde. Wenn man beispielsweise die Sirene eines Feuerwehrautos hört und dafür betet, das Feuer möge das Haus eines anderen treffen, so ist das eine Tefillat schaw. Denn erstens versucht man damit, einem anderen ein Unglück »zuzuschieben«, und zweitens betet man um eine Veränderung von etwas, das bereits stattgefunden hat und nicht mehr zu ändern ist. Ein anderes Beispiel für Tefillat schaw ist, wenn ein Paar ein Kind erwartet und dafür betet, das Baby möge ein bestimmtes Geschlecht haben. Auch dieses ist bereits bestimmt worden.

Etwas sind wir aber durchaus in der Lage zu ändern: uns selbst. Wenn wir um Weisheit bitten, um mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen, wenn wir Stärke und Mut erflehen, um Widrigkeiten durchzustehen, wenn wir ein Gebet sprechen, um spirituelle Energien und Ressourcen in uns neu zu beleben, wenn wir niedergeschlagen, entmutigt oder ausgebrannt sind – dann kann das, wofür wir beten, erreichbar werden und das Gebet unser Leben verändern.

nichtig Darf man für etwas beten, das schon stattgefunden hat, aber uns noch nicht bekannt ist, zum Beispiel um ein gutes Ergebnis einer Computertomografie? Oder wäre das als eine Tefilla lewatala, ein nichtiges Gebet, anzusehen?

Es stellt sich die Frage, ob es erlaubt ist, hier um die Intervention G’ttes zu bitten. Die Antwort hängt von der eigenen Motivation ab. Nämlich, ob man G’tt bittet, die Ordnung der Natur auf den Kopf zu stellen, oder ob man G’tt um Barmherzigkeit in einer schwierigen Situation bittet.

Das Gebet ist der »Dienst des Herzens« (Maimonides, Hilchot Tefilla 1,1), der Weg, G’tt mit allen Dimensionen unseres Herzens zu dienen. Die Frage spiegelt eine Situation wider, die in der Mischna beschrieben ist: »Wenn man G’tt wegen etwas anruft, das bereits in der Vergangenheit liegt, so ist das Gebet müßig« (Berachot 9,3). Das hieße nämlich, dass man mit dem Gebet beabsichtigen würde, Ereignisse, die bereits stattgefunden haben, sowie feststehende Tatsachen rückgängig zu machen. Solch ein Gebet bezeichnen wir als Tefillat schaw, ein Gebet ohne Sinn.

traditionell
Aber erflehen wir nicht G’ttes Hilfe in bereits vorgegebenen Situationen? Wir sagen in der Amida, dass G’tt »Gebete erhört«, dass Er mit Mitgefühl wirkt, sich nicht von uns abwendet. Traditionelle Gebetbücher zeigen, dass man sehr wohl persönliche Gebete einfügen kann, wie zum Beispiel ein Gebet um Heilung für sich selbst oder für andere. Und rezitieren wir nicht öfter ein Mi-Scheberach-Gebet bei der Toravorlesung für die Genesung der Kranken? Viele dieser Menschen haben bereits eine Diagnose ihrer Krankheit erhalten. Trotzdem beten wir um G’ttes Erbarmen für sie und hoffen, dass Er sie wieder vollkommen genesen lässt.

Unsere Gebete sind nicht dazu gedacht, die Natur umzukehren oder die Medizin zu ersetzen. Vielmehr drücken sie die Sehnsüchte unserer Herzen aus. Das Gebet gibt unseren Ängsten, Sorgen und unserer Einsamkeit eine Stimme. Es lenkt die Aufmerksamkeit unserer Herzen, unserer Gemeinschaft und die Aufmerksamkeit G’ttes dorthin, wo sie nötig ist: auf eine Person, die krank, allein oder in Not ist.

versperrt
Der Talmud (Baba Metzia 59a) erzählt über die Lehre von Rabbi Elasar: Seit der Zerstörung des Tempels sind die Tore des Gebets versperrt, denn es steht geschrieben: »Auch wenn ich schreie, lässt Er mein Gebet nicht hinein« (Klagelieder 3,8). Doch auch wenn die Tore des Gebets versperrt sind, die Tore der Tränen sind es nicht, denn es steht geschrieben: »Höre mein Gebet, o Herr, und vernimm mein Schreien, und schweige nicht über meine Tränen!« (Psalm 39,13 ).

Unsere Gebete um g’ttliche Barmherzigkeit, auch angesichts von medizinischen Testergebnissen, können den Schrei unserer Seele um Hilfe angesichts der Not und Unsicherheit zum Ausdruck bringen. Solche Gebete sind immer angemessen. Das Wesentliche aber liegt in dieser Aussage: »Jitpallel Adam al Heatid lawo; wejiten Hoda’a al sche awar« – auf Deutsch: »Der Mensch soll für die Zukunft beten und für das Vergangene danken.«