Porträt der Woche

Schabbat und Housebeats

»Meine Musik lässt die Leute ihre Alltagssorgen vergessen«: Sivan Neuman (27) Foto: Judith König

Meine Eltern sind Israelis. Aber geboren wurde ich in Berlin. Mein Vater kam in Jaffa zur Welt und hat in Netanja gelebt. Die Familie meiner Mutter stammt aus Marokko und ließ sich im Norden Israels nieder.

Beruflich hat es mich 2010 nach Frankfurt verschlagen. Ich arbeite als Cutter bei der Deutschen Telekom. Wir schneiden das Werbematerial für bestimmte Angebote, zum Beispiel für Video on Demand. Hier können die Kunden, ähnlich wie bei Sky oder Premiere, bestimmte Kanäle zu ihrem Fernsehprogramm hinzubuchen.

Ich fühle mich wohl in Frankfurt, aber aufgewachsen bin ich in Berlin. Als ich auf der Grundschule war, bin ich nachmittags in einen jüdischen Hort gegangen. Dort habe ich viel Jiddischkeit mitbekommen. Wir lernten zahlreiche Brachot und den Sinn der verschiedenen Feiertage kennen. Es waren intensive Jahre. In der Freizeit haben wir oft Aufführungen für die Feiertage einstudiert. Das hat mir viel Freude gemacht.

Playback Das Highlight meiner Jugend war ein Auftritt bei der Mini Playback Show. Da war ich ungefähr elf Jahre alt. Ich habe meinem Vater ewig in den Ohren gelegen, dass ich mich bei dieser Show bewerben möchte. Irgendwann gab er schließlich nach. Die Mini Playback Show war das, was man heute mit The Voice of Germany vergleichen kann. Ich habe mich mit einer Videokassette beworben, auf der ich mich aufgenommen hatte. Und tatsächlich: Ich wurde zu Castings eingeladen. Mann, war ich aufgeregt! Nach einigen Probeaufnahmen sagte die Jury, ich dürfe mitmachen. Im Wettbewerb kam ich dann auf den ersten Platz.

Zu Hause hat meine Mutter orientalische Lieder gesungen. Sie tanzt oft mit verschiedenen Gemeindemitgliedern israelische Volkstänze. Diese orientalischen Melodien waren in vielen verschiedenen Formen immer Teil unseres Lebens. Für mich ist die israelische orientalische Musik ein Symbol purer Lebensfreude.

Nach der erfolgreichen Teilnahme an der Mini Playback Show haben mich meine Eltern bei einer Casting-Agentur angemeldet. Die bescherte mir zwei tolle Fernsehauftritte. Eine Rolle bekam ich in der ZDF-Serie Ein starkes Team. Ich wusste damals noch nicht, wie es beim Film so abläuft und wie viel Arbeit das ist: das viele Auswendiglernen, die ständigen Wiederholungen der Szenen und die langen Vorbereitungen in der Maske.

Equipment Als ich etwa 16 Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal aufgelegt. Ich war Madrich im Jugendzentrum. Dort wurden oft Partys gefeiert. Ich hatte da Zugriff auf professionelles Equipment, sodass sich dieser Ort für meine Musik anbot. Irgendwann wurde es zur Tradition, dass ich bei jeglichen Feiern etwas vorgesungen oder vorgetanzt habe, ganz gleich, ob in der Schule, bei Hochzeiten oder Geburtstagen von Freunden. Und allmählich fingen die Leute an, mich zu fragen, ob ich bei ihren Festivitäten auch auflegen wolle.

Bereits zu meiner Barmizwa habe ich eine unglaublich teure Anlage geschenkt bekommen. Mit ihr konnte ich Stimmen aus der Musik herausschneiden. Das war damals eine Seltenheit. Ich saß stundenlang in meinem Zimmer und habe instrumentale Tapes gemixt. Meine Langeweile am Nachmittag schlug in Kreativität um.

Mit den Geschenken ist es heute immer noch so: Meine Familie schenkt mir meistens musikalische oder technische Geräte. Zu Chanukka ein paar gute Kopfhörer oder zum letzten Geburtstag einen Controller. Der leistet das, was früher ein Plattenspieler gemacht hat: die Interaktion zwischen Laptop und Anlage. Man kann mit dem Controller scratchen und mixen. Heute muss ich nicht wie früher mehrere Koffer für meine Ausrüstung zu einer Veranstaltung bringen. Das macht mich flexibler. Alles wird kleiner, leichter, digitaler.

Etwas gezittert habe ich um mein Equipment, als ich im Sommer in der Schweiz, in der Nähe von Sankt Moritz, aufgelegt habe. Ich bin mit meinem Koffer in einer Gondel auf einige Tausend Meter hoch gefahren. Oben habe ich auf einer Hütte mit atemberaubendem Panorama für eine Geburtstagsparty aufgelegt. Das Ambiente war unglaublich! Das war für mich eines der spektakulärsten Events des letzten Jahres.

Bars Als Jugendlicher bin ich oft durch Berliner Bars und Cafés gezogen und habe den Inhabern meine CDs angeboten. Einmal kam ich in eine arabische Bar. Dem Besitzer gefiel meine Musik, und so kam es, dass ich einmal die Woche bei ihm auflegen durfte. Ich habe türkische, aber auch israelische Musik gespielt, alle waren happy und haben getanzt. Das nenne ich Völkerverständigung. Es hat mich glücklich gemacht, die Menschen tanzen zu sehen.

Mit 18 Jahren war ich viel in Berliner Clubs unterwegs. Ich wollte überall hineinschauen, nichts verpassen, die Musik hören und sehen, wozu die Leute am liebsten tanzen. Es war damals gerade in, dass ein Saxofonist die DJs musikalisch begleitet. So kam es, dass ich mir Folgendes überlegte: Wenn die Leute das gut finden, wären sie vielleicht auch offen für eine Begleitung mit der Darbuka – das ist eine Bechertrommel aus dem Nahen Osten.

Einer meiner Bekannten organisierte zu dieser Zeit große Partys. Er brachte israelisches Flair in die Berliner Partyszene. Jüdische, türkische und deutsche Gäste tanzten zusammen zu jüdischer und israelischer Musik. Sogar Hora wurde getanzt. Es gab auch typisch israelisches Essen wie Falafel und Hummus.

Ich bot diesem Bekannten an, seinen DJ mit der Trommel zu begleiten. Er meinte, wir könnten es versuchen. Also machten wir einen Soundcheck, und auf der nächsten Party legten wir los: Ich unterlegte seine Housebeats mit der Darbuka. Zunächst wussten die Leute nicht, von wo die Trommeltöne kamen. Ich hatte mich etwas hinter dem Pult des DJs versteckt und ein Mikro an der Darbuka befestigt. Als mich die Gäste sahen, fingen sie sofort an, orientalisch zu tanzen. Ich war aufgeregt, ob meine Musik bei den Leuten ankommen würde. Als ich dann sah, wie positiv sie auf das unbekannte Instrument reagierten, war das ein besonderes Gefühl: Rund 800 Leute bewegten sich zu meiner Musik.

Ausbildung Nach dem Abitur habe ich eine Ausbildung zum Cutter gemacht. Ich bekam nur 250 Euro. Um mir etwas dazuzuverdienen, jobbte ich in der Juice Bar. Das war eine harte Zeit: Die Ausbildung ging von Montag bis Freitag, am Wochenende arbeitete ich in der Bar, und abends legte ich als DJ auf. Meine Freundin, die mich aus Israel besuchte, sah mich immer nur bei der Arbeit.

Jetzt ist es besser für uns. Wir wohnen gemeinsam in Frankfurt. Hier lebt auch meine Schwester mit ihrer Familie. Die Tätigkeit als DJ habe ich noch weiter ausgebaut. Es gefällt mir, wenn die Leute zu meiner Musik tanzen. In dem Moment trage ich dazu bei, dass die Menschen ihre Alltagssorgen vergessen.

Vor allem bei jüdischem Publikum habe ich das Gefühl, durch die Musik alles an Lebenseinstellung, Leidenschaft und Freude zu geben, was ich von zu Hause mitbekommen habe. Ich lege die Musik auf, die sie in Deutschland nicht jeden Tag hören, aber mit der die Leute sich identifizieren können. Natürlich freut es mich sehr, dass ich mittlerweile auch in Florenz oder London gebucht werde, aber der wirkliche Kern der Sache bleibt die Freude an der Musik. Das ist der Grund, warum ich gerne DJ bin.

Aufgezeichnet von Channah Trzebiner

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