Gesellschaft

»Wer ein Haustier hat, will bleiben«

Juden und Hunde – schon immer ein ambivalentes Verhältnis: freiwillige Helferinnen in einem Tierheim in Tel Aviv Foto: Flash 90

Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

Frau Zalashik, Sie haben eine Essaysammlung zur Geschichte von Juden und Hunden veröffentlicht: »A Jew’s Best Friend? The Image of the Dog Throughout Jewish History«. Was fasziniert Sie an Hunden?
Hunde sind wie Familienmitglieder. Wir finden in ihnen typisch menschliche Eigenschaften: Sie sind traurig und fröhlich, sie lieben und sie vermissen einen. Hunde helfen Menschen, sich selbst zu finden. Katzen sind introvertierter. Als ich befreundeten Katzenliebhabern von meinem Buchprojekt erzählt habe, hieß es sofort: Und wo ist das Buch über Juden und Katzen?

Mit Lenny Bruce gesprochen: Dogs are goyisch, cats are Jewish. Sie und Ihr Mitherausgeber Phillip Ackerman-Lieberman sind allerdings Hundebesitzer.
Einmal hat Phillip seinen Hund einfach mit ins Büro genommen. Ein Kollege hatte Angst und hat sich beschwert. Phillip arbeitet zu rabbinischer Lehre, ich zur israelischen Moderne, also kamen wir schnell dazu, über diese Beziehung zwischen Juden und Hunden nachzudenken. Die meisten Juden, die wir kannten, hatten Hunde. Wir hatten vergessen, dass Juden sonst Hunde selten mögen. So kamen wir zu dem Buch.

Was war der Grundgedanke des Buchs?
Dass der Hund eben nicht der beste Freund des Juden ist, sondern der beste Feind. Das war unsere These. Aber so schwarz-weiß ist die Sache nicht. Sowohl Juden als auch Hunde waren immer »das Andere« der Gesellschaft. Wir wollten wissen, was passiert, wenn diese beiden »Anderen« sich begegnen.

Wann kam es zu diesen ersten Begegnungen? Hunde waren ja die ersten Tiere, die domestiziert wurden.
Genau, deswegen gab es schon früh Beziehungen. Meir Edrey schreibt, dass die Perser Hunde verehrten, sogar Welpen im Tempel geopfert haben. Was ja bedeutet, dass sie nicht »unrein« sein können. Das haben Juden natürlich adaptiert, wegen des Opfer-Elements.

Im Buch wird von der »biblischen Abneigung« gegen Hunde gesprochen: Wer ein Haustier hält, macht sich mit dem Hund gleich, was gegen die Schöpfung steht.
Ja, es gibt diese Spannung. Aber auch da muss man unterscheiden, ob die Juden in einer muslimisch oder christlich geprägten Gesellschaft gelebt haben.

Kenneth Stow schreibt, dass im mittelalterlichen Frankreich Juden und Hunde auf der gleichen Stufe standen.
Er zitiert aus Prozessen, bei denen ein Christ angeklagt war, mit einer Jüdin verkehrt zu haben – der Vorwurf lautet: Unzucht mit einer Hündin. Dass Juden Hunden gleichgesetzt werden, oder umgekehrt, das geschah häufig. Auf der Suche nach einem Buchcover haben wir einen Holzschnitt gefunden, der drei gehenkte Juden neben drei gehenkten Hunden zeigt. Wir haben uns dann dagegen entschieden, weil es ja kein Buch über Antisemitismus sein soll.

Gehören Hunde auch zur Emanzipations- und Assimilationsgeschichte? Wer ein Haustier hat, hat ja auch ein Haus und will bleiben.
Wir können sehen, dass Juden in Österreich und Deutschland zur gleichen Zeit wie die Nichtjuden angefangen haben, Haustiere zu halten. Nämlich im 19. Jahrhundert. Das gehörte zum Habitus. Man wollte den Deutschen zeigen, dass man Teil ihrer Nation war.

Im Buch gibt es einen Essay über Rudolfina Menzel, eine Hundeexpertin aus Wien, also aus dieser deutsch-jüdischen Welt. Sie emigrierte 1938 nach Palästina und begann, dort den Kanaanhund zu züchten, sozusagen eine originär zionistische Rasse. Aber zu ihrer Überraschung mochten die Juden des Jischuw keine Hunde.
Dieser Hunde-Konflikt ist ein Symbol für den sehr viel größeren Konflikt zwischen unterschiedlichen zionistischen Strömungen. In Palästina herrschte ein osteuropäischer, sozialistischer Zionismus. Die deutschen Juden, die nach Palästina gingen, fanden dort nicht nur Moskitos und ein heißes Klima vor, sondern auch Juden, die einfach anders als sie waren.

Hunde standen für Gewalt und Verfolgung.
Das fängt mit den Hunden an, die den »Paritz«, den nichtjüdischen Landbesitzern in Galizien, gehörten. Die haben die Juden verfolgt und gejagt. Das ist Teil des kollektiven Gedächtnisses.

Diese Einstellung hat sich in Israel dann offenbar völlig geändert. Eine deutsche Schäferhündin namens Azit wurde sogar zu einer Art israelischer Nationalheldin.
Azit ist die Schöpfung von General Motta Gur, einem Helden des Sechstagekriegs. Er hat vier Kinderbücher geschrieben, in denen Azit der Zahal hilft und gegen die Araber kämpft. Hunde beschützten jetzt Israel, und Juden hatten keine Angst mehr vor ihnen. Das gehörte zum »neuen Juden«.

Warum ein Weibchen?
Motta Gur hat immer gesagt, dass Azit auf einem echten Hund basierte, und dass dieser eben weiblich war. Eine Hündin ist auch etwas weniger bedrohlich. Azit passt deswegen gut zur Zahal, diesem Symbol israelischer Männlichkeit.

Und warum ausgerechnet eine deutsche Schäferhündin?
Deutsche Produkte wurden damals zwar in Israel boykottiert, galten aber gleichzeitig als die besten der Welt. Das traf auch für Schäferhunde zu. In einem der Azit-Bücher sagt ein Kämpfer der Hagana, der aus Deutschland geflüchtet ist: Diese deutsche Rasse ist die beste Rasse. Das ist natürlich unheimlich problematisch. Gur war ein Sabra, vielleicht war ihm diese Komplexität einfach egal. Damals war »israelisch« so fluide und flexibel, dass selbst ein deutscher Schäferhund für die IDF kämpfen konnte. Wäre die Identität starrer gewesen, dann wäre es eher einer von Rudolfina Menzels Kanaanhunden gewesen.

Azit ist eine eher ungewöhnliche Figur für Kinder – sie ist überhaupt nicht vermenschlicht, spricht nicht.
Gur wollte eine israelische Lassie schaffen, und Lassie hat nicht gesprochen. Aber Azit ist noch heroischer als Lassie, sie muss mehr Gefahren meistern. Sie ist quasi eine aufgerüstete Version. Und das Buch richtete sich auch an ältere Kinder und Jugendliche, deswegen sollte sie nicht so infantilisiert werden.

Das Azit-Buch war ein großer Erfolg, es gab Fortsetzungen, ein Brettspiel, ein Theaterstück, einen Film.
Jeder Israeli, der in den Siebzigern und Achtzigern aufgewachsen ist, kennt Azit. Das war ein Teil der Nach-67er-Welt. Militärs waren Helden, und Azit ist eine Heldin, weil sie der IDF hilft.

In einem Aufsatz des Bands schreibt Iftan Biran über Yoram Kaniuks »Adam Hundesohn«.
In diesem Roman geht es um einen Juden, der die Schoa überlebt, indem er zum Hund eines Lagerkommandanten gemacht wird. Dann kommt er nach Israel in eine psychiatrische Anstalt. Manchmal hat er Anfälle, bei denen er sich wie ein Hund verhält. Darum geht es: dass der Jude überlebt hat, indem er sich wie ein Hund verhalten hat.

Das Buch schließt mit einem Kapitel über vor allem in den USA verbreitete moderne jüdische Rituale mit Haustierbezug, wie die »Bark Mitzvah«. Gehört diese Hundekultur zur jüdischen Mittelklasse-Identität?
Amerikanische Juden feiern Bnei Mitzvah wie Hochzeiten. Und jetzt kommen eben Hunde dazu. Das ist einfach ein weiterer Anlass, groß zu feiern. Andererseits steckt dahinter etwas Authentisches, weil Hunde eben wie Familienmitglieder betrachtet werden. Mich hat die »Bark Mitzvah« abgeschreckt, obwohl ich Atheistin bin. Aubrey Glazer, die dieses Kapitel geschrieben hat, ist auch Rabbinerin. Sie muss sich diesem Dilemma stellen: Einerseits will sie den Bedürfnissen ihrer Gemeinde gerecht werden, andererseits ist eine Bar Mizwa für Hunde einfach unjüdisch. Das ist natürlich ein Symbol für die Herausforderungen, denen das amerikanische Judentum ausgesetzt ist: Mischehen, Thanksgivukkah. Diese Probleme sind Teil einer modernen jüdischen Identität.

Bei der Ausstellung »Die ganze Wahrheit über Juden« im Jüdischen Museum Berlin konnte man darüber abstimmen, wie Juden eigentlich sind: klug, witzig, reich. Es hieß, dass man die jüdischen Besucher daran erkannte, dass sie für »tierlieb« stimmten.
Vor ein paar Wochen habe ich Cilly Kugelmann getroffen, die Programmdirektorin des Museums. Das Erste, was sie mir sagte, war: »Ich hasse Hunde!« Ich konnte sie trotzdem davon überzeugen, eine Ausstellung zu diesem Thema zu machen. In 18 Monaten wird es hoffentlich so weit sein.

Sie und Ihr Mitherausgeber haben das Buch Ihren eigenen Hunden gewidmet. Ihrer hieß Senta. Erzählen Sie von ihr, bitte.
Senta war eine Bernhardinerhündin. Ich habe mit ihr in Tel Aviv auf der Mazeh Street gelebt, wo säkulare und orthodoxe Juden nebeneinander wohnen. Auf Spaziergängen haben die orthodxoen Mädchen immer gekreischt, weil sie Hunde nur als unrein und gojisch kennen. Und trotzdem haben mir orthodoxe Nachbarn am Schabbes immer Essensreste gegeben, für Senta. Diese Spannung gibt es immer noch, selbst heute.

Das Gespräch führte Fabian Wolff.

Rakefet Zalashik wurde 1974 in Polen geboren. Sie wuchs in Israel auf, studierte an der Universität Tel Aviv Geschichte, Soziologie und Anthropologie, wo sie 2006 über die Geschichte der Psychiatrie in Palästina und Israel promovierte. Unter dem Titel »Das unselige Erbe« ist ihre Dissertation im Frankfurter Campus-Verlag auch auf Deutsch erschienen. Rakefet Zalashik hat an zahlreichen Universitäten außerhalb Israels gelehrt und geforscht, unter anderem auch an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte in München. Derzeit ist sie Gastprofessorin für Israelstudien am Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam.

Phillip Ackerman-Lieberman und Rakefet Zalashik (Hrsg.): »A Jew’s Best Friend? The Image of the Dog Throughout Jewish History«. Sussex Academic Press, Eastbourne 2013, 304 S., 34,95 US-$

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